Pollen am Grunde der Eifelmaare als detailliertes Klimaarchiv
Bonn (alphagalileo) - Pollenkörner aus längst vergangenen Zeiten lagern am Grund der Eifelmaare.
Jahr für Jahr bettet sich dort eine neue Sedimentschicht mit den winzigen, zum Teil bizarr geformten Körnern
zur ewigen Ruhe. Paläobotaniker der Universität Bonn können aus diesen "Jahresringen"
im Seesediment das Klima der Vergangenheit ablesen - wichtig beispielsweise, um einzuordnen, ob die aktuelle Wärmeperiode
eine natürliche Schwankung oder "hausgemacht" ist.
Für Allergiker sind sie mehr als lästig: Pollen von Hasel oder Erle, Roggen oder Wildgräsern lassen
Augen und Nase triefen und Heuschnupfen-Geplagte Zuflucht in hermetisch abgedichteten Räumen suchen. Unter
dem Mikroskop entfaltet der feine Staub aber eine ganz besondere Ästhetik: Das Korn der Schafgarbe ist stachelig
wie ein winziger Igel, der Kieferpollen ähnelt mit seinen Luftsäcken einem pausbäckigen Gesicht,
"und sehen Sie mal den Ölbaum", begeistert sich Professor Dr. Thomas Litt, "der hat auch ein
sehr schönes Pollenkorn."
Der Bonner Paläobotaniker erkennt meist schon auf den ersten Blick, von welcher Gattung oder Art seine Untersuchungsobjekte
stammen - selbst dann, wenn sie schon einige tausend Jahre alt sind. Denn die Pollenhülle widersetzt sich
erfolgreich dem Zahn der Zeit. "Das Material ist äußerst resistent gegen Umwelteinflüsse und
widersteht sogar starken Säuren oder Laugen", erklärt Professor Litt. Gut für die Wissenschaftler:
Mit Flusssäure oder Kalilauge lösen sie die Pollenkörner aus den Sedimentproben; die Körner
zeigen sich von der rabiaten Behandlung völlig unbeeindruckt. Unter dem Mikroskop werten die Botaniker dann
aus, wie viel Pollen von welcher Art in der jeweiligen Schicht vorhanden ist.
Bohrkerne aus dem Sediment der Eifelmaare können - fein säuberlich übereinander geschichtet - Pollen
der letzten 10.000 bis 15.000 Jahre enthalten. In einem würfelzuckergroßen Bröckchen sind bis zu
200.000 Körner eingeschlossen: eine wahre Fundgrube. Je tiefer die Schicht, aus der die Pollenkörner
stammen, desto älter sind sie. "An interessanten Stellen entnehmen wir einem solchen Bohrkern jeden Zentimeter
Material; so erreichen wir eine zeitliche Auflösung von wenigen Jahren." An der zunehmenden Häufigkeit
von Kräuterpollen kann der Paläobotaniker so den Beginn des Ackerbaus in der Jungsteinzeit vor 7.000
Jahren nachvollziehen, an anderen Pollenprofilen sogar die "Pestdelle" Mitte des 14. Jahrhunderts, als
der schwarze Tod die Landwirtschaft hierzulande fast gänzlich zum Erliegen brachte.
Sein eigentliches Interesse gilt aber den Klima-Informationen, die in den botanischen Archiven stecken. Zusammen
mit den Bonner Meteorologen haben die Paläobotaniker ein Verfahren entwickelt, mit dem sie anhand des Pollenvorkommens
recht genaue Aussagen über Temperatur und durchschnittliche Niederschlagsmenge zur Zeit der Funde treffen
können. Dazu haben sie für verschiedene Arten untersucht, in welchem Temperatur- und Feuchtebereich sie
vorkommen. "Finden wir nun in einem Präparat Pollen mehrerer Arten, deren Standortansprüche wir
kennen, können wir eine Wahrscheinlichkeitsaussage über das damalige Klima treffen", erklärt
Professor Litt.
Mit dieser Methode untersucht der Paläobotaniker anhand von Schichten aus dem Tagebau beispielsweise die so
genannte Eemwarmzeit vor gut 120.000 Jahren - die letzte Warmzeit, deren Verlauf vom Menschen noch unbeeinflusst
war. "So können wir abschätzen, ob die aktuell beobachtete Erderwärmung im normalen Rahmen
liegt oder tatsächlich durch den Menschen mitverursacht wird." Durch Veränderungen der Sonnenaktivität
oder der Erdbahnparameter kam es nämlich in der Vergangenheit regelmäßig zu enormen Klimaschwankungen.
"Wir konnten bei unseren Pollenanalysen feststellen, wie unglaublich schnell die Vegetation einen derartigen
Wandel nachvollzieht - manchmal schon innerhalb weniger Jahre", so Professor Litt. Wie gut sich dieses Verfahren
für die Paläoklimaforschung eignet, haben unter anderem Vergleiche mit Untersuchungen im Gletschereis
Grönlands ergeben: Das Verhältnis unterschiedlich schwerer Sauerstoff-Varianten im Eis erlaubt ebenfalls
ziemlich genaue Rückschlüsse auf die damalige Temperatur. Über weite Zeiträume verlaufen die
klimatischen Fieberkurven bei beiden Methoden nahezu parallel. "Wir treffen aber klimatische Aussagen über
Europa und damit über einen bedeutenden Lebensraum des Menschen."
Wie sich unser Klima in Zukunft entwickeln wird, vermag der Wissenschaftler auch nicht zu sagen - nur so viel:
"In den letzten 500.000 Jahren dauerten die Warmzeiten durchschnittlich 11.000 Jahre; danach folgte eine Periode
der Abkühlung. Dieser Zyklus Warmzeit-Kaltzeit wiederholte sich alle 100.000 Jahre." Schlechte Aussichten:
Unsere aktuelle Warmzeit begann nach den Untersuchungen der Jahresschichten in den Eifelmaaren vor ziemlich genau
11.590 Jahren. |