Entscheiden wir uns „husch-husch“, oder wägen wir immer sorgfältig alle Informationen
ab, die uns zur Verfügung stehen?
Bonn (alphagalileo) - Psychologen der Universität Bonn sind dieser Frage nachgegangen. Ihr Ergebnis,
das nun im Journal of Experimental Psychology (General, 2003, Vol. 132 (2), 277-293) veröffentlicht wurde:
In den meisten Fällen versuchen wir, mit einfachen Daumenregeln zum Ziel zu kommen. Auf des Rätsels Lösung
kamen die Forscher mit Hilfe einer abstrusen Kriminalstory – und einer virtuellen Umkleidekabine im Internet.
Ein Toter im Swimmingpool, zehn eifersüchtige Ex-Freundinnen – alle unterschiedlich gekleidet –, dazu eine
Reihe von Zeugenaussagen: Das sind die Zutaten des Krimis, den Dr. Arndt Bröder und seine Mitarbeiter vom
Psychologischen Institut ihren Versuchspersonen vorlegten. Aufgabe: Die Probanden sollten sich für die ihrer
Meinung nach wahrscheinlichste Täterin entscheiden. Dabei halfen ihnen Beobachtungen von Anwohnern: Insgesamt
hatten beispielsweise fünf Zeugen registriert, dass zum Zeitpunkt des Mordes eine Frau die Villa verlassen
hatte, die einen Hund an der Leine führte. Vier von ihnen gaben an, die Frau habe eine Jeansjacke getragen;
drei Anwohner meinten, deutlich ein gelbes Shirt erkannt zu haben. Drei Augenzeugen gaben zu Protokoll, die mutmaßliche
Täterin habe eine schwarze Lederhose angehabt, zwei waren sich sicher, der Hund neben ihr sei ein Dalmatiner
gewesen. Je mehr übereinstimmende Zeugenaussagen, desto vertrauenswürdiger ist natürlich die entsprechende
Beobachtung: Dass die mutmaßliche Täterin eine Jeansjacke trug, ist sicherer, als dass ihr Hund ein
Dalmatiner war.
Unter den zehn Verdächtigen gab es nun eine, die zwar eine Jeansjacke im Schrank hatte, aber weder gelbes
Shirt noch Lederhose. Sie besaß auch keinen Dalmatiner, sondern einen Cockerspaniel. Bei einer anderen Ex-Geliebten
war es genau umgekehrt: keine Jeansjacke, aber die restlichen Merkmale stimmten – eventuell war es damit sogar
wahrscheinlicher, dass sie die Täterin war. Dennoch entschieden sich die Versuchspersonen fast ausschließlich
für die Jeansjacken-Trägerin – Dr. Bröder nennt das die „take the best“-Strategie: Die Probanden
entschieden sich nur anhand derjenigen Information, die sie für die sicherste hielten – die anderen Fakten
ließen sie dagegen unberücksichtigt. Insgesamt präsentierten die Psychologen ihren Mitspielern
so in 52 Durchgängen jeweils zwei Verdächtige; die Probanden sollten jeweils beurteilen, welche von den
beiden mit größerer Wahrscheinlichkeit die Mörderin war. Dr. Bröder: „Wir waren selbst überrascht,
wie häufig unsere Probanden ‚take the best‘ anwandten.“
Um zu erreichen, dass sich die Mitspieler alle modischen Vorlieben der zehn Verdächtigen möglichst gut
einprägten, hat der Psychologe zusammen mit seiner Mitarbeiterin Stefanie Schiffer und Studierenden eine raffinierte
Methode entwickelt: In einem virtuellen „Umkleideraum“ im Internet staffierten sie verschiedene weibliche Mannequins
mit den entsprechenden Kleidungsstücken aus und fügten danach noch am Computer den passenden Hund hinzu.
In einer Trainingsphase mussten die Probanden dann anhand dieser Bilder die modischen Vorlieben der Ex-Gespielinnen
büffeln, bevor sie mit den Zeugenaussagen konfrontiert wurden. Nur wer sich auch nach dem Test noch korrekt
an alle Informationen erinnern konnte, dessen Ergebnisse wurde anschließend ausgewertet.
„Es scheint mühsam zu sein, verschiedene Daten im Kopf miteinander zu verknüpfen“, interpretiert der
Psychologe die Ergebnisse. „Deshalb orientieren wir uns an der Information, die uns am aussagekräftigsten
erscheint, und fahren mit diesen Daumenregeln meist auch ganz gut.“ Konnten sich die Probanden dagegen in der Entscheidungsphase
auf Knopfdruck alle Fakten auf den Schirm holen, bezogen sie wesentlich häufiger noch weitere Informationen
in ihre Entscheidung mit ein – und das, obwohl sie eigentlich auch ohne diese Hilfe alle Infos im Gedächtnis
hatten. Dr. Bröders empirischen Daten stützen damit eine Theorie, die unter Psychologen bislang umstritten
war: Entscheidungen erfolgen meist nicht streng rational nach komplexen Regeln, wie uns beispielsweise die Wirtschaftsforschung
Glauben machen möchte – häufig scheinen wir dafür einfach zu faul zu sein. |