AKH Wien: EU-Großprojekt zur Erforschung von Morbus Whipple angelaufen  

erstellt am
07. 07. 03

Wien (akh) - Morbus Whipple ist eine seltene chronische Infektionskrankheit. Das Bakterium Tropheryma whipplei kann fast alle Organe befallen; entsprechend vielfältig sind die Symptome der Patienten: Die Palette reicht von Durchfall über Gewichtsverlust und Gelenkentzündung bis hin zu Sehstörungen, Schlaflosigkeit oder psychiatrischer Veränderung. Und entsprechend häufig wird die Erkrankung nicht erkannt. Nur etwa 3 - 4 neue Fälle werden in Österreich pro Jahr festgestellt. Obwohl Morbus Whipple schon seit fast einem Jahrhundert bekannt ist - entdeckt hatte den Erreger 1907 der Amerikaner George Whipple - gibt die Krankheit noch heute Rätsel auf. Zwar kann die früher oft tödlich verlaufende Erkrankung seit den 1950er Jahren mit Antibiotika behandelt und in vielen Fällen geheilt werden. Aufgrund ihrer Seltenheit gibt es aber bisher keine systematischen Studien zu einer Reihe von Fragen, so etwa zu den Krank-heitsursachen, den genetischen Grundlagen oder zur verbesserten Diagnosestellung. Die Therapie basiert heute noch auf empirischen Beobachtungen, da der Erreger bislang nicht anzüchtbar ist und daher Antibiotika nicht ausgetestet werden können. Auch Ergebnisse von Therapiestudien liegen bislang nicht vor.

An diesem Punkt setzt ein neues multidisziplinäres Europäisches Netzwerk an, das jetzt für vier Jahre von der Europäischen Union mit 2,25 Millionen Euro gefördert wird. Wissenschaftler aus zur Zeit fünf europäischen Ländern sowie auch Experten aus den USA arbeiten gemeinsam daran, das Verständnis der Interaktion von Mensch, Erreger und Umgebungsfaktoren bei Morbus Whipple zu verbessern. Koordinator des Gesamtprojektes ist Privatdozent Dr. Thomas Marth, der mit seiner Arbeitsgruppe an der Deutschen Klinik für Diagnostik in Wiesbaden tätig ist. Teilnehmer in Österreich ist Univ. Prof. Dr. Christian Müller, Univ. Klinik für Innere Medizin IV, AKH Wien. Weitere Teilnehmer kommen aus Frankreich, Belgien, Deutschland und Italien. Die Wissenschaftler erwarten von den Forschungsarbeiten im Rahmen des Europäischen Netzwerks erhebliche Fortschritte für Diagnose und Therapie bei Morbus Whipple: So soll die Krankheit besser erkennbar, ihr Verlauf besser vorhersagbar und die Therapieansätze individualisierbarer werden.

Gewebeproben von Morbus Whipple-Patienten und Krankheitsverläufe werden in einer gemeinsamen Daten- und Gewebebank gesammelt. Diese zentrale Einrichtung wie auch die Gesamtkoordination des Projektes sind neben der Bearbeitung verschiedener wissenschaftlicher Fragestellungen (insbesondere nach der immunologischen Analyse der T-Zellfunktionen) Aufgabe des Europäischen Studienzentrums, welches in Wiesbaden an der Deutschen Klinik für Diagnostik angesiedelt ist. Viele der geplanten Untersuchungen basieren auf der Hypothese, dass Patienten mit Morbus Whipple eine definierte Immunschwäche aufweisen, die die Bekämpfung des Erregers verhindert und so das Entstehen der Infektionserkrankung ermöglicht.

Whipple-Bakterien kommen wahrscheinlich in der Umwelt (z.B. im Trinkwasser) vor, aber nur ein kleiner Teil von Personen erkrankt. Daher soll in Studien zum einen der bei den betroffenen Menschen vermutete immungenetische Defekt erforscht werden. Es werden mole-kulargenetische Untersuchungen zu Veränderungen des Immunsystems des Magen-Darmtrakts durchgeführt. Zum anderen wird erforscht, wo das Bakterium in der Umwelt wie häufig nachweisbar ist. Therapiestudien und klinische Behandlungsstudien sollen die antibiotische Therapie verbessern und neue, experimentelle Therapieformen untersuchen. So soll Patienten, die auf konventionelle Therapien nicht ansprechen, ein Zugang zu alternativen Be-handlungsmöglichkeiten eröffnet werden. Auch die weltweit erste angelaufene Therapiestudie (SIMW) ist Teil des Europäischen Projektes: Sie befasst sich mit dem neurologischen und allgemeinen Krankheitsverlauf bei Morbus Whipple-Patienten. Weitere Studien sollen die bislang unbefriedigenden Diagnosemöglichkeiten verbessern und den Erreger mikrobiologisch charakterisieren. Spezifische Serumantikörper zu entdecken, die etwa zum Screening der Erkrankung und zur Überwachung der Therapie eingesetzt werden könnten, ist das Ziel eines immunbasierten Testsystems (ELISA), das entwickelt werden soll. Die kürzlich erfolgte Sequenzierung des Genoms von Tropheryma whipplei soll bei der Bestimmung der Stammvariabilität des Erregers und der Entwicklung von Tests zur Bestimmung der antibiotischen Empfindlichkeit helfen. Darüber hinaus sind epidemiologische und genetische Arbeitsprojekte geplant.

Das EU-Großprojekt soll als Netzwerk durch die Erfassung, Bündelung und Distribution von Untersuchungsmaterial bei der seltenen Erkrankung Morbus Whipple diese besser einer wissenschaftlichen Erforschung zugänglich machen. Es ist wichtig, möglichst viele Patienten mit Whipplescher Erkrankung zu erfassen: wir bitten daher neuentdeckte Erkrankungsfälle zu melden an:

Univ. Prof. Dr. Christian Müller
Univ. Klinik für Innere Medizin IV
Klinische Abteilung Gastroenterologie und Hepatologie
Währinger Gürtel 18-20
A-1090 Wien
Telefon: ++43 / (0)1 / 40400-4792
Telefax: ++43 / (0)1 / 40400-4794
Email:
christian.muller@akh-wien.ac.at
Homepage:
http://www.whipplesdisease.info
     
zurück