Hauptverbands-Reform: harte Fronten zwischen Regierung und Opposition
Wien (pk) - Die Reform des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger stand auch im Mittelpunkt
einer harten Kontroverse zwischen BundesrätInnen der Regierungsfraktionen und der Opposition im Rahmen der
Debatte zur 58. ASVG-Novelle und anderen korrespondierenden sozialrechtlichen Materien. Während F- und V-
MandatarInnen die demokratische Zusammensetzung des Verwaltungsrates hervorhoben und darauf hinwiesen, dass diese
Reform sowie andere gesetzte Maßnahmen dazu beitrügen, das System auch für die Zukunft zu sichern,
verlieh die Opposition ihrer Sorge um den Weiterbestand der Qualität des bewährten österreichischen
Gesundheitssystems Ausdruck. In ihren Augen bezweckt die Regierung die Zerschlagung der Selbstverwaltung und trägt
sich mit dem Plan, die bewährte Pflichtversicherung durch eine Versicherungspflicht zu ersetzen, was eine
Zweiklassenmedizin zur Folge habe.
Bundesrätin Roswitha Bachner (S) kritisierte vor allem das schlechte Preis-Leistungs-Verhältnis und die
Kostenexplosion bei den Medikamentenpreisen und warf sowohl dem Sozialminister als auch dem Finanzminister vor,
hier nicht regulierend eingegriffen zu haben. Durch weitere Gesetzesbeschlüsse sei die Finanzsituation der
Versicherungsträger weiter verschärft worden, so Bachner. Das Kinderbetreuungsgeld werde den Kassen zusätzlich
800 Mill. S kosten, Rezeptgebühr, Ambulanzgebühr und Streichung der Mitversicherung sei jedoch nicht
den Versicherungen zugute gekommen, sondern belaste nur die PatientInnen.
Als "Vernichtungskampagne" und "Personenjagd" bezeichnete sie das Vorgehen gegen Hans Sallmutter.
Obwohl durch ÖGB, AK und WK Vorschläge zur Reform des Hauptverbandes ausgearbeitet worden seien, habe
sich die Regierung über alle Argumente hinweggesetzt. Die Ergebnisse der Arbeiterkammerwahl würden durch
Anlassgesetzgebung umgedreht, Beamte und Bauern bekämen einen privilegierten Vertretungsanspruch. Deshalb
habe der ÖGB-Bundesvorstand mit den Stimmen aller Fraktionen gestern beschlossen, eine Urabstimmung unter
allen ÖGB-Mitgliedern über die soziale Entwicklung Österreichs und die dafür notwendigen Kampfmaßnahmen
im Herbst durchzuführen. Bachner legte zur Untermauerung ihrer Ausführungen einen Brief von Fritz Neugebauer,
dem Vorsitzenden der FCG-Fraktion im ÖGB, vor, der ihre Argumente unterstützt.
Schließlich brachte sie einen Entschließungsantrag ein, gegen die vom Nationalrat beschlossene 58.
Novelle zum ASVG Einspruch zu erheben.
Durch diese Ausführungen herausgefordert, ergriff sogleich Bundesminister Herbert Haupt das Wort und entgegnete
seiner Vorrednerin, ihre Behauptungen seien bereits durch seine Beantwortung der 99 Fragen, die ihm die SPÖ-Fraktion
im Sozialausschuss des Nationalrates gestellt hatte, widerlegt worden. Die SPÖ möge daher keine Verunsicherung
betreiben.
Der Minister erinnerte an die paritätische Konstituierung des Hauptverbandes durch die Sozialpartner am Beginn
seiner Geschichte, und diese Parität werde nun wieder hergestellt, so der Ressortchef. Bäuerliche Berufsstände
hätten bis 1994 zwei Vertreter gestellt, sie seien aber von der S-Regierung wegrationalisiert worden. Er,
Haupt, lege Wert auf die Berufsvertretung aller in diesem Staate.
Haupt ging dann auf den Reformbedarf im Hauptverband ein und zitierte den Rechnungshofbericht, der die Verwaltung
des Hauptverbandes kritisch unter die Lupe genommen hatte. Es gebe ausreichend Einsparungspotenzial sowohl im Hauptverband
als auch in den einzelnen Sozialversicherungsträgern, und dieses liege bei mehreren Milliarden, bemerkte er.
Das Geld hätte bei rechtzeitiger Inangriffnahme von Einsparungsmaßnahmen ausgereicht, um Leistungen
auf hohem Niveau und mit besseren Rückzahlungen den Versicherten zur Verfügung zu stellen. Der Hauptverband
sei seit drei Jahren auch nicht in der Lage gewesen, das Projekt der psychosomatischen Klinik in Bad Aussee mit
Gesamtkosten von 287 Mill. S zu genehmigen, das von allen drei Universitäten unterstützt werde. Mit den
versprochenen Einsparungen in der Höhe von 386 Mill. S für das Jahr 2000 hätte man dieses Projekt
verwirklichen können. Haupt merkte an, dass sich manche Sozialversicherungsträger nicht an ihre Einsparungsziele
gehalten hätten.
Er führte weiters aus, dass im Gegensatz zu den Behauptungen seiner Vorrednerin, die Bundesregierung sehr
wohl Unterstützung im Medikamentenbereich geleistet habe. Mit der Pharmaindustrie sei zunächst im Jahr
2000 ein Einsparungspotenzial von 500 Mill. S vereinbart worden, erreicht habe man 680 Mill. Für heuer sei
eine Kostenreduktion von 1,5 Mill. S vorgesehen. Die Regierung habe auch mit der Ärzteschaft die EDV-mäßige
Umstellung terminlich fixieren können, was Einsparungen von mehreren 100 Millionen Verwaltungseinsparungen
bringe. Er zeigte sich daher überzeugt, dass das Defizit von 3,2 Mrd. S durch das gesamte Verhandlungspaket
in Laufe dieses und des nächsten Jahres abgedeckt werden könne. Sozialversicherungsträger hätten
Rücklagen in Milliardenhöhe, nach außen hin hätte man aber mit Liquiditätsproblemen argumentiert,
kritisierte Haupt scharf so manche Funktionäre. |
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Im weiteren Verlauf seiner umfassenden Stellungnahme verteidigte Minister Haupt die neue Struktur des Hauptverbandes.
Ihm zufolge werde nun endlich den demokratischen Wahlergebnissen Rechnung getragen, wodurch es nicht mehr dazu
käme, dass 57 % die gesamte Macht hätten. Es entspreche dem demokratischen System, ab einer gewissen
Stärke auch in den Gremien entsprechend vertreten zu sein, das sei die Umsetzung der und keineswegs eine Abweichung
von der österreichischen Demokratiepraxis auf Bundes- und Landesebene. Haupt verteidigte auch die Unvereinbarkeitsbestimmungen,
man müsse sich eben für eine Funktion entscheiden. Analoge Unvereinbarkeitsbestimmungen gebe es bereits
im Bundesbahngesetz aus dem Jahr 1992. Die Versichertengemeinschaft habe es sich verdient, von jemandem mit Fulltimejob
und nicht auf Basis einer Nebenbeschäftigung vertreten zu werden. Die betreffenden Personen könnten auch
keine Beschäftigungen zugleich ausüben, die inkompatibel sind.
Das jetzige System werde fairer und sparsamer sein, zwei Verwaltungsebenen seien eingespart werden. Man habe mit
der Controlling-Gruppe im Hauptverband ein zeitgemäßes Instrument der begleitenden Kontrolle eingeführt,
so Haupt. Er widersprach auch der Behauptung, dass der Hauptverband durch das Ministerium in seinem Handlungsspielraum
eingeengt worden sei.
Abschließend stellte er fest, dass diese Bundesregierung auf dem Weg von der Zweiklassenmedizin weg hin zu
gleichen Leistungen für alle Versicherten sei. In Bezug auf die Umstellung zur Versicherungspflicht wies er
auf eine Arbeitsgruppe in seinem Haus hin, die erheben soll, ob unter den strengen Prämissen: kein Ausschluss
für chronisch Kranke, sozial Schwache, sozial unter die Räder gekommene Unfallopfer sowie für Behinderte,
sich so ein Umstieg überhaupt rechnet.
Bundesrat Gottfried Kneifel (V) zufolge könne man Vertrauen in die neue Ordnung des Systems haben. Die Zusammensetzung
im Hauptverband ändere sich so, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichberechtigt und paritätisch an
den Entscheidungen beteiligt seien. Die Sozialpartnerschaft sei der beste Garant dafür, dass die hohe Qualität
des Sozialsystems erhalten bleibe. Es werde zukünftig weniger um ständische Interessen gehen, sondern
vielmehr um Standortinteressen, und als ein Prinzip des Miteinanders und nicht des Gegeneinanders werde die Sozialpartnerschaft
dann Staatspolitik betreiben müssen.
Auch in der weiteren Diskussion gab es keine Annäherung in den Standpunkten zwischen Regierungsfraktionen
und Opposition. Bundesrat Horst Freiberger (S) hielt beispielsweise die Vorgangsweise der Regierung für einen
"kalten Putsch gegen Sallmutter", für ein "Machtspiel der Regierungsparteien", das die
Leute nicht wollten. Er listete vor allem die finanziellen Nachteile für die Versicherten bei Einführung
einer Versicherungspflicht auf und wies auf Vergleiche mit anderen Staaten hin, die deutlich unter Beweis stellten,
dass die Pflichtversicherung das beste System sei. Den Führungsanspruch der Arbeitnehmer im Hauptverband bezeichnete
er als legitim, denn 80 % der Erwerbstätigen seien unselbständig erwerbstätig, vertreten seien sie
aber nun lediglich mit 43 %.
Demgegenüber führte Bundesrat Engelbert Weilharter (F) ins Treffen, es gebe kein einziges Beispiel der
Bundesregierung, das System so zu ändern, dass es nur mehr zu einer staatlichen Minimalabsicherung komme.
S-Mandatare riefen zum Widerstand auf der Straße auf und missbrauchten damit deren Mandat in der Gewerkschaft.
Aufregung im Sitzungssaal löste eine Rede von Bundesrat Herwig Hösele (V) aus. Seine Vorwürfe, die
SPÖ würde Minderheitenrechte nicht achten und Hegemoniebestrebungen verfolgen, wurden von sozialdemokratischer
Seite lautstark zurückgewiesen. Bundesratspräsident Alfred Schöls drohte zunächst, die Sitzung
zu unterbrechen und die Präsidiale einzuberufen, sollten sich die Gemüter nicht beruhigen, und reagierte
schließlich tatsächlich mit einer Sitzungsunterbrechung auf unbestimmte Zeit, nachdem die Aussage Höseles,
Bundesrätin Roswitha Bachner habe sich gestern offenbar deswegen im Bundesrat entschuldigen lassen, da ihr
die Teilnahme an einer Gewerkschaftssitzung wichtiger erschienen sein dürfte, weitere empörte Zwischenrufe
zur Folge hatte.
Nach fast einer Stunde wurden die Beratungen gegen 15.30 Uhr wieder aufgenommen. Bundesratspräsident Schöls
hielt fest, man habe sich in der Präsidiale darauf verständigt, dass jedes Mitglied des Hauses aufgerufen
sei, seine Emotionen so weit wie möglich zurückzunehmen. "Wir dienen der Demokratie nicht, wenn
wir uns hier gegenseitig aufschaukeln", sagte er.
In Anspielung auf ein von SPÖ-Bundesrat Herbert Würschl während Höseles Rede hochgehaltenes
Blatt Papier mit der Jahreszahl 1934 meinte Schöls, es sei der Sache nicht dienlich, wenn man mit Jahreszahlen
durch den Plenarsaal gehe, weil damit für jeden eine persönliche Betroffenheit verbunden sei. Gleichzeitig
wandte er sich gegen eine unüberlegte Wortwahl.
V-Bundesrat Hösele entschuldigte sich anschließend bei Bundesrätin Bachner und erklärte, er
hätte in keiner Weise etwas unterstellen, sondern nur darauf hinweisen wollen, dass er strenge Unvereinbarkeitsregelungen
- Spitzenrepräsentanten der Sozialpartnerschaft sollten nicht in gesetzgebenden Körperschaften sitzen
- für wichtig hielte. Er wolle aber keinen "Krieg der Worte", versicherte Hösele.
Die weitere Diskussion zu diesem Tagesordnungspunkt verlief weitgehend ruhig. Sozialminister Herbert Haupt wies
erneut Vorwürfe der SPÖ zurück, er wolle die Sozialpartnerschaft zurückdrängen, und bekräftigte,
er habe den Verhandlungstisch nicht verlassen und werde den Verhandlungstisch weiter suchen.
Der Antrag der SPÖ, den vorliegenden Beschluss des Nationalrates zu beeinspruchen, wurde bei der Abstimmung
in einer namentlichen Abstimmung mit 22 zu 35 Stimmen abgelehnt. Vielmehr folgte der Bundesrat mehrheitlich dem
Antrag des Sozialausschusses, gegen die 58. ASVG-Novelle und die übrigen Tagesordnungspunkte keinen Einspruch
zu erheben. Ein Antrag der Sozialdemokraten gegen ein "Berufsverbot" für standespolitische Interessenvertreter
im Verwaltungsrat, in der Geschäftsführung oder in der Controllinggruppe des Hauptverbandes blieb in
der Minderheit.
Am späten Nachmittag standen die letzten Tagesordnungspunkte der Sitzung des Bundesrates zur Debatte. Gegen
Patientencharta, Ärztegesetznovelle und Apothekerkammergesetz wurde seitens der Länderkammer ebenso wenig
Einspruch erhoben wie gegen diverse Gesetzesinitiativen, die den Universitätsbereich betreffen. Das neue Dienstrecht
wurde diesbezüglich von Bundesministrin Gehrer vorgestellt und begründet, Kritik hatten hingegen die
Sozialdemokraten vorgetragen.
Schließlich befasste sich der Bundesrat noch mit außenpolitischen Themen und erteilte sowohl dem österreichisch-slowenischen
Kulturabkommen als auch dem Abkommen über den Amtssitz der Internationalen Kommission zum Schutz der Donau
und dem Übereinkommen betreffend den Internationalen Seegerichtshof die erforderliche verfassungsmäßige
Zustimmung. Die weiteren internationalen Verträge blieben unbeeinsprucht.
Thematisiert wurde dabei aus gegebenem Anlass die Frage des KKW Temelin, welches von allen Fraktionen abgelehnt
wurde. Eine diesbezügliche Vierparteien-Entschließung wurde einstimmig angenommen. Bundesministerin
Benita Ferrero-Waldner sagte in diesem Zusammenhang, die Regierung verfolge konsequent eine sensible Anti-Atompolitik,
die sich bisher bezahlt gemacht habe und entsprechend fortgesetzt werde. Weiters würdigte sie das Kulturabkommen
mit Slowenien, welches das Ergebnis eines langen Verhandlungsprozesses sei. Das Inkrafttreten dieses Abkommens
werde Österreich große strukturelle Vorteile bringen, wie auch in Sachen Minderheitenschutz substantielle
Verbesserungen erwartet werden dürften. Zufrieden zeigte sich die Außenministerin auch mit den Entwicklungen
auf dem Gebiet der Donaukooperation.
Die Sitzung endete gegen 20 Uhr. Somit geht auch die zweite Kammer des Parlaments in die Sommerpause, findet doch
laut Arbeitsplan die 680. Sitzung des Bundesrates erst am 11. Oktober statt.
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