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Sozialmaßnahmen und deren Modifikationen auf dem Prüfstand
Im Nationalrat breite Diskussion über Sozialpolitik
Wien (pk) - Nationalratspräsident FISCHER gab vor Eingang in die Tagesordnung bekannt, dass
ÖVP und FPÖ eine Dringliche Anfrage an Vizekanzlerin Dr. Riess-Passer zum Thema "ungerechtfertigt
hohe Anzahl an krankheitsbedingten Ruhestandsversetzungen bei den staatsnahen Unternehmen, insbesondere bei den
ÖBB" eingebracht haben.
Darüber hinaus haben die Grünen beantragt, über die Anfragebeantwortung 3679/AB zur schriftlichen
Anfrage 3707/J betreffend "Förderung von frauenspezifischen Projekten" durch den Bundesminister
für Wirtschaft und Arbeit eine Kurzdebatte durchzuführen. Diese findet im Anschluss an die Diskussion
über die Dringliche Anfrage statt.
Die beiden Koalitionsfraktionen brachten zwei Fristsetzungsanträge ein. Sie wollen dem Innenausschuss zur
Vorbehandlung des Antrages 680/A betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Versammlungsgesetz geändert wird,
sowie zur Vorbehandlung der Regierungsvorlage 1172 d.B., durch die das Fremdengesetz, das Asylgesetz und das Ausländerbeschäftigungsgesetz
geändert werden soll, eine Frist bis zum 8. Juli 2002 setzen.
Erster Punkt der Tagesordnung der heutigen Sitzung des Nationalrats war die Erste Lesung des Sozialstaat-Volksbegehrens.
717.102 Österreicherinnen und Österreicher haben dieses Volksbegehren unterschrieben, das u.a. die Verankerung
des Sozialstaats in der Verfassung und eine Abschätzung von sozialen Auswirkungen von Gesetzen fordert. Begründet
wurden die Forderungen der Initiative damit, dass in Europa unter Hinweis auf wirtschaftliche Zwänge eine
Offensive zur Schwächung des Sozialstaats laufe und soziale Leistungen gekürzt würden.
Sozialstaat und soziale Stabilität seien untrennbar mit dem österreichischen Weg verbunden, eröffnete
SP-Vorsitzender Abgeordneter Dr. GUSENBAUER die Debatte und dankte den Proponenten des Volksbegehrens für
ihre Initiative. Jene Staaten, die sich für den Weg des Sozialstaats entschieden hätten, seien die reichsten,
die sozial ausgeglichensten und die stabilsten. Zum Organisationsmuster des Sozialstaats gehöre, dass mehr
beitrage, wer über mehr verfüge, und weniger, wer weniger habe, sagte Gusenbauer. Dies sei wichtig, wenn
die budgetären Spielräume enger werden. In der Bewertung von Maßnahmen sei darauf zu sehen, wie
sie sich auf den durchschnittlichen ArbeitnehmerInnen auswirken und ob dieser "mehr beitrage als der Herr
Prinzhorn". Anhand von Maßnahmen wie Besteuerung der Unfallrenten, Ambulanz- und Studiengebühren
sowie Kürzung des Familienzuschlags für Arbeitslose diagnostizierte Gusenbauer eine "soziale Schieflage".
Das Nulldefizit - das nicht einmal erreicht werde - sei ein "Propagandatrick" zum Abbau des Sozialstaats,
sagte Gusenbauer weiter und trat für eine sozial verträgliche Budgetsanierung in Form von Investitionen
in Arbeitsplätze ein. Der wirkliche Hintergrund der Belastungswelle sei die Einführung einer Zwei-Klassen-Gesellschaft,
warf der Redner der Regierung vor, und belegte seine These mit Beispielen aus dem Gesundheitsbereich, der Bildung
und der Sozialversicherung. Das Volksbegehren sei eine Absage an diesen Kurs; konkret befürwortete Gusenbauer
die Einführung einer Überprüfung der sozialen Verträglichkeit von Maßnahmen.
Dass die Proponenten des Volksbegehrens ihr Ziel von 1 Million Unterschriften verfehlt haben, führt Abgeordneter
GAUGG (F) auf die Unterstützung durch die SPÖ zurück und betonte, die Anliegen des Volksbegehrens
ernst zu nehmen. Gaugg bekannte, vor zwei Jahren bei der Zusammenführung von Arbeit und Wirtschaft in der
Hand eines Ministers skeptisch gewesen zu sein, es habe sich aber als gute Entscheidung erwiesen.
Der freiheitliche Sozialsprecher listete dann die sozialen Leistungen der schwarz-blauen Koalitionsregierung auf:
Kindergeld, höhere Familienbeihilfe, Abfertigung Neu, gemeinsame Obsorge, Mediation, Familienhospizkarenz
und Pflegegeld für behinderte Kinder ab der Geburt. Unter keinem Sozialminister sei sozial so viel geschehen
wie unter Herbert Haupt, meinte Gaugg und fügte der genannten Liste die Behindertenmilliarde und die Verbesserungen
in der Kriegsopferentschädigung an - Leistungen, die auch die SPÖ anerkennen müsse.
Die Proponenten des Volksbegehrens hätten sich die Vereinnahmung durch Politiker nicht verdient, erklärte
Abgeordneter Dr. SPINDELEGGER (V). Die "spannende Frage", um die es gehe, laute: Wie können wir
den Sozialstaat erhalten? Als Antwort auf diese Frage seien heute andere Konzepte nötig als in der Vergangenheit,
meinte der Redner, und setzte sich dann mit der Forderung des Volksbegehrens auseinander, den Sozialstaat in der
Verfassung zu verankern. Er erteilte dieser Forderung aus rechtspolitischen wie sozialpolitischen Gründen
eine Absage und brach eine Lanze für das "Prinzip Eigenverantwortung". Kritisch wandte er sich in
diesem Zusammenhang gegen die grundsätzliche Ablehnung von Selbstbehalten im Volksbegehren. Man könne
nicht alles dem Staat überwälzen, betonte Spindelegger seinen Standpunkt, und führte die gestern
beschlossene Mitarbeitervorsorge als Gegenbeispiel an. Auch der für die Gesellschaft nötige Zusammenhalt
werde nicht durch die Verankerung in der Verfassung gewährleistet, vielmehr sei jeder in seinem Bereich dafür
verantwortlich, argumentierte Spindelegger.
Abgeordnete Dr. PETROVIC (G) wies zunächst darauf hin, dass im europäischen Vergleich nur Großbritannien
und Österreich keine Verankerung des Sozialstaats in der Verfassung hätten. Eine entsprechende Verankerung
bewirke auch keine einfachgesetzliche Sicherheit, meinte Petrovic und trat für die verfassungsrechtliche Absicherung
des sozialstaatlichen "Kernbereichs" ein. Vehement votierte die Rednerin für die Prüfung der
sozialen Auswirkungen von Gesetzen; diese seien wichtiger als die Prüfung, ob damit den Maastricht-Kriterien
entsprochen werde. Kritisch bemerkte sie, dass auch - trotz zweimaligen Beschlusses im Ministerrat - die Auswirkungen
auf Frauen und Männer nicht überprüft und dargestellt würden.
Private Vorsorge sei selbstverständlich; es gehe aber darum, welcher Kern der Vorsorge als öffentliche
Aufgabe wahrzunehmen sei, führte die Mandatarin weiter aus. Sie beklagte, dass es in Österreich keinen
"Mindestsockel" sozialer Absicherung gebe, und forderte die Einführung einer "echten Mindestpension"
- anstelle der Ausgleichszulage - in der Pensionsversicherung als ersten Schritt zu einer allgemeinen Grundsicherung.
Auch Sozialminister Mag. HAUPT dankte den Unterzeichnern des Volksbegehrens, weil sie damit für die Weiterentwicklung
des Sozialstaats eingetreten seien. Der soziale Grundkonsens sei eher ausschlaggebend als die Verankerung des Sozialstaats
in der Verfassung, gab der Minister zu bedenken. Ähnlich seinem Parteifreund Gaugg nannte der Ressortchef
eine Liste von Maßnahmen: Abfertigung Neu, Pensionsreform, hohe Frauenbeschäftigung, steigende Zahlen
bei Mädchen in AHS, mehr Frauen als Ordinarien, Zusammenlegung der beiden großen Pensionsversicherungsanstalten.
Die Ambulanzgebühren seien für die Bürger kostengünstiger als die seinerzeit diskutierte Alternative
der Erhöhung der Beiträge, betonte der Minister und verwies auf den Lenkungseffekt der Maßnahme.
Die Erhöhung der Kosten für den Krankentransport in Wien belaste die Bürger mehr; der Anstieg der
Sozialquote sei Beweis dafür, dass die Regierung den Sozialstaat nicht gefährdet, sondern ausbaut, schloss
Haupt. |
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Stolz auf den "ausgebauten Sozialstaat" zeigte sich dann Wirtschafts- und Arbeitsminister Dr. BARTENSTEIN
und skizzierte die Stellung der Regierung zur Weiterentwicklung des Sozialstaats, wobei er ebenfalls auf getroffene
Maßnahmen zu sprechen kam. Es brauche einen Leistungsstaat, um den Sozialstaat zu ermöglichen, betonte
er. Die Finanzierbarkeit des Pensionssystems müsse auch im Blick auf die demographische Entwicklung sicher
gestellt werden, wozu durch Pensionsreform und rückläufige Frühpensionierungen beigetragen worden
sei. Wer den Sozialstaat weiter entwickeln will, brauche Mut zur Veränderung, sagte Bartenstein und führte
das Kindergeld an. Im Weiteren kam er auch auf die Mitarbeitervorsorge, die Familienhospizkarenz, die Behindertenmilliarde
und das Pflegegeld ab Geburt zu sprechen. "Sozial ist, was Arbeit schafft", fasste der Wirtschaftsminister
seinen Standpunkt abschließend zusammen.
Wenn man schon wie der Abgeordnete Spindelegger von sozialer Haltung und Verantwortung spricht, dann soll man aber
keine Kindesweglegung betreiben, meinte Abgeordneter VERZETNITSCH (S). Tun Sie nicht so, als ob in den letzten
zwei Jahren die Arbeitnehmer nicht belastet wurden! Er erinnerte in diesem Zusammenhang an den Entfall des Postensuchtages,
die De facto-Halbierung des Arbeitnehmerabsetzbetrages, die höhere Besteuerung der Urlaubs- sowie der Kündigungsentschädigung,
die unsoziale Ambulanzgebühr etc. Was die Abfertigung Neu betrifft, so sei er froh darüber, dass durch
das Zusammenwirken aller schließlich ein gutes Produkt herausgekommen ist. Man solle aber nicht vergessen,
dass im ursprünglichen Entwurf z.B. die Saisoniers nicht berücksichtigt worden sind. Er verstehe auch
nicht, warum die Forderungen des Volksbegehrens nicht umgesetzt werden können. So werde etwa auch im Rahmen
des EU-Konvents über die Aufnahme von sozialen Grundrechten diskutiert, zeigte Verzetnitsch auf. Und was spreche
dagegen, das Recht auf Arbeit und soziale Sicherheit oder das Recht auf sichere Pensionen in die Verfassung aufzunehmen.
Sie respektiere die Sorgen und Ängste der Initiatoren und Unterzeichner des Volksbegehrens, erklärte
Abgeordnete HALLER (F), sie bedauere jedoch, dass das Volksbegehren politisch vereinnahmt wurde. Ihrer Meinung
nach sei es überflüssig, das Sozialstaatsprinzip in die Verfassung aufnehmen, da Österreich in diesem
Bereich international gesehen einen Spitzenplatz einnimmt. Auch der Forderung nach einer Sozialverträglichkeitsprüfung
aller Gesetze stand sie ablehnend gegenüber; dies sei ihrer Auffassung nach realitätsfremd. Haller verwies
darauf, dass diese Regierung in sehr kurzer Zeit gewaltige sozialpolitische Verbesserungen erreicht hat. So wurde
nicht nur die Sozialquote beträchtlich erhöht, sondern auch das Kinderbetreuungsgeld eingeführt,
das als soziale Innovation auch auf EU-Ebene anerkannt wird. Außerdem sei mit der Abfertigung Neu eine Jahrhundertreform
gelungen, war Haller überzeugt. Weiters erinnerte sie noch an die Beschäftigungsoffensive für die
Behinderten, das Pflegegeld für behinderte Kinder ab der Geburt, die Familienhospizkarenz. Sie frage sich,
warum die Sozialdemokraten diese ganzen Maßnahmen nicht selbst schon längst umgesetzt haben. "Wer
Gutes erhalten will, muss den Mut zur Veränderung haben", schloss Halller.
Abgeordnete STEIBL (V): Österreich habe ein mustergültiges System der umfassenden sozialen Sicherheit
und liege mit den Ausgaben für die Familien weit über dem EU-Durchschnitt. Die Volkspartei nehme selbstverständlich
die mehr als 700.000 Unterschriften des Volksbegehrens sehr ernst, unterstrich sie. Allerdings war das Ergebnis
trotz eines massiven Werbeaufwandes nicht berauschend; dies zeige, dass die Mehrheit der Bevölkerung den Sozialstaat
nicht in Gefahr sehe. Eine zusätzliche verfassungsmäßige Verankerung des Sozialstaatsprinzips würde
auch gar nichts ändern, war sie überzeugt. Diese Regierung habe sich immer zum Sozialstaat bekannt und
betreibe eine langfristige und umsichtige Sozialpolitik. Als Beispiele nannte sie u.a. die betriebliche Mitarbeitervorsorge,
die Künstlersozialversicherung, die Familienhospizkarenz, das Kinderbetreuungsgeld, die Erhöhung der
Familienbeihilfe, den Pakt für ältere Menschen, die Angleichung von Arbeiter und Angestellten im Krankheitsfall.
Abgeordneter ÖLLINGER (G) bedankte sich zunächst bei den Unterstützern des Volksbegehrens. Was die
Diskussion darüber betrifft, so konnte man beobachten, dass zunächst alle Parteien "irgendwie für
den Sozialstaat waren". Schon einen Tag nach dem Volksbegehren gab es aber schon eine "Sozialschmarotzer-Serie"
in der "Kronen Zeitung", an der sich die Regierungsparteien "propagandistisch und mit Applaus"
beteiligt haben. Und heute im Parlament passiere das Gleiche, denn am Vormittag sprechen sich alle für den
Sozialstaat aus, aber am Nachmittag soll wieder einmal über die "Sozialschmarotzer" debattiert werden,
in diesem Fall über die Frühpensionisten bei Post, Telekom und Bahn. Was die negative Haltung bezüglich
einer Aufnahme des Sozialstaates in die Verfassung anbelangt, so gab er zu bedenken, dass es kaum eine Rechtsmaterie
in Österreich gibt, die so gröblich missachtet und nicht umgesetzt wird wie das Arbeits- bzw. Sozialrecht.
Abgeordneter Dr. CAP (S) bedankte sich bei den Initiatoren und den Unterzeichnern des Sozialstaatsvolksbegehrens,
weil sie durch ihren Einsatz dafür gesorgt haben, dass heute im Parlament diese Grundsatzdebatte geführt
werden kann. Denn es sei wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir derzeit die höchste Steuer- und Abgabenquote
in der Geschichte der Zweiten Republik haben und die Arbeitnehmer und Pensionisten geschröpft werden, während
jene, die es sich richten können, "hier oben" sitzen, wie Minister Bartenstein und Präsident
Prinzhorn. Diese Regierung stehe nicht für soziale Gerechtigkeit und nicht für Chancengleichheit, sondern
für soziale Barrieren im Gesundheits- und Bildungssystem. Für Sie ist die Republik nichts anderes als
Privateigentum, warf Cap der Regierung vor, weil Sie u.a. dabei mitmachen, dass ein "Protektionskind wie Gaugg"
stellvertretender Generaldirektor der Pensionsversicherungsanstalt wird und 200.000 Euro verdienen soll. Er hoffe,
dass beim nächsten Wahltag endlich das passieren wird, was die Regierung verdient, nämlich abgewählt
zu werden.
Sie verbreiten Unwahrheiten, warf Abgeordneter DOLINSCHEK (F) seinem Vorredner vor; das war wirklich unterste Schublade.
Richtig sei nämlich, dass Kollege Gaugg derzeit 2.069 Euro monatlich verdient, stellte der F-Redner klar.
Außerdem müsse in einem Rechtstaat jeder Mensch die Möglichkeit haben, sich um einen Posten zu
bewerben. Er frage sich auch, warum die Sozialdemokraten, die jahrelang die Verantwortung in diesem Land getragen
haben, den Sozialstaat nicht schon längst in der Verfassung festgeschrieben haben. Er selbst stehe einer verfassungsmäßigen
Verankerung skeptisch gegenüber, da es z.B. schwierig sei, zu definieren, was sozial verträglich ist.
Dies habe für einen Arbeiter vielleicht eine ganz andere Bedeutung als für einen Landwirt, gab er zu
bedenken. Schlagworte und Worthülsen haben in einem Verfassungsgesetz nichts zu suchen, unterstrich er. Diese
Regierung habe im Sozialbereich viel weitergebracht, führte Dolinschek weiter aus, und erinnerte u.a. an die
Abfertigung Neu, das Kinderbetreuungsgeld, die Behindertenmilliarde, die Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten,
die Erhöhung der Familienbeihilfe, die Entschädigung für Kriegsgefangene.
Auch Abgeordneter Dr. FEURSTEIN (V) bedankte sich bei allen Österreichern, die für den Sozialstaat eintreten,
ob sie das Volksbegehren unterschrieben haben oder nicht. Die Regierung gehe von der richtigen Annahme aus, dass
der Sozialstaat nur dann erhalten werden könne, wenn man vom Schuldenmachen wegkomme. Zudem müsse es
auch zulässig sein, zu hinterfragen, ob einige Gruppen von Arbeitnehmern zum frühestmöglichen Zeitpunkt
in die Pension übertreten können oder ob nicht gleiches Recht für alle gelten sollte. Ein wichtiges
Anliegen ist ihm auch, die Sozialquote, die derzeit bei 30 % liegt, zu erhalten. Wir wollen die soziale Absicherung
der älteren Menschen erhalten und auch weiterhin die Nummer 1 im Gesundheitsbereich bleiben. Dies bedeutet,
dass 99 % der Österreicher eine gesetzliche Sozialversicherung haben. Er sei froh darüber, dass anlässlich
des Volksbegehrens über diese grundsätzlichen Fragen diskutiert wird. Aber genauso wichtig ist für
Feurstein der Beitrag der 14 christlichen Kirchen, denn hier sind beinahe alle Österreicher involviert. Er
sei zuversichtlich, dass durch die gemeinsamen Bemühungen der Sozialstaat erhalten, gesichert und weiterentwickelt
werden kann.
Er sei vom Volksbegehren "eingenommen und nicht vereinnahmt", sagte Abgeordneter Dr. GRÜNEWALD (G).
Wenn man sich die sozial- und gesundheitspolitischen Maßnahmen dieser Regierung in den letzten zweieinhalb
Jahren anschaut, dann könne man die Motive dieses Volksbegehrens gut verstehen. Auffallend sei z.B., dass
das Thema Gesundheit und die Errungenschaften des Sozialstaates immer nur als Kostenfaktoren vermittelt werden.
Es werde übersehen, dass die Gesundheit zu den zentralsten Bedürfnissen und die Angst vor Krankheit,
Leid und Tod zu den zentralsten Ängsten der Bevölkerung gehört. Er glaube, dass die Gesundheitspolitik
zur Nagelprobe und zum Prüfstein eines sozialen und humanistischen Handelns wird. Er kritisierte deshalb die
unqualifizierten Rundumschläge und Missdeutungen in diesem Bereich sowie die Mythen und Märchen bezüglich
der Unfinanzierbarkeit der Gesundheitspolitik. Zudem zeige die Regierung überhaupt keinen Ansatz von Selbstkritik,
was man etwa an der Aussage erkenne, dass die Ambulanzgebühr einen Lenkungseffekt haben soll. Diese sind seiner
Meinung nach massiv ungerecht, weil viele kranke Menschen keine andere Wahl haben, als Spezialambulanzen aufzusuchen.
Abgeordnete BURES (S) bezeichnete das Volksbegehren als Votum für einen starken Sozialstaat. Klar zum Ausdruck
gebracht wurde damit auch der Protest gegen die unsozialen Maßnahmen der Bundesregierung, die die Unfallrenten
besteuert, die Pensionen gekürzt und die Lebenssituation der älteren Menschen massiv verschlechtert hat.
Zudem habe sie die ungerechten Ambulanzgebühren eingeführt und vor zwei Tagen noch zusätzliche Arztgebühren
beschlossen, kritisierte Bures mit Nachdruck. Sie reden von rot-weiß-rot und meinen aber eine blau-schwarze
Belastungspolitik! Denn diese Maßnahmen haben nicht die Prinzhorns und Bartensteins betroffen, sondern die
Familien, die Älteren und auch die jungen Menschen. Das sei schändlich, denn Sie verwechseln Österreich
mit einem Selbstbedienungsladen, warf Bures der Regierung vor.
Die steigenden Sozialausgaben, die der Sozialminister für sich in Anspruch genommen hatte, relativierte die
Rednerin mit dem Hinweis darauf, dies sei das Resultat der zunehmender Arbeitslosigkeit. "Sie berühmen
sich auf dem Rücken von 210.000 Menschen einer steigenden Sozialquote." Bures warf dem Minister neuerlich
vor, willfährigen Parteigängern wie Reinhart Gaugg Posten und Privilegien zu verschaffen, gleichzeitig
aber eine Politik des Abkassierens bei sozial Schwachen zu betreiben. Mit der Privilegienwirtschaft und dem Abkassieren
müsse es aber ein Ende haben, "ein Kurswechsel ist angesagt". Die 717.000 Unterschriften für
das Sozialstaatsvolksbegehren seien nur die Spitze des Protests gegen die unglaubwürdige und unsoziale Politik
der Koalitionsparteien, die von den Menschen nicht mehr zur Kenntnis genommen werde. |
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Abgeordneter Mag. SCHWEITZER (F) kritisierte SP-Klubobmann Cap, in der Öffentlichkeit Unwahrheiten zu verbreiten,
wenn er Reinhard Gaugg ein 200.000 €-Einkommen, Dienstwagen und Chauffeur vorwerfe. Die SPÖ versuche davon
abzulenken, dass sie in der Zeit ihrer Regierungsverantwortung nichts für den Sozialstaat getan habe. Beispiel
Kindergeld: Warum haben die sozialdemokratischen Frauenministerinnen nicht dafür gesorgt, dass alle Frauen,
auch die Bäuerinnen, Studentinnen, Selbständigen und Hausfrauen ein Kindergeld bekommen? Diese Regierung
habe unter Anleitung der FPÖ viel für die Menschen erreicht, sagte Schweitzer und nannte als Beispiele
die Behindertenmilliarde, die Erhöhung der Familienbeihilfen, die Familienhospizkarenz, das Pflegegeld für
behinderte Kinder ab der Geburt, die Kriegsgefangenen- und die Zwangsarbeiterentschädigung. Probleme, die
die SPÖ hinterlassen habe, seien von der FPÖ gelöst worden, schloss Abgeordneter Schweitzer.
Abgeordnete GATTERER (V) nahm das Volksbegehren ernst, fügte aber hinzu, der Sozialstaat sei nicht nur Anliegen
der 700.000 Unterzeichner, sondern auch der gegenwärtigen Bundesregierung, die seit dem politischen Kurswechsel
kein positives Gesetz in Frage gestellt, aber viele Reformen herbeigeführt habe. Österreich sei die Nummer
1 in der Gesundheitsinfrastruktur, habe die meisten Sozialversicherten und führe weltweit in der allgemeinen
Lebensqualität. Den Sozialstaat ernst zu nehmen heiße, ihn zu reformieren, wer Fairness wolle, müsse
Benachteiligungen beseitigen. In diesem Zusammenhang wies die Abgeordnete auf die Fortschritte in der Familienpolitik
hin. Skeptisch zeigte sich Gatterer gegenüber der Forderung, den Sozialstaat verfassungsrechtlich zu verankern.
Denn Länder, wo dies geschehen sei, etwa Belgien oder die Niederlande, verfügten keineswegs über
bessere Sozialsysteme als Österreich. Den Sozialstaat zu erhalten, bedeute, ständig zu handeln und ihn
ständig an neue Bedingungen anzupassen - "das wird diese Bundesregierung weiterhin tun".
Abgeordnete HAIDLMAYR (G) wertete das Ergebnis des Sozialstaatsvolksbegehren als Zeichen dafür, dass sich
die Menschen von dieser Bundesregierung nicht mehr alles gefallen lassen. Es gibt immer noch viele, denen es nicht
gut gehe, für die die Einführung der Ambulanzgebühr und die Besteuerung der Unfallrenten ein großes
Problem darstelle. Was nütze die Freiheit bei der Arztwahl den alten oder behinderten Menschen oder den Menschen
auf dem Land, sie müssen den Arzt aufsuchen, der für sie erreichbar ist. Die Bundesregierung rede viel
von ihrer Behindertenmilliarde, wovon sie aber nicht rede, worüber sie sich weigere, zu berichten, sei, dass
die Zahl der Arbeitslosen bei den Behinderten zuletzt um 1.811 Personen zugenommen hat. Einmal mehr forderte Abgeordnete
Haidlmayr daher ein Behindertengleichstellungsgesetz. "Denn nur wer einklagbare Rechte hat, hat gleiche Chancen",
analysierte Haidlmayr.
Abgeordnete SILHAVY (S) warf den Regierungsparteien vor, die Menschen zu verunsichern, Existenzängste zu wecken,
denn sie wollen im Falle der Krankheit nicht allein gelassen werden, sie wollen die Existenz ihrer Kinder und Enkel
abgesichert wissen und sie lehnen es ab, dass junge und alte Menschen auseinanderdividiert werden. Die Rednerin
erinnerte an die Besteuerung der Unfallrenten, mit der die Regierung gezeigt habe, dass sie bei jenen abkassiere,
die die Leistungen des Sozialstaates brauchen und im Gegenzug jene begünstige, denen es ohnehin besser gehe.
Abgeordnete Silhavy wandte sich scharf gegen die Umverteilung von unten nach oben und gegen die Aushöhlung
des Sozialstaates.
Abgeordneter Dr. PUMBERGER (F) wiederholte den Hinweis auf die steigende Sozialquote in Österreich und wertete
die mäßige Zustimmung zum Sozialstaatsvolksbegehren als Hinweis auf die Zufriedenheit der Bevölkerung
mit der Sozialpolitik der Bundesregierung. Die Menschen wollen kein sozialistisches Gesundheitssystem, sie stehen
hinter den Reformen der Regierung, die Pionierleistungen im Sozialwesen erbracht habe. Pumberger sprach von der
Behindertenmilliarde und nannte die Sanierung des Budgets die größte sozialpolitische Leistung der Regierung,
denn nur dies garantiere die Aufrechterhaltung des Sozialstaates. Die SPÖ hingegen habe in der Zeit ihrer
Regierungsverantwortung das Kunststück zuwege gebracht, soziale Leistungen zu kürzen, gleichzeitig aber
den Staat zu verschulden.
Abgeordneter DONABAUER (V) unterstrich, dass der Sozialstaat ein Anliegen dieser Bundesregierung sei. Beim Sozialstaatsvolksbegehren
hätten die aber Menschen gespürt, dass es nicht um die Sache, sondern um Parteipolitik und gegen die
Regierung gehe. Dennoch werde sich seine Fraktion mit den Inhalten des Volksbegehrens im Sozialausschuss auseinandersetzen.
Die Sozialdemokraten müssten sich aber die Frage gefallen lassen, warum sie es in ihrer 30-jährigen Regierungszeit
nicht geschafft haben, das soziale Paradies herbeizuführen, von dem sie immer sprechen. Demgegenüber
habe die neue Bundesregierung herzeigbare Reformen vorzuweisen. Sie entwickle den Sozialstaat mit Phantasie und
Sensibilität weiter. Nicht an den Worten sollen sich die Bürger orientieren, sondern an unseren Taten,
schloss Donabauer und lud die Sozialdemokraten ein, an der Neuausrichtung der Sozialpolitik mitzuwirken.
Abgeordneter BROSZ (G) zeigte Genugtuung darüber, dass das Sozialstaatsvolksbegehrens auch Bildungsaspekte
aufweise, und kritisierte einmal mehr die Einführung von Studiengebühren, die man nicht anders als unsozial
nennen könne, wenn man weiß, dass schon vor Einführung der Gebühren 50 % der Studenten arbeiten
mussten, um ihr Studium zu finanzieren. Soziale Selektion im Bildungswesen lautete das Thema des Abgeordneten,
der auf die PISA-Studie hinwies, die gezeigt habe, dass es für den Bildungsweg der Kinder in Österreich
immer noch entscheidend sei, aus welcher Familie, aus welchem sozialen Umfeld die Kinder kommen und welches Bildungsniveau
ihre Eltern haben. Demgegenüber gelinge es den skandinavischen Ländern wesentlich besser für sozialen
Ausgleich und Chancengleichheit im Bildungssystem zu sorgen. Aus dieser Tatsache sollte man bildungspolitische
Konsequenzen ziehen, sagte Abgeordneter Brosz.
Abgeordnete Mag. HARTINGER (F) lobte Sozialminister Haupt für die enormen Erfolge, die er unter schwersten
Bedingungen erzielen konnte. Der Bundesregierung sei es gelungen, gleichzeitig das Nulldefizitziel zu erreichen
und die Sozialquote zu erhöhen. 104 Einzelmaßnahmen in 14 verschiedenen Bereichen der Sozialpolitik
seien erfolgreich umgesetzt worden - auf welche Leistungen könne die SPÖ nach 30-jähriger Regierungszeit
hinweisen?, fragte die Abgeordnete. Sie habe es etwa verabsäumt, für Gerechtigkeit in der Krankenversicherung
zu sorgen. Bei gleichen Beiträge habe sie unterschiedliche Leistungen in den einzelnen Krankenversicherungen
zugelassen und ständig über Beitragserhöhungen gesprochen. Die Freiheitlichen machen hingegen eine
Sozialpolitik "mit Herz und Verstand".
In einer tatsächlichen Berichtigung erinnerte Abgeordneter DDr. NIEDERWIESER (S) die Vorrednerin daran, dass
es sozialdemokratische Sozialminister gewesen sind, die den österreichischen Sozialstaat seit 1918 aufgebaut
haben.
Abgeordnete Mag. PECHER (V) hielt fest, in Österreich gebe es zwar keine sozialen Rechte in der Verfassung,
dennoch gehöre Österreich zu den Ländern mit der größten sozialen Sicherheit. Die Regierung
tue vieles, um den Sozialstaat abzusichern.
Die Initiatoren des Volksbegehrens gehen nach Ansicht Pechers von falschen Grundannahmen aus. So teilt sie die
Auffassung nicht, dass es in Europa in den letzten Jahren eine Offensive zur Schwächung des Sozialstaates
gegeben hat, vielmehr würden innerhalb der EU zahlreiche Maßnahmen zur Angleichung und Anhebung der
Sozialstandards gesetzt. Weiters gab die Abgeordnete zu bedenken, dass als Ergebnis eines verschärften Wettbewerbs
viele Dinge des täglichen Bedarfs für die Konsumenten deutlich billiger geworden seien.
Abgeordneter BRUGGER (F) qualifizierte das Volksbegehren als "Flop" und Absage der Bevölkerung an
eine "rot-grüne Panikmache". Trotz massiver Unterstützung von SPÖ und ÖGB sei die
Zahl der Unterschriften unter den Erwartungen geblieben. Die Bevölkerung sei, meinte Brugger, den "grün-roten
Agitatoren" nicht auf den Leim gegangen. Ihm zufolge ist es den Betreibern und Unterstützern des Volksbegehrens
ohnehin nur um eine Mobilisierung und Hetze gegen die Bundesregierung gegangen.
Abgeordneter Mag. TANCSITS (V) zollte den Unterschreibern des Sozialstaatsvolksbegehrens Respekt, kritisierte aber
die unterstützenden Parteien, die seiner Meinung nach etwas anderes vorgehabt haben. Zum Beispiel wollten
sie den aus Sicht Tancsits falschen Eindruck erwecken, dass der Sozialstaat in Österreich gefährdet sei.
Er selbst vertrat die Auffassung, dass es niemandem konkret etwas nützt, wenn der Sozialstaat in der Verfassung
steht, die Regierung habe bessere Antworten gefunden. Gegen eine Verankerung des Sozialstaates in der Verfassung
spreche außerdem auch, dass es besser sei, sozialpolitische Diskussionen im Parlament zu führen und
nicht hinter "irgendwelche Polstertüren" zu verlagern.
Abgeordnete WOCHESLÄNDER (F) konstatierte, die Opposition solle zur Kenntnis nehmen, dass Österreich
ein Sozialstaat sei. Das würden auch zahlreiche Studien belegen. Keine Notwendigkeit sieht sie darin, den
Sozialstaat in der Verfassung zu verankern.
Der vorsitzführende Dritte Nationalratspräsident Dr. FASSLABEND wies das Volksbegehren "Sozialstaat
Österreich" dem Sozialausschuss zu.
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