SPÖ kämpft im Konvent für Vollbeschäftigung, soziale Marktwirtschaft und eine
handlungsfähige Außenpolitik
Wien (sk) - Am Mittwoch (09. 07.) und Donnerstag (10. 07.)
hält der EU-Konvent seine letzten Sitzungen zur Vorbereitung einer europäischen Verfassung ab. SPÖ-Europasprecher
Caspar Einem, er ist Mitglied im Konvent, informierte am Dienstag (08. 07.) in einer
Pressekonferenz über die nach wie vor offenen Fragen. Teil I und Teil II des Verfassungsentwurfs seien nun
zwar fertig, jetzt gehe es aber noch um Teil III, wo die gemeinsamen EU-Aufgaben in den einzelnen Politikfeldern
festgelegt werden sollen. Dieser Teil umfasse noch mehr als 300 Artikel. Jetzt, so Einem, werde festgelegt, wie
künftig Politik gemacht wird. Einem bemängelte den Zeitdruck, dem der Konvent zur Ausarbeitung dieses
Teils ausgesetzt ist. Denn dieser Teil wurde von Juristen ausgearbeitet. Dem Konvent wurde der Entwurf nur für
"technische Anpassungen" vorgelegt. Wirklich diskutiert worden sei dieser Teil im Konvent aber nicht.
Nur die Bereiche Außen- und Sicherheitspolitik sowie Justiz- und Innenpolitik habe man bereits diskutiert.
Einem erwartet sich für die letzten Stunden im Konvent noch eine "emotionale Schlacht". Immerhin
müssten 105 Mitglieder einen möglichst breiten Konsens in zum Teil sehr strittigen Fragen finden. Der
SPÖ-Europasprecher griff sieben Beispiele heraus.
Beispiel 1 betrifft die sogenannte Daseinsvorsorge. Hier wünscht sich die Mehrheit im Konvent, zu der sich
auch Einem zählt, eine Gesetzgebungskompetenz der EU. "Hier geht um Schutzbestimmungen zugunsten des
allgemeinen diskriminierungsfreien Zugangs zu den für alle notwendigen Dienstleistungen wie Wasserversorgung,
Bildung, Gesundheitswesen, öffentlicher Verkehr etc. Diese Dienstleistungen seien die zweite Säule der
europäischen Sozialstaatlichkeit und daher vor den Auswirkungen von Wettbewerb und Liberalisierung zu schützen.
"Auch ein Bergbauer im Zillertal hat ein Anrecht auf einen Telefonanschluss, auch wenn der für einen
privaten Telefonbetreiber vielleicht nicht rentabel ist", skizzierte Einem ein Beispiel. Die Versorgung aller
mit derlei Dienstleitungen müsse in der gemeinwirtschaftlichen Verantwortung bleiben. Briten und Konservative
seien dagegen, sie treten für eine reine Wettbewerbsorientierung ein.
Trotzdem ist Einem zuversichtlich, dass dieser Artikel III/3 im Konvent eine Mehrheit findet.
Auch in Sachen Vollbeschäftigung wird noch gestritten. Das Ziel der Vollbeschäftigung sei zwar im grundlegenden
Teil I der Verfassung als Ziel festgelegt. Konkret wurde in Artikel I/3 über die Ziele der Union das Ziel
eines "hohen Beschäftigungsniveaus" durch das Ziel "Vollbeschäftigung" ersetzt. In
Teil III Artikel 94 sei nun aber wieder das Ziel eines "hohen Beschäftigungsniveaus" enthalten.
Hier fordert Einem also eine Synchronisation der Verfassungsteile - "es geht um ein wesentliches Ziel der
Wirtschaftspolitik - jeder, der will, soll die Chance zu arbeiten bekommen".
Ähnlich gelagert ist die "Problemlage" bei der Wirtschaftspolitik. Während im grundlegenden
Artikel I/3 über die Ziele der EU das bisherige Ziel einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb durch
das Ziel einer "sozialen Marktwirtschaft" ersetzt worden ist, findet sich in den wirtschaftspolitischen
Artikeln III/66 und 67 (also im dritten Teil der Verfassung) dagegen noch das alte Ziel. Auch hier gehe es um Synchronisation
der Verfassung und darum, "den neuen Akzent der sozialen Ausrichtung der Union auch wirksam werden zu lassen",
so Einem.
Ein weiterer Diskussionspunkt in Sachen Wirtschaftspolitik betrifft das gemeinsame Vorgehen. Heute ist Wirtschaftspolitik
Sache der Mitgliedsstaaten, es gibt nur eine lockere Koordinierungskompetenz der Union und unverbindliche Empfehlungen
der Kommission. Das soll sich nach Einems Überzeugungen ändern. Vorgeschlagen wird im Konvent, dass aus
den "Empfehlungen" der Kommission künftig "Vorschläge" werden. Der Unterschied: Vorschläge
der Kommission können vom Rat nur einstimmig abgelehnt werden. Die Chancen, dass dieser Abänderungsvorschlag
im Konvent angenommen wird, schätzt Einem allerdings schlecht ein - "leider, denn wir würden dringend
mehr Gemeinsamkeit brauchen".
Auch über die Ziele der Europäischen Zentralbank (EZB) werde noch gestritten im Konvent. Heute sei die
einzige Aufgabe der EZB die Gewährleistung der Geldwertstabilität. Einem wünscht sich, dass dieses
Ziel der Inflationsbekämpfung um zwei weitere Ziele ergänzt wird: Künftig sollen auch "ein
ausgewogenes Wirtschaftswachstum" und "Vollbeschäftigung" als Ziele der EZB festgeschrieben
werden. Dass dies durchaus kompatible Ziele einer Notenbank seien, beweise die Federal Reserve Bank in den USA,
so Einem, der allerdings einräumte, dass die Chancen auf Zustimmung im Konvent schlecht stünden.
Nach wie vor strittig sind auch die Mehrheitsentscheidungen. In drei Bereichen stünde die Einführungen
von Mehrheitsentscheidungen noch zur Diskussion: Im Bereich der Steuerflucht und der Steuerhinterziehung, im Bereich
des Arbeitnehmerschutzes und im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Einem befürwortet
Mehrheitsentscheidungen in all diesen Bereichen. Es sei wünschenswert, dass etwa Mindestregeln in Sachen Arbeitnehmerschutz
von einer Mehrheit entschieden werden können. Wenn Einstimmigkeit Voraussetzung bleibe seien bei künftig
25 Mitgliedern und mehr kaum mehr Entscheidungen möglich.
Am härtesten werde über Mehrheitsentscheidungen im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik gestritten,
so Einem. Einem sieht zwar eine überwältigende Mehrheit - auch der EU-Bürger - dafür, aber
gewichtige Mächte wie die Briten seien dagegen. Es gebe daher eine Reihe von Überlegungen, wie die Union
hier dennoch entscheidungsfähig bleiben könne. Ein möglicher Ausweg: Wenn der neue EU-Außenminister
mit Unterstützung der Kommission Vorschläge macht, dann soll der Rat darüber mit Mehrheit entscheiden.
Hier hofft Einem sehr auf einen Kompromiss, denn andernfalls wäre die EU in der Außenpolitik nicht handlungsfähig.
Froh zeigte sich Einem, dass das Individualklagsrecht beim EuGH gegen Maßnahmen der EU, die auf generellen
Rechtsakten beruhen, durchgesetzt werden konnte; dies sei aber zu wenig. Gegen verfassungs- oder grundrechtswidrige
Rechtsnomen kann der Einzelne gemäß aktuellem Textvorschlag nicht klagen. "Das ist", so Einem,
"absurd und muss zugunsten der Klagsmöglichkeit auch gegen verfassungswidrige Gesetze und Verordnungen
geändert werden". Außerdem: In den Artikel III/278 und 279 wird die Zuständigkeit des EuGH
für den Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik (III/278) und für Teile der Politik im Bereich
Justiz und Inneres (III/279) ausgeschlossen. Das ist für Einem "nicht akzeptabel" - beide Artikel
sollten ersatzlos fallen.
Abschließend zeigte sich Einem optimistisch, dass in den letzten Stunden des Konvents noch die eine oder
andere Verbesserung gelingen könnte: "Wir kämpfen bis zuletzt." |