Bonn (alphagalileo) - Einem internationalen Astronomenteam ist es mit Hilfe eines Tricks erstmalig gelungen,
die Verteilung der Dunklen Materie in einem Galaxienhaufen genau zu bestimmen. Die Wissenschaftler benötigten
zu ihrem Ergebnis über 120 Beobachtungsstunden am Hubble-Teleskop – mehr Zeit, als von den Betreibern des
Weltraum-Fernrohrs jemals zuvor für die Erforschung eines Galaxienhaufens zur Verfügung gestellt worden
war. Die Entdeckung, an der auch ein Wissenschaftler der Universität Bonn beteiligt ist, verbessert das Verständnis,
wie sich derartige Ansammlungen Tausender Galaxien mit jeweils mehreren Milliarden Sternen bilden konnten.
Galaxienhaufen sind die größten stabilen Systeme des Universums. Schon im Jahr 1937 kam der gebürtige
Schweizer Fritz Zwicky zu dem Schluss, dass die sichtbaren Komponenten des Galaxienhaufens – die Tausenden von
Galaxien mit jeweils Milliarden von Sternen – nur einen kleinen Bruchteil seiner Gesamtmasse ausmachen. Etwa 80
bis 85 Prozent ihrer Materie leuchtet nicht und bleibt daher im Teleskop unsichtbar – die so genannte „Dunkle Materie“.
Sie hält mit ihren Gravitationskräften den Galaxienhaufen zusammen und fungiert so als eine Art Kitt.
„Worum es sich dabei genau handelt, wissen wir nicht“, sagt Dr. Oliver Czoske vom Bonner Institut für Astrophysik
und Extraterrestrische Forschung. „Es gibt aber Hinweise, dass es sich um eine bislang noch unbekannte Form von
Materie handelt.“
Um den rätselhaften Kitt sichtbar zu machen, greifen Astronomen zu einem Trick: Materie kann aufgrund der
Masseanziehung Lichtstrahlen ablenken – ähnlich wie eine optische Linse. Die Forscher beobachteten daher Galaxien
hinter dem Haufen und untersuchten, wie sich ihre Form durch diesen so genannten „Gravitationslinsen-Effekt“ änderte.
Ihr Kalkül: Je stärker das Bild einer dahinterliegenden Galaxie verzerrt wird, desto größer
ist die Masse, die das von ihr ausgehende Licht auf dem Weg zum Teleskop passieren muss.
Die Idee ist an sich nicht neu, steht und fällt aber mit der Qualität der Bilder. Selbst Teleskope auf
den höchsten Berggipfeln kämpfen aber mit dem störenden Einfluss der Erdatmosphäre. Das satellitengestützte
Hubble-Teleskop – betrieben von NASA und ESA – kennt diese Probleme nicht; es liefert daher deutlich schärfere
Aufnahmen. Die Forscher konnten so erstmals Ergebnisse einer Computersimulation stützen, nach der die Dunkle
Materie vor allem im Zentrum des Galaxienhaufens lokalisiert ist. Manche Wissenschaftler waren bislang davon ausgegangen,
dass sich auch in den Randbezirken große „Reservoirs“ unsichtbarer Materie befinden. Außerdem scheint
die Dunkle Materie gehäuft in der Nähe von Galaxien vorzukommen, die gerade von dem Galaxienhaufen „geschluckt“
werden. „Auch Galaxien enthalten bereits Dunkle Materie“, so Dr. Czoske, „sonst wäre ihre Masse zu klein,
als dass sie Sterne zusammenhalten könnte.“ Wird eine Galaxie von einem Galaxienhaufen geschluckt, streift
sie einen Teil der von ihr mitgebrachten Dunklen Materie ab, der dann in den „Besitz“ des Haufens übergeht.
„Wie das im Detail funktioniert, wissen wir noch nicht“, gibt Dr. Czoske zu. Weitere Beobachtungen sind aber geplant.
An den Untersuchungen waren neben dem Bonner Astrophysiker auch Forscher aus den USA, England und Frankreich beteiligt.
Die Gruppe möchte nun noch in diesem Jahr einen zweiten Galaxienhaufen unter die Lupe zu nehmen. Dabei soll
dann eine neue Kamera des Hubble-Teleskops zum Einsatz kommen, die um den Faktor zehn effizienter arbeitet und
mit der sich die Masseverteilung noch genauer räumlich auflösen lässt. |