ETH Zürich: Fliegen fliegen wirklich  

erstellt am
18. 04. 03

Zürich (alphagalileo) - Die Fruchtfliege Drosophila melanogaster ist in der Biologie ein bekannter Modellorganismus. Trotz der vielfältigen Forschungen blieb aber etwas bis heute unklar, nämlich die biomechanischen Grundlagen ihrer Manövrierfähigkeit. Bisher wurde angenommen, dass Insekten, je kleiner sie sind, wegen der auf den Körper wirkenden Luftreibung gleichermassen in der Luft «schwimmen». In einem solchen Modell würde jegliche Bewegung der Fliege ohne aktiven Antrieb innerhalb weniger Millisekunden gebremst werden. Eine im Wissenschaftsmagazin «Science» publizierte Studie widerlegt dieses jahrzehntealte Dogma. Der Erstautor der Studie arbeitet am Institut für Neuroinformatik der Universität Zürich und der ETH Zürich.

Überraschend unauffällig
Für seine Arbeit filmte der Forscher die Fruchtfliegen mit drei Kameras bei einer Auflösung von 5000 Bildern pro Sekunde. Dabei wurden nicht nur der freie Flug von Drosophila, sondern auch blitzschnelle 90-Grad-Wendemanöver, die so genannten Sakkaden, aufgezeichnet. Während diesen für den Fliegenflug typischen Manövern, die weniger als eine Zehntelsekunde dauern, sollten die grössten Auffälligkeiten bei den Flügelbewegungen zu finden sein. So spekulierte der Forscher. Schon die Analyse des geraden Fluges brachte erste Überraschungen. Bisher als unabdingbar erachtete instationäre aerodynamische Mechanismen zur Luftkrafterzeugung, z.B. hervorgebracht durch das Zusammenschlagen der Flügel über dem Körper (clap-and-fling), spielten eine untergeordnete Rolle. Eine genauere Analyse der Drehmanöver brachte weitere Überraschungen. Die Flügelschläge sahen selbst bei den extremen Wendemanövern praktisch gleich aus wie beim Geradeausfliegen. Die Flügel der Fruchtfliege bewirken also extreme Flugmanöver mit geringfügigsten Änderungen ihrer Bewegung, gewissermassen dem lenkfreudigen Steuerrad eines Formel-1-Rennwagens entsprechend.

Schub und Gegenschub
Das während Sakkaden von den Flügeln erzeugte aerodynamische Drehmoment korrelierte mit der gemessenen Winkelbeschleunigung des Körpers, aber nicht mit der Winkelgeschwindigkeit. Daraus kann man schliessen, dass die Dynamik des Fliegenkörpers von der Trägheit dominiert wird und nicht von der Reibung, wie bisher angenommen. Um den Körper in Rotation zu versetzen, erzeugt die Fliege ein Drehmoment durch geringfügig unterschiedliche Bewegung ihrer zwei Flügel. Damit aber die Fruchtfliege sich dem Trägheitsprinzip entsprechend nicht einfach weiter um die eigene Achse dreht, braucht es schnell Gegensteuer anhand von wohl dosierten Flügelschlägen, die ein entgegenwirkendes Drehmoment erzeugen. Das Steuerungsprinzip heisst also Schub und Gegenschub und zwar innerhalb von etwa zehn Flügelschlägen, die für eine Sakkade benötigt werden. Diese Erkenntnis liefert die Basis, um die dazugehörigen neuronalen und physiologischen Steuerungsmechanismen zu analysieren. Auch wenn es noch einige Zeit dauern wird, bis der Fliegenflug von den sensorischen Signalen über ihre Verarbeitung im Gehirn bis hin zu den einzelnen Flügelbewegungen verstanden wird, ist eines jetzt schon klar: die Fliege fliegt.
     
zurück