Über den Stand der öffentlichen Dienstleistungen in den EU- Mitgliedsländern
Wien (rk) - Ein zentrales Anliegen der Menschen in einer organisierten Gesellschaft bildet das zur
Verfügung stellen von lebensnotwendigen Gütern (nicht zu verwechseln mit Lebensmitteln!) und Dienstleistungen
- heute als "Daseinsvorsorge" ein Begriff, der übrigens in Zusammenhang mit der Fassung des Artikels
16 (neu anstelle von 7d) des Vertrags von Amsterdam aufgetaucht ist. Die Daseinsvorsorge stellt einen der Kernpunkte
gemeinwirtschaftlicher öffentlicher Aufgaben dar, die von den Ländern und Gemeinden wahrgenommen werden
und die offenbar, weil oftmals mit Gebühren verbunden, die Begehrlichkeit privater Anbieter - gestützt
auf Bestrebungen der WTO bzw. des GATS - geweckt haben. Vielfach scheinen aber die Kriterien, welche Bereiche im
Sinne des "Wettbewerbs" (Vorwand?) unter welchen Prämissen einer Liberalisierung und Privatisierung
zugeführt werden sollen (EU) oder müssen (WTO/GATS), nicht sehr fundiert.
Eine umfangreiche Orientierungshilfe bezüglich der betroffenen Bereiche und des derzeitigen Standes in den
EU- Mitgliedsländern stellt die von der Österreichischen Gesellschaft für Politikberatung und Politikentwicklung
(ÖGPP, Präsident Stadtrat DI Schicker) erarbeitete Studie dar. Über die generellen Tendenzen wurde
schon in einer rk-Aussendung berichtet, nun soll auf einige in Diskussion stehende Bereiche, die Länder und
Gemeinden besonders berühren, näher eingegangen werden:
Eisenbahnen und öffentlicher Nahverkehr
Bis auf eine Ausnahme (Großbritannien) sind alle Eisenbahngesellschaften in den EU-Mitgliedsländern
noch im Mehrheits- oder alleinigen Eigentum des jeweiligen Staates. Die von der EU schon 1991 verlangte Trennung
von Eisenbahn- Infrastruktur und Betrieb (als Voraussetzung für den Wettbewerb) wurde aber in fast allen EU-Staaten
durchgeführt. Darüber hinaus haben faktisch alle Eisenbahngesellschaften Tochterunternehmen für
einzelne Dienstleistungen gegründet (Busdienste, Fracht, Reisebüros, Kommunikation etc).
In den öffentlichen Eisenbahnunternehmen der EU sind seit 1990 mehr als 500.000 Arbeitsplätze - oder
rund 40 Prozent - verloren gegangen, die meisten davon in Deutschland, Italien und Großbritannien. In den
Eisenbahngesellschaften, wo es noch Beamte gibt, wird laufend getrachtet, diese durch Angestellte und Arbeiter
zu ersetzen, die nach (niedrigerem) Kollektivvertrag bezahlt werden. In den privatisierten Unternehmen und in den
Privatunternehmen zeigen sich die Arbeitsbedingen durchwegs schlechter als in den staatlichen Unternehmen.
Verbilligungen von Leistungen für die Kunden gab es - wenn überhaupt - meist nur kurzfristig bei neuen
am Markt agierenden Anbietern. Netzerweiterungen erfolgte kaum, die Fahrpreise werden, wo private Betreiber im
öffentlichen Auftrag tätig sind, öffentlich gestützt. In Schweden beispielsweise haben sich
die öffentlichen Aufwendungen für Bahnleistungen seit der Liberalisierung des Marktes vervierfacht. Auch
bei (misslungenen) Privatisierungsmaßnahmen ("Combus" in Dänemark, "Railtrack" in
Großbritannien) sprangen der Staat oder die staatliche Eisenbahngesellschaft ein, um die regelmäßige
Versorgung sicherzustellen. Die Pleite von "Combus" - in Dänemark 1996 durch die Privatisierung
des staatlichen Busdienstes entstanden - kostete dann im Jahr 2001 den Staat mehr als 100 Millionen Euro. Über
die Situation der Bahn in Großbritannien wurde schon so viel in den Medien berichtet, dass unter dem Gesichtspunkt
des in der rk zur Verfügung stehenden Raumes, nicht näher darauf eingegangen zu werden braucht.
Stromversorgung
Im Jahr 1997 ist die Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie in Kraft getreten. Die Liberalisierung des
europäischen Strommarktes sollte Vorteile für die Konsumenten bringen, so die EU - profitiert haben bisher
aber vor allem die industriellen Abnehmer. Strom ist in der EU für private Abnehmer wesentlich teurer - und
zwar um etwa 60 Prozent - als für industrielle Abnehmer. Und diese Entwicklung hat sich im letzten Jahrzehnt
noch verstärkt: war Strom 1992 für den Privaten noch 48 Prozent teurer als für die Industrie, so
war diese Preisdifferenz 2001 bereits auf 63 Prozent angestiegen.
Generell sind die Strompreisunterschiede in der EU enorm. Bei privaten Haushalten beträgt der Unterschied
zischen dem billigsten "Stromland" (Griechenland) und dem teuersten (Italien) 150 Prozent. Die "Billigstromländer"
in der EU sind Schweden, Finnland und Griechenland, die teuersten Länder sind Italien, Belgien, Deutschland
und Portugal. Es lässt sich in der EU kein eindeutiger Zusammenhang zwischen Liberalisierung und Privatisierung
des Marktes einerseits und den Strompreisen andererseits, erkennen. Denn bis zu 100 Prozent liberalisierte Märkte
finden sich sowohl unter den Billigstromländern (z.B. Schweden, Finnland) als auch bei den teuersten (z.B.
Deutschland). Längerfristig gehen die Experten wieder von einem Ansteigen der Strompreise in Europa aus, vor
allem durch Zusammenschlüsse von Versorgungsunternehmen und Oligopolbildungen.
Gasversorgung
Ein Jahr nach der Strommarkt-Liberalisierung in der EU (1997) ist 1998 auch die Erdgasbinnenmarkt-Richtlinie in
Kraft getreten, tatsächlich hinkt bis jetzt der Gassektor dem Stromsektor hinterher, aber auch hier konnten
bisher von niedrigeren Gaspreisen vor allem die industriellen Abnehmer profitieren. Im Jahr 2001 musste die EU
hinsichtlich der Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte selbst feststellen, dass "die ausdrücklich
genannten Nutzanwendungen nicht überall eingetreten sind. Beispielsweise sind Preissenkungen nicht in allen
Ländern zu verzeichnen und sie gelten auch nicht für alle Verbrauchergruppen. Außerdem waren erhebliche
Arbeitsplatzverluste zu verzeichnen".
Die bisher gemachten Erfahrungen zeigen, dass es keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Grad der Marktöffnung
(Liberalisierung und Privatisierung) und dem Gaspreisniveau gibt. Auffallend ist allerdings, dass - wie auch bei
Strom - die Preise für industrielle Verbraucher deutlich niedriger sind als für Haushalte. Der Gaspreis
ist zudem eng an den Ölpreis gekoppelt und folgt diesem zumeist im Abstand von 3 bis 6 Monaten.
Wasser und Abwasser
Die Abwasserentsorgung, aber mehr noch die Wasserversorgung, werden zunehmend zu einem Wirtschaftsgut -
aber dort, wo der Markt bereits privatisiert wurde, teilen sich schon jetzt nur einige wenige "Global player"
den Markt. Noch gibt es viele öffentliche Ver- und Entsorger, aber Wachsamkeit scheint angesagt. So haben
in Großbritannien zwar die Aktionäre privatisierter Unternehmen profitiert, aber Tausenden finanzschwachen
Abnehmern wurde der Wasserbezug abgesperrt - was dies allein schon in Hinblick auf Gesundheits- und Sanitärfragen
bedeutet, braucht nicht näher erläutert zu werden.
Diese Erfahrungen mögen mit ein Grund gewesen sein, dass 2000 in der EU-Wasserrahmenrichtlinie festgehalten
wurde, dass Wasser keine Handelsware ist, sondern ein ererbtes Gut, das geschützt und schonend behandelt werden
muss (ob sich das schon zu allen GATS- Betreibern durchgesprochen hat?). Im Jahr 1999 wurden in Europa bereits
35 Prozent der Wasserversorgung durch private Firmen erbracht, und Investoren hoffen, dass es bis 2015 schon 85
Prozent sein könnten. Während etwa in Finnland, Dänemark, Irland, Luxemburg, den Niederlanden keine
oder kaum Privatisierungsbestrebungen erkennbar sind, gab und gibt es in Belgien, Deutschland, Griechenland, Italien,
Portugal, Spanien - und selbst in Österreich - solche sehr wohl.
In Schweden sah man nach ersten negativen Erfahrungen von weiteren Privatisierungen ab. Nicht gerade ermutigende
Erfahrungen hat es auch in anderen Ländern gegeben, so etwa in Deutschland: In Potsdam deutliche Gebührenerhöhung
und anschließend Rekommunalisierung 2001; in Berlin Investitionskürzungen. Oder etwa in Frankreich:
In Grenoble höhere Preise und dann Rekommunalisierung 2000; in Paris exzessiv überhöhte Wasserpreise.
Von Großbritannien war schon die Rede: Pro Jahr wird etwa 20.000 Haushalten das Wasser abgesperrt, in zahllosen
Objekten fließt das Wasser erst, wenn vorher eine (aufgeladene) Chipkarte in einen Automaten gesteckt wird.
In den letzten 10 Jahren sind die Wasserpreise um 36 Prozent, die Abwassergebühren um 42 Prozent gestiegen,
die Gewinne der privaten Versorger aber um 142 Prozent. Vom Rechnungsbetrag für den Kunden wandern 40 Prozent
direkt als Dividende zu den privaten Eigentümern.
Was vielleicht nicht allgemein geläufig ist: Der (private) Weltmarkt bei Wasser und Abwasser ist heute faktisch
unter zwei großen Gruppen aufgeteilt: der "Suez Lyonnaise des Eaux"/"Aguas des Barcelona"
und der "Générale des Eaux"/"Thames-Gruppe" (Vivendi). Allein Vivendi versorgt
25 Millionen Kunden in Frankreich sowie 40 Millionen weitere in anderen Ländern, darunter England, Ungarn,
Tschechien und sogar Australien. Weitere große Unternehmen auf dem Wassersektor sind "SAUR/Bouygues"
(F), "RWE Aqua" (BRD), versorgt u.a. Warschau; "Northumbrian", North-West", "Severn-Trent",
"Welsh-Water" (alle GB). Einmal mehr anders ist Wien: es hat als erste Großstadt weltweit, im Dezember
2001 die Trinkwasserversorgung unter den Schutz der Stadtverfassung gestellt. |