Bonn (alphagalileo) - Es gibt Menschen, die befassen sich ihr ganzes Berufsleben lang mit Zähnen: Nicht
mit Löchern, Plomben und der richtigen Mundhygiene, sondern mit den filigranen Strukturen im Schmelz fossiler
Zahnfunde, an denen Kenner sogar den Gang der Evolution nachvollziehen können. Das weltweit wohl renommierteste
Forschungsinstitut auf diesem Gebiet ist das Institut für Paläontologie der Universität Bonn, in
dem momentan Wissenschaftler aus aller Welt zu Gast sind, um sich mit den Finessen der Zahnschmelzanalyse vertraut
zu machen.
Zähne von sibirischen Lemmingen, Flusspferdhauer aus Griechenland und ein rumänisches Wühlmaus-Gebiss:
So exotisch die Fossilien sind, die momentan in der Bonner Paläontologie untersucht werden, so unscheinbar
sehen sie zunächst aus. Doch spätestens unter dem Rasterelektronenmikros-kop erscheinen sie in ihrer
vollen Pracht, enthüllen filigrane Feinstrukturen, die an ein kompliziertes Gewebe erinnern – manchmal fünf
Schichten unterschiedlicher „Webart“ überein-ander. „Sehr hartes Material ist meist auch spröde“, erklärt
der Bonner Paläontologe Professor Dr. Wighart von Koenigswald, „für die Tiere war es aber überlebenswichtig,
dass ihre Zähne nicht zu leicht brechen. Um das zu verhindern, haben sich im Laufe der Evolution im Zahnschmelz
diese komplizierten Strukturen entwickelt.“ Ähnlich wie bei Sperrholz verhindert das „Webmuster“, dass sich
ein Riss durch den ganzen Zahn hindurch fortpflanzen kann: „Er verästelt sich und verliert damit an Kraft.“
Wie genau die Feinstruktur aussieht, ist von Tierart zu Tierart unterschiedlich. Daher sind Zähne für
Paläontologen eine wichtige Informationsquelle. Und zudem eine sehr langlebige, die sich gegenüber dem
Zahn der Zeit ausgesprochen resistent zeigen: „Manche Funde sind mehr als 300 Millionen Jahre alt und immer noch
brauchbar“, erklärt Dr. Martin Sander, der mit Professor von Koenigswald das weltweit einzige Lehrbuch zu
diesem Thema geschrieben hat. Immer häufiger senden Paläontologen aus aller Welt ihre Funde an die Bonner
Spezialisten. Und das, obwohl die Zähne bei der Untersuchung zersägt werden müssen, wie Dr. Daniela
Kalthoff erklärt – „ein Opfer, das die meisten gerne erbringen, weil sie inzwischen wissen, dass es sich lohnt.“
Dabei hilft, dass Funde fossiler Zähne nicht gerade selten sind; außerdem reichen für viele Untersuchungen,
zum Beispiel zur Bestimmung der Verwandtschaft, schon einzelne Bruchstücke aus.
„Menschen und Affen haben übrigens sehr einfache Zähne“, erklärt Professor von Koenigswald. „Unser
Gebiss ist so stabil, weil wir einen sehr dicken Zahnschmelz haben – frei nach dem Motto ‚Masse statt Klasse‘.“
Den Rolls-Royce unter den Zähnen besitzen dagegen einwandfrei die Wühlmäuse. |