Religion der Woche vom 09. 07. bis 15. 07. 2002

   
Kirchen müssen Festland sein in einer bewegten Welt
Eröffnung der 4.Ökumenischen Sommerakademie des ORF
Wien (orf) - Unter dem Titel "Gottesstaat oder Staat ohne Gott" ist die vierte Ökumenische Sommerakademie des ORF im oberösterreichischen Benediktinerstift Kremsmünster heuer dem heiklen Spannungsfeld von Religion und Politik gewidmet. Die sehr gut besuchte Veranstaltung endet am Freitag (12. 07.) mit einer multireligiösen Besinnung in der Stiftskirche von Kremsmünster. Die Vorträge der Tagung sind abrufbar unter http://religion.orf.at.
"Religionen haben ihre Unschuld verloren und werden als Etiketten für die Machtansprüche Einzelner missbraucht", erklärte Prof. Severin Lederhilger, der Pro-Rektor der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz bei der gestrigen Eröffnung der Sommerakademie. Als Beispiele dafür führte er die Konflikte im Nahen Osten, auf dem Balkan und in Nordirland an.
"Das Thema ‚Gottesstaat oder Staat ohne Gott. Politische Theologie in Judentum, Christentum und Islam' ist besonders brisant, erklärte ORF-Generaldirektorin Dr. Monika Linder. "Die Terroranschläge des 11. September 2001, die täglichen blutigen Auseinandersetzungen im Nahen Osten, die immer wieder ausbrechenden Diskussionen im alten christlichen Europa, dem ehemaligen Heiligen Römischen Reich, über eine zu weit gehende oder eine nicht weit genug gehende Trennung von Kirche und Staat, illustrieren die Bedeutung des Themas. Deshalb ist es wichtig, dass bei dieser Tagung Vertreter aller drei Religionen, die sich auf Abraham berufen, in Dialog treten und einander zuhören." Eine Plattform für den Dialog bietet der ORF sowohl im Programm als auch bei Veranstaltungen. GD Lindner: "Der ORF nimmt seine Rolle als öffentlich-rechtliches Medienunternehmen mit allen damit verbundenen Aufträgen ernst - auch und gerade im Bereich Religion. Wir verstehen uns dabei nicht als Kirchenfunk, als Verlautbarungsorgan einer oder mehrerer Kirchen und Religionsgemeinschaften. Unsere Aufgabe ist es, in Radio, Fernsehen und Online über Entwicklungen, Strömungen und Perspektiven zu informieren. Im Fernsehen tun wir dies mit den bewährten Reihen ‚Orientierung' und ‚Kreuz & Quer', das im Rahmen des neuen TV-Jahressendeplans ausgebaut werden soll. Hinzu kommt die Diskussionsrunde ‚Philosophicum'. Im Radio informieren die Sendungen ‚Religion aktuell' und ‚Praxis' über Entwicklungen und Ereignisse im Bereich der Religionen. Die drei im deutschen Sprachraum einmaligen und beispielgebenden Sendungen ‚Logos - Theologie und Leben', ‚Tao - Religionen der Welt' und ‚Imago - Menschen Mythen Religionen' bieten sorgfältig recherchierte Hintergrundinformationen und übersetzen religiöse Weltbilder und Formeln in eine zugängliche Sprache. Und auch im Internet ist die ORF-Religion mit einem eigenen Kanal, http://religion.orf.at, vertreten."
Der oberösterreichische Landeshauptmann Josef Pühringer umriss in seinem Grußwort ein konstruktives Verhältnis von Glauben und politischem Geschehen. Es sei unheilbringend, wenn der Staat mit dem Reich Gottes gleichgestellt werde. Das Reich Gottes werde sich in keinem Staat finden, es sei Gott selbst vorbehalten. "Wenn die Politik die Rolle der Erlösungslehre für sich beansprucht hat, dann hat das unsägliches Leid über die Menschen gebracht", so Pühringer unter Hinweis auf Kommunismus und Nationalsozialismus. "Die Politik soll sich davor hüten, die Sinnfrage allein zu beantworten zu versuchen." Gerade im Zusammenhang mit der Sinnsuche hätten die Religionen eine wichtige Funktion: "Die Kirchen müssen Festland sein in einer sehr bewegten Welt." Pühringer wies ausdrücklich darauf hin, dass die Politik die Wächterfunktion der Kirchen in gesellschaftspolitischen Themen braucht - ebenso wie das Engagement gläubiger Christen.
Bei der Ökumenischen Sommerakademie kommen heuer erstmals Referenten aus Judentum und Islam zu Wort. Dieser Austausch von internationalen Experten aus den drei großen Buchreligionen wurde in den Begrüßungsworten mehrfach positiv hervorgehoben. ORF-Generaldirektorin Monika Linder wies ebenso darauf hin wie der Linzer Diözesanbischof Maximilian Aichern und Oberin Christine Gleixner, die Vorsitzende des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich.
Die Ökumenische Sommerakademie im oberösterreichischen Stift Kremsmünster wurde von der Hauptabteilung Religion der ORF-Radios ins Leben gerufen. Mitveranstalter sind das Evangelische Bildungswerk Oberösterreich, die Katholisch-Theologische Privatuniversität Linz, die Kirchenzeitung der Diözese Linz, die Landeskulturdirektion Oberösterreich, der Ökumenische Rat der Kirchen Österreichs und das Stift Kremsmünster.

 
Evangelischer Oberkirchenrat gegen überhastete Änderung des § 209 StGB
Kauer: "Ich kann keinen Zeitdruck erkennen"
Wien (epd Ö) - Gegen eine überhastete Änderung des § 209 Strafgesetzbuch spricht sich der juristische Oberkirchenrat der Evangelischen Kirche, MMag. Robert Kauer aus. "Bei so sensiblen Materien wie dem Jugendschutz und dem Strafrecht haben alle Justizminister und die Parlamentsparteien das Begutachtungsrecht der Kirchen beachtet, wie es in § 14 des Protestantengesetzes 1961 festgelegt ist.
Es erscheint schwer verständlich, warum nun ein für junge Menschen entscheidend wichtiges Gesetz ohne jede Begutachtungsmöglichkeit durch die Kirchen im "Ruck-zuck-Verfahren" durchgezogen werden soll, zumal ich keinen Zeitdruck erkennen kann."
Kauer erinnerte daran, dass gerade bei den Verhandlungen um die Strafrechtsreform die Justizminister Dr. Hans Klecatsky und Dr. Christian Broda großen Wert auf die Stellungnahmen der Kirchen gelegt hatten und dass diese Stellungnahmen zum Teil in die schließlich beschlossene Reform eingegangen sind. "Mir ist unerklärlich, wie sich ein so hervorragender Jurist wie Univ.Prof. Dr. Andreas Khol in dieser sensiblen Frage unter Zeitdruck zwingen lässt und dafür das Begutachtungsrecht der Kirchen zu opfern bereit ist", so der lutherische Oberkirchenrat.