Sprachverständnis bei Frauen zyklusabhängig  

erstellt am
09. 05. 03

Bonn (alphagalileo) - Welche Bedeutung ein Wort hat, erkennen wir normalerweise „mit links“: Im linken Schläfenlappen unseres Gehirns sitzt das so genannte Wernicke-Areal, zuständig für das Sprachverständnis. Rechts gibt es die gleiche anatomische Region noch einmal, sie wird aber normalerweise nicht für das Sprachverständnis genutzt – so zumindest die gängige Lehrmeinung. Hirnforscher der Universitäten Köln und Bonn haben nun jedoch herausgefunden, dass Frauen zu bestimmten Zeiten des Menstruations-Zyklus die Areale in beiden Hirnhälften nutzen. Ihre sprachlichen Fähigkeiten bleiben davon unbeeinflusst. Bei Männern dagegen ist – von wenigen Ausnahmen abgesehen – immer das linke Wernicke-Areal für das Sprachverständnis zuständig. Die Hirnforscher haben ihre Ergebnisse in der aktuellen Ausgabe des renommierten „Journal of Neuroscience“ (Band 23(9), Seiten 3790 –3795) veröffentlicht.

Die Wissenschaftler um Dr. Guillén Fernández von der Bonner Klinik für Epileptologie, der momentan auch am Centre for Cognitive Neuroimaging in Nijmegen forscht, untersuchten zwölf gesunde Frauen von 22 bis 34 Jahren mittels funktioneller Kernspintomographie. Mit diesem Verfahren lassen sich Durchblutungsänderungen im Gehirn sichtbar machen; gut durchblutete Regionen sind in der Regel besonders aktiv. „In der Klinik für Epileptologie nutzen wir die Methode beispielsweise routinemäßig, um vor Hirnoperationen die Sprachareale zu lokalisieren“, erklärt Dr. Fernández.

Manche Formen der Epilepsie lassen sich bis heute medikamentös nicht behandeln. In diesen Fällen versuchen die Mediziner, die Zellregion im Gehirn, von der die Anfälle ihren Ausgang nehmen, chirurgisch zu entfernen. Häufig liegen die kranken Zellen in einem der beiden Schläfenlappen – gelegentlich also auch dort, wo sich das Wernicke-Areal befindet. Ein falscher Schnitt kann daher schwerwiegende Folgen haben. „Um die Sprachareale zu identifizieren, zeigen wir unseren Patienten eine Reihe von Wortpaaren; sie müssen entscheiden, ob es sich um Synonyme handelt oder nicht. Dabei beobachten wir kernspintomographisch, welche Hirnbereiche bei dieser Aufgabe aktiv sind.“ Die Wissenschaftler kamen nun auf die Idee, dieses Verfahren auch zur Untersuchung hormoneller Effekte auf das Gehirn zu nutzen. Schließlich war bereits aus anderen Studien bekannt, dass sich die natürlichen hormonellen Schwankungen während des Menstruationszyklus auf Stimmung und Raumwahrnehmung von Frauen auswirken.

Die Teilnehmerinnen sollten für 180 Substantiv-Paare jeweils innerhalb von vier Sekunden entscheiden, ob es sich um Synonyme handelte oder nicht. Während des Tests registrierten die Mediziner, welche Hirnareale ihrer Probandinnen aktiv waren. Die Frauen mussten den Synonymtest einmal während der Menstruation durchführen – zu dieser Zeit sind die Steroidhormon-Spiegel besonders niedrig. Ein zweiter Durchgang erfolgte in der so genannten midlutealen Phase einige Tage nach dem Eisprung, also zu einer Zeit, zu der die Konzentration der Steroidhormone Progesteron und Östrogen ein Maximum annimmt. „Während der Menstruation nutzten die Probandinnen zur Lösung des Synonym-Tests hauptsächlich das linke Wernicke-Areal; in der midlutealen Phase waren dagegen die entsprechenden Areale sowohl des linken als auch des rechten Schläfenlappens aktiv“, fasst Dr. Fernández die Ergebnisse zusammen.

Hirnregionen, die an der Wahrnehmung von bedeutungslosen Buchstabenfolgen beteiligt sind, bleiben von den Hormonschwankungen unbeeinflusst: Zu diesem Ergebnis kamen die Wissenschaftler, als sie ihren Testpersonen 180 Paare von Buchstabenfolgen präsentierten. 90 dieser Paare waren identisch, die anderen 90 unterschieden sich jeweils durch einen Buchstaben; die Probandinnen sollten innerhalb von vier Sekunden entscheiden, welche der Folgen gleich waren. Hier unterschieden sich die Aktivitätsmuster während der Menstruation sowie in der midlutealen Phase nicht.

Einen Zusammenhang zwischen den sprachlichen Fähigkeiten ihrer Probandinnen und der Zyklusphase beobachteten die Wissenschaftler übrigens nicht: Die Trefferquote der zwölf Frauen lag bei beiden Aufgaben unabhängig vom Hormonlevel immer bei 95 Prozent.
     
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