Erklärung des Bundeskanzlers   

erstellt am
28. 04. 03

aus Anlass der 58. Wiederkehr des Tages der Wiedererrichtung der Republik Österreich am 27.4.1945

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Heute vor 58 Jahren, am 27. April 1945, wurde mit der Wiedererrichtung der Republik der Grundstein für die Erfolgsgeschichte des "neuen Österreich" gelegt. Es lag an den Österreicherinnen und Österreichern, diese Wiederrichtung mit Leben zu erfüllen - und unser Land tatsächlich aus Schutt und Asche aufzubauen und aufzurichten. Die Menschen in unserer Heimat haben diese Chance der Geschichte unter großen Entbehrungen, mit großem Einsatz und mit dem unumstößlichen Glauben an eine bessere Zukunft auf beeindruckende Weise genützt.

Das, was unsere Eltern und Großeltern angetrieben und geeint hat, war eine gemeinsame Vorstellung und eine Vision von einer Zukunft in Sicherheit, Wohlstand und in Freiheit. Das hat sie verbunden, geeint und zusammengehalten - und dieses gemeinsame Ziel hat die darauf folgende Erfolgsgeschichte Österreichs erst ermöglicht. Die Lehre der Nachkriegszeit und der Jahre danach zeigen eines ganz klar: Ohne sozialen Zusammenhalt, ohne das Miteinander beim Lösen von Herausforderungen und Problemen lässt sich keine gemeinsame Zukunft bauen. Und diese Lehre gilt auch heute noch.

Die Zeiten haben sich natürlich verändert. Aber immer noch stehen wir vor der Aufgabe, gemeinsam Zukunft zu bauen, zu ermöglichen. Wir brauchen heute nichts wiederauf-bauen, aber wir müssen vor-bauen. Das ist die große Verantwortung heutiger Politik. Was wir heute tun oder nicht tun, entscheidet über die Zukunft der jungen Menschen, der Kinder und der künftigen Generationen. Der für uns alle so wichtige Wert der Solidarität endet ja nicht Hier und Jetzt, denn Solidarität muss besonders im Verhältnis zwischen den Generationen gelten. Das wurde in Österreich nicht immer gleich wichtig genommen. Statt Chancen wurden jungen Menschen Schulden auf den Weg in die Zukunft mitgegeben. Deshalb geht es heute mehr denn je um die Solidarität mit den Jungen. Auch sie haben das Recht auf eine Zukunft in Sicherheit und Wohlstand und dafür müssen wir heute die richtigen Entscheidungen treffen - und nicht später.

UN-Generalsekretär Kofi Annan, der in den vergangenen Tagen bei uns in Wien war, hat sehr treffend gesagt, dass es gegen die Ungerechtigkeiten und sozialen Klüfte ein "neues Band der Solidarität" braucht. Und dieses Band müssen wir über die Generationen hinweg knüpfen und weben - so, dass jede und jeder darin eingebunden ist, so, dass sich wirklich jeder darauf verlassen kann.

Diese Regierung hat wie keine zuvor die Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt unserer Politik gestellt. Das heißt nichts Anderes, als dass wir mit den Chancen kommenden Generationen sorgsam und sorgfältig umgehen müssen, dass wir die Handlungsspielräume unserer Kinder nicht durch falsche Maßnahmen und Mangel an Verantwortung einengen dürfen. Das Nachhaltigkeitsprinzip erfordert eine Politik, bei der Maßnahmen von heute auch morgen und übermorgen noch halten.

Die Republik des Jahres 1945, deren "Geburtstag" wir heute begehen, wird Anfang des 21. Jahrhunderts in demografischer Hinsicht immer älter. Die Zahl der älteren Menschen in Österreich steigt und steigt. Die durchschnittliche Lebenserwartung ist in den letzten 30 Jahren um 8 Jahre gestiegen. Waren im Jahr 2001 1,7 Millionen Österreicher über 60, so werden dies im Jahr 2020 bereits 2,3 Millionen und im Jahr 2040 fast 3 Millionen sein. Das bedeutet einen Anstieg der älteren Generation von rund 70 % und leider sinkt im Gegenzug dazu die Zahl der Kinder und Jugendlichen von 1,6 Millionen auf 1,3 Millionen im Jahr 2041.

Dieser Bevölkerungswandel wird das Gesicht unserer Republik nachhaltig verändern. Auf der einen Seite bringt er phantastische Lebenschancen und Entwicklungen für die Älteren, auf der anderen Seite aber enorme Risken für die Jungen. Wir gewinnen eine zusätzliche Generation. Aber der Bevölkerungswandel stellt ganz neue Herausforderungen an unsere Institutionen, an unser Verständnis, was eigentlich gerecht und "sozial" ist - und was diesen Anspruch nicht erheben kann.
   

Wir müssen uns fragen:
- Ist es sozial, wenn immer weniger aktive Erwerbstätige immer mehr Pensionen in umlagefinanzierten Pensionssystem finanzieren müssen, ohne selbst automatisch und garantiert die Chance auf eine angemessene Absicherung im Alter zu haben?
- Ist es sozial, wenn wir ohne viel nachzudenken das Geld, das morgen erst verdient werden muss, heute schon ausgeben?
- Ist es sozial, wenn unser Gesundheitssystem heute zwar den Zugang zur Spitzenmedizin für alle anbietet, zugleich aber viele Finanzierungsfragen von morgen nicht gelöst sind.

Wir suchen nach ehrlichen Antworten auf diese Fragen. Gerade angesichts des Bevölkerungswandels müssen wir den Begriff "sozial" sorgfältig neu definieren, und wir müssen unsere Systeme in allen Bereichen "fit" für eine älter werdende Gesellschaft machen.

Deswegen führt kein Weg an Reformen vorbei. Unser Reformkurs ist kein Selbstzweck. Wir wissen: Wer den sozialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen Kindern und Eltern auch für morgen sichern will, der muss heute handeln. Wer die notwendigen Reformen vor sich herschiebt, gefährdet den sozialen Zusammenhalt, weil dann statt behutsamer Reformen irgendwann einmal schmerzliche Einschnitte und tiefgreifende notwendig werden.

Dass wir mit Augenmaß, Sensibilität, mit großer Aufmerksamkeit gegenüber den Sorgen der Menschen und mit dem Ziel der Gerechtigkeit diese Pensionssicherungsreformen umsetzen, dafür stehe ich, dafür steht der Vizekanzler, dafür steht jedes einzelne Mitglied der Bundesregierung. Auch bei der Pensionssicherungsreform von morgen, das will ich hier ganz deutlich betonen, sind deshalb die 2 Millionen bestehenden Pensionisten, die jetzigen Pensionisten, gar nicht betroffen. In ihre Pensionen wird nicht eingegriffen. Auch für alle, die jetzt schon in Pension gehen können, wird sich nichts ändern, für sie bleibt alles gleich. Keine längere Wartezeit, keine weiteren Abstriche.

Deswegen ist es mir völlig unverständlich, dass heute manche von einem "sozialen Krieg in Österreich" sprechen, wenn notwendige Reformen am Programm stehen. Schon diese Wortwahl ist eigentlich unannehmbar, sie steht in absolutem Gegensatz zu dem, was Österreich erfolgreich und sicher gemacht hat. Wem die Zukunft unseres Landes und der heutigen und künftigen Generationen ein ehrliches Anliegen ist, der sollte mit seinen Worten wie mit den Ansprüchen Maß halten.

Wir müssen aufhören, auf Kosten der Zukunft und der nächsten Generationen zu leben, denn es gibt nichts Unsozialeres als dieses Verhalten. Die Umwelt zu erhalten, Investitionen in die Zukunft - Bildung, Forschung, Infrastruktur - zu ermöglichen und die sozialen Sicherungssysteme langfristig finanzierbar zu halten ist ein wichtiges, es ist unser Ziel. Es ist unsere Verantwortung, Zukunft zu bauen - und nicht Zukunft zu verbauen.


Sehr geehrten Damen und Herren!

Genauso, wie ein Leben in Demokratie und Freiheit keine Selbstverständlichkeit auf der Welt ist, so ist auch ein Leben in Sicherheit und Wohlstand nicht so einfach und nicht so selbstverständlich. Das wissen gerade die älteren Mitbürger, die Österreich wiederaufgebaut haben. Sie haben hart gearbeitet, um sich ihre Existenz zu sichern und eine bessere Zukunft aufzubauen. Ihre Leistungsbereitschaft kann man gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Aber diese Leistungsbereitschaft ist auch heute mehr denn je gefragt: in einer internationalen Wirtschaftswelt müssen wir uns unser Wirtschaftswachstum und unseren Wohlstand Tag für Tag auf´s Neue verdienen und Österreich hat bewiesen, wie erfolgreich wir in diesem Wettbewerb sein können. Wir setzen uns ein ambitioniertes Ziel: Wir wollen künftig eines der Top-3-Länder im Bereich der Erwerbs- und Beschäftigungsquote in Europa sein. Und wir sind auf gutem Weg: Beim aktuellen Zwischenbericht zur sogenannten Lissabon-Strategie, mit der die EU bis zum Jahr 2012 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt aufsteigen soll, liegt Österreich in der Gesamtwertung schon auf dem 5. Platz. Wir haben uns damit gegenüber dem Vorjahr um drei Plätze verbessert. Heute schauen wir nicht mehr neidvoll auf die wirtschaftlichen Erfolge anderer. Andere Länder schauen manchmal und in bestimmen Bereichen bereits ihrerseits darauf, wie es die Österreicher machen.

Die Voraussetzungen für ein wirtschaftlich und sozial erfolgreiches Österreich sind keineswegs schlechter geworden, sie sind besser geworden. Das hängt sehr eng mit Europa zusammen: Denn mehr Europa, ein erweitertes, ein vertieftes, ein handlungsfähiges Europa ist einfach besser für uns, besser für Österreich. Die Nachkriegsgeneration hat es noch am eigenen Leib erlebt, als der Eiserne Vorhang Europa geteilt hat, hinter dem Diktatur und Unterdrückung die Lebenschancen der Menschen massiv eingeschränkt oder gar zerstört haben. Die Teilung Europas in West und Ost ist ja nur wenige Wochen vor der Wiedererrichtung unserer Republik in Jalta beschlossen worden. Der jungen Republik Österreich wurde damals ein Platz am Rand des westlichen Europa zugewiesen - abgeschnitten von den einst prosperierenden wirtschaftlichen und kulturellen Austauschländern, die historischen Nachbarn und Partnern.

Mit der in Athen fixierten Erweiterung der Europäischen Union sind wir nun endlich dort, wo wir nach unserem Selbstverständnis immer hingehören und immer hingehört haben: Im Herzen eines vereinten Europas, im Zentrum von Sicherheit, Frieden und Stabilität. Wer dies im April 1945 prognostiziert, ja geträumt hätte, wäre als unverbesserlicher Phantast abqualifiziert worden.

Vor 58 Jahren ging es darum, funktionierende und verlässliche Institutionen unserer Republik aufzubauen, heute geht es darum, die Institutionen der Europäischen Union - bürgernahe und auf die Bedürfnisse einer erweiterten Union zugeschnitten - weiter zu bauen.

Die Ereignisse der letzten Wochen und Monate rund um den Irak-Krieg haben uns gezeigt, wie ohnmächtig Europa in manchen Situationen ist, nämlich dann, wenn wir nicht die gleichen Ziele teilen. Es ist daher höchste Zeit Europa in der Außen- und Sicherheitspolitik handlungsfähig zu machen.

Meine Damen und Herren!

2003 ist das Europäische Jahr der Menschen mit Behinderung. Es ist uns ein gemeinsames Anliegen, dieses Jahr so zu nützen, um für jene mehr Fairness zu schaffen, die es im Leben wirklich schwer haben. Denn behindert ist man nicht - behindert wird man. Wir wollen ein Österreich, bei dem niemand am Weg in die Zukunft behindert oder gar zurückgelassen wird, ein Österreich, das wirtschaftlich und sozial stark ist, ein Österreich, das wirklich für alle Generationen da ist.

Das Denken an die Wiedererrichtung der Republik Österreich am 27.4.1945 wollen wir nicht nur nützen, um uns auf Demokratie und Rechtsstaat als die Grundlagen unserer Werte zu besinnen, sondern auch darauf, dass es vor allem der soziale Zusammenhalt der Menschen war, der Österreich so erfolgreich gemacht hat. Deshalb gilt gestern wie heute: Sozial ist, was die Zukunft für alle sichert.
     
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