Von der Donaumonarchie zum vereinten Europa  

erstellt am
18. 04. 03

Khol und Hösele präsentieren Publikation der Parlamentskorrespondenz
Wien (pk) - Wenn in Athen die Beitrittsverträge mit den zehn neuen EU-Mitgliedstaaten unterzeichnet werden, dann erfülle sich das prophetische Wort von Josef Klaus, der 1964 vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarates in Strassburg als "cives europeus" von den zwei Flügeln des europäischen Hauses gesprochen hatte, betonte Nationalratspräsident Andreas Khol am Mittwoch (15. 04.) in einer Pressekonferenz. Dieser zweite Flügel werde nun ausgebaut - und seine Wurzeln reichen in die Donaumonarchie zurück. Khol wies bei einem Rundgang durch den Reichsratsitzungssaal auf die zahlreichen Politiker aus den Nachfolgestaaten der Monarchie hin, die vor 1918 auch Abgeordnete in Wien waren, von prominenten zukünftigen Entscheidungsträgern wie Alcide de Gasperi und Thomas Masaryk bis hin zu Cesare Battisti, der trotz seiner parlamentarischen Immunität als "Verräter" hingerichtet wurde.

Bundesratspräsident Herwig Hösele bezeichnete den Reichsrat der Donaumonarchie als kleines europäisches Parlament und meinte, die nach 1918 errichteten Demokratien seien wesentlich getragen worden von Staatsmännern, die im Reichsrat gewirkt hatten.

Gerade mit diesem Aspekt befasst sich eine Publikation der Parlamentskorrespondenz, die von Khol und Hösele vorgestellt wurde und die heute Abend im Rahmen einer Veranstaltung im Parlament als "Einstandsgeschenk" den Vertretern der zehn neuen EU-Staaten überreicht werden wird.

20 Abgeordnete, die Geschichte schrieben
20 Reichsratsabgeordnete, die mittel- und südosteuropäische Geschichte schrieben, sind in dem Werk "Von der Donaumonarchie zum vereinten Europa" versammelt. Das Buch wurde von der Parlamentsdirektion herausgegeben und ist jetzt im Wieser-Verlag erschienen. In 20 Porträts werden Leben und Schicksal von sechs Slowenen, drei Italienern, sieben Tschechen, drei Polen und einem Ukrainer nachgezeichnet.

Die letzten Jahre der Donaumonarchie waren spannende und spannungsreiche Zeiten, und das kommt in den Porträts der Reichsratsabgeordneten deutlich zum Ausdruck. Da war etwa Anton Korosec, der als katholischer Geistlicher in die Politik ging, sich in der Monarchie für die Rechte aller Slawen engagierte, nach dem Scheitern dieser Bemühungen und der Monarchie schließlich zum Präsidenten des "Staats der Slowenen, Kroaten und Serben" gewählt wurde, aber, nachdem er 1928 als erster Nichtserbe jogoslawischer Premierminister geworden war, an den Konflikten zwischen Slowenen und Kroaten auf der einen und den Serben auf der anderen Seite scheiterte. Da war auch Janez Evangelist Krek, auch er katholischer Priester, der mit 51 Jahren starb, ohne die Einigung der Südslawen zu erleben. Unter den Tschechen stechen Karel Kramar und Thomas Masaryk hervor, der eine erster Premierminister der CSR, der politisch später weit nach rechts wandern sollte, der andere erster Präsident den jungen Staates und von exemplarischer Bedeutung bis heute. Da sind weiter Josef Seliger, der zwischen die Fronten des zerbrechenden Reichs geriet, und Bohumir Smeral, der zum überzeugten Kommunisten wurde und in der politischen Heimatlosigkeit endete. Unter den Polen sticht Ignacy Daszynski hervor, der zum ersten Premier Polens wurde, und der Bauernführer Wincenty Witos, der es bis zum Präsidenten brachte.

Alcide de Gasperi, der seine politische Laufbahn ebenfalls im österreichischen Reichsrat begann, wurde zu einem der Gründerväter des modernen vereinten Europa. Sein Landsmann Cesare Battisti hingegen wurde von Österreichs Militärjustiz, obwohl immuner Abgeordneter zum Reichsrat, justifiziert.

Besondere Beachtung verdient das Schicksal von Dimitri Markow. Er war Ukrainer (und damit eigentlich außerhalb des Horizonts des jetzt gesetzten Schritts der EU-Osterweiterung). Markow war bald nach Beginn des Krieges zum Tod verurteilt worden. In der historischen Literatur wird stets und übereinstimmend berichtet, er sei auch hingerichtet worden und somit - neben Battisti - der zweite Abgeordnete zum Reichsrat, der trotz seiner parlamentarischen Immunität gehenkt wurde. Dies war auch das Motiv, Markow in die Reihe der Porträtierten aufzunehmen.

Hier nun erbrachten die Recherchen Andreas Pittlers im Zug der Erarbeitung dieser Publikation eine kleine Sensation: Markow wurde nicht gehenkt, sondern noch von Kaiser Franz Joseph zu lebenslänglicher Haft begnadigt und von Kaiser Karl bald nach dessen Amtsantritt in Freiheit gesetzt. Es gelang, die Spur Markows weiter zu verfolgen, und so kann mit Sicherheit gesagt werden, dass Markow 1918 in Prag war, sich 1923 wieder in Wien aufhielt und sich schließlich in Sabinov in der Ostslowakei niederließ, wo sich schließlich 1942 seine Spur verliert.

In den von Maria-Luise Janota (Alcide de Gasperi) und Andreas Pittler (alle übrigen) verfassten Porträts spiegelt sich die Dramatik der Jahre, in denen die Habsburger-Monarchie auseinander fiel und mit ihr die alte europäische Ordnung versank. Im Blick auf den jetzt anstehenden großen Schritt der europäischen Einigung läßt sich, Willy Brandt paraphrasierend, sagen: Es wächst zusammen, was schon einmal zusammen war.

Das Buch "Von der Donaumonarchie zum vereinten Europa" ist im Verlag Wieser in Klagenfurt erschienen, hat 291 Seiten und ist zum Preis von 19,80 Euro im Buchhandel erhältlich.


Khol heißt neue EU-Mitglieder mit Festakt herzlich willkommen
Mit einer Festveranstaltung im Parlament unterstrichen Nationalratspräsident Andreas Khol und Bundesratspräsident Herwig Hösele dann die Bedeutung der Unterzeichnung der EU-Beitrittsverträge mit zehn europäischen Ländern in Athen. "Wir wollen mit diesem Freudenakt die zehn neuen Mitglieder der Europäischen Union herzlich willkommen heißen", betonte Khol, der zur Festveranstaltung im Hohen Haus nicht nur zahlreiche österreichische Politiker, sondern auch die Botschafter der derzeitigen und künftigen Mitglieder der Europäischen Union und die Gesundheitsminister Dänemarks, Griechenlands, Sloweniens und Zyperns begrüßen konnte.

In seiner Eröffnungsrede erinnerte Khol an eine Rede des damaligen österreichischen Bundeskanzlers Josef Klaus 1964 in Straßburg vor dem Europäischen Parlament. Er sei ein Europäer, habe Klaus gemeint und darauf hingewiesen, dass das europäische Haus zwei Flügel habe. "Heute können wir feststellen, der zweite Flügel ist gebaut", sagte Khol, er sei zwar noch nicht vollständig bezogen, aber die neuen EU-Mitglieder zeigten, dass das europäische Haus seiner Vollendung entgegen gehe. "Wir wollen mit Ihnen zusammenarbeiten, kulturell, politisch und wirtschaftlich", bekräftigte der Nationalratspräsident in Richtung der neuen EU-Mitglieder.

Der Botschafter Griechenlands Christos Alexandris erklärte, er freue sich als Grieche und als Europäer "in einem Tempel der Demokratie" die neuen EU-Mitglieder begrüßen zu können. Durch die Unterzeichnung der EU-Beitrittsverträge mit zehn europäischen Ländern wird seiner Meinung nach der Begriff des sich weiterentwickelnden Europas deutlich zum Ausdruck gebracht. Ein gespaltenes Europa existiere nicht mehr, unterstrich Alexandris, ebenso wenig wie es ein altes und ein neues Europa gebe. Alexandris erinnerte auch an die Geburtsstunde des europäischen Gedankens und meinte, auf den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkriegs, in den Ruinen und in den Konzentrationslagern sei dieser europäische Gedanke "die Vision der Sterbenden und die Hoffnung der Überlebenden" gewesen.

Jiri Grusa, der Botschafter der Tschechischen Republik, sprach stellvertretend für die neuen Mitgliedstaaten die Symbolik des Ortes an und meinte, die Tschechen hätten ein Jahrhundert gebraucht, um dorthin zu gelangen, wo sie einst waren. Tschechen, Polen, Slowaken, Ungarn und Slowenen stehen nun wieder gemeinsam mit den Österreichern in diesem Parlament, und gemeinsam mit Litauern, Letten, Esten, Maltesern und Zyprioten betreten sie den Boden der Europäischen Union - zivil, bescheiden und dennoch stolz, sagte er.

Als Vertreter jener Völker, die ein Europa erlebt haben, "in dem Demokratie mehr Wunsch als Wirklichkeit war", drückte Grusa den Bürgern der EU-Staaten seine Dankbarkeit aus, Dankbarkeit dafür, dass sie die neuen Staaten wollten, wollen und wollen werden. In Anspielung an die Werte der griechischen Polis, Mut und Weisheit, bezeichnete Grusa die Aufnahme der neuen Mitgliedstaaten als mutig und weise. Die Beitrittsstaaten seien gleichzeitig alt und neu - alt als Kulturen und neu als Freunde und Partner.

Bundesratspräsident Herwig Hösele begrüßte die Erweiterung als Europäisierung des Kontinentes und bemerkte in Anspielung an ein Zitat von Papst Johannes Paul II, Europa atme nun mit beiden Lungen. Die europäische Idee sei mehr als eine Kapitalgesellschaft mit beschränkter Haftung, Europa bedeute Einheit in der Vielfalt und stehe vor allem für eine Konzeption der Demokratie, der universellen Menschenrechte und des Friedens. Entscheidend ist für Hösele dabei, dass dieser Gedanke von den Bürgern Europas gemeinsam getragen werde. Die überwältigenden Ergebnisse der bisherigen EU-Referenden in Slowenien, Ungarn und Malta seien ein ermutigendes Signal für die notwendige Akzeptanz und drücken gleichzeitig eine verpflichtende Hoffnung aus, die es zu erfüllen gilt, meinte Hösele. In diesem Sinn betrachtete der Bundesratspräsident den heutigen Tag als Tag der Freude, als Auftrag und Ansporn, das gemeinsame europäische Haus weiter auszubauen.

Im Rahmen der Festveranstaltung wurde als Willkommensgruß an die neuen EU-Mitglieder auch das von der Parlamentsdirektion herausgegebene Buch "Von der Donaumonarchie zum vereinten Europa" präsentiert. Darin werden 20 Abgeordnete des österreichischen Reichsrates porträtiert - sechs Slowenen, drei Italiener, sieben Tschechen, drei Polen, ein Ukrainer - die damals bzw. später in ihren Heimatländern Geschichte schrieben
     
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