WKÖ-Vizepräsident Richard Schenz: »Solidarität als
Grundgedanke der Weiterentwicklung des europäischen Wohlfahrtsstaates«
Alpbach (pwk) - Bei der heutigen Eröffnung der Alpbacher Reformgespräche, die heuer unter
dem Motto "Das europäische Sozialmodell im Umbruch: Eine Neudefinition des Wohlfahrtsstaates?" stehen,
wies WKÖ-Vizepräsident Richard Schenz in seiner Eröffnungsrede auf die Notwendigkeit einer Weiterentwicklung
des sozialen Modells in Österreich hin. "Wir haben festgestellt, dass nicht nur in Österreich, sondern
in der gesamten EU und auch in den Ländern der Beitrittskandidaten, die gleichen Diskussionen laufen. Und
es scheint auch ähnlich mühsam zu sein, einen gesellschaftlichen und politischen Konsens zu finden, wohin
die Reise gehen soll".
"Klar ist", so Schenz, "dass bei dieser Thematik das Prinzip der Solidarität als Kernmerkmal
des Europäischen Sozialen Modells als Richtschnur dienen soll. Dies haben auch die letzten Europäischen
Räte immer wieder hervorgehoben. Dabei wurde auch betont, dass die Strategie von Lissabon begleitet sein muss
von einem funktionierenden und verstärkten Europäischen Sozialen Modell".
Solidarität war immer schon der Grundgedanke bei der Entwicklung des europäischen Wohlfahrtsstaates.
Dabei sind die einzelnen Staaten Europas sehr unterschiedlichen Wegen gefolgt. Dies zeigt sich nicht nur in den
unterschiedlichen organisatorischen Ausprägungen des "Sozialstaates", sondern auch an den unterschiedlichen
finanziellen Aufwendungen der einzelnen Staaten innerhalb der EU für den sozialen Schutz:
Durchschnittlich geben die (derzeitigen) Mitglieder der EU 28,5 % des Bruttoinlandsprodukts dafür aus, begonnen
von Griechenland mit 16 % bis Finnland mit 35 %. Die Diversität der Sozialschutzsysteme in der EU besteht
fort, wenn auch durch die offenen Methode der Koordinierung es de facto zu einer Annäherung kommen wird.
Offensichtlich scheint hier ein Zusammenhang zwischen der Höhe des BIP und der Höhe der Sozialabgaben
zu bestehen, aber auch ein Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und dem Ausmaß
der Sozialstaatlichkeit. Die Zahlen illustrieren aber auch den viel höheren Grad der sozialen Intervention
des Staates, verglichen etwa mit den USA oder Japan, wo der öffentliche Anteil an Aufwendungen für den
Sozialschutz gerade einmal 15 bzw. 12 % erreicht. Dabei sind die Gesamtaufwendungen für den Sozialschutz durchaus
gleich hoch.
"Im Mittelpunkt der Überlegungen steht daher der ständig wachsende finanzielle Druck auf die einzelnen
Sozialleistungssysteme", so der WKÖ-Vizepräsident. Dieser Druck wird aus verschiedenen Quellen gespeist.
Einmal haben wir es mit einem massiven Alterungsprozess der europäischen Gesellschaft zu tun. Dazu kommen
Veränderungen vor allem auch im geläufigen Modell der Familie und auf dem Arbeitsmarkt. Schließlich
gehört dazu auch der Einfluss der Globalisierung, der auch die Sozialsysteme im Rahmen des weltweiten Wettbewerbs
einem internationalen Benchmarking aussetzt. Aus all diesen Gründen kommt es zu einer veränderten und
stetig steigenden Nachfrage nach Sozialleistungen bei gleichzeitiger Schwächung der traditionellen Quellen
und Strukturen der Finanzierung.
"Die Frage ist dann", so Schenz, "in wie weit die Verantwortung für die Erbringung von Sozialleistungen
vom Staat und seinen Trägern zurück verlagert werden soll auf den Einzelnen, seine Familie und sonstige
Private". Schenz nennt in diesen Zusammenhang die allseits bekannten Schlagworte "Selbstverantwortung,
Liberalisierung, Deregulierung, Privatisierung und Subsidiarität".
Insgesamt geht es wohl auch um die Frage, ob bessere Problemlösungen vielleicht nur mehr durch ein entsprechendes
Zusammenwirken staatlicher und privater Träger erreicht werden können. "Nicht zu vergessen sind
hier auch der Beitrag von Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) wie z.B. dem Roten Kreuz und auch der "familiäre"
Teil der sozialen Wohlfahrtsproduktion", so Schenz.
Schenz weiter: "Wenn wir an Lösungen für die skizzierten Probleme herangehen, dann fällt uns
natürlich speziell in der EU auf, dass hier durch den offenen Wettbewerb einerseits und die laufende Abgabe
von Kompetenzen an die EU andererseits ein rein nationales Konzept immer schwerer umzusetzen ist." Dies gilt
beispielsweise auch für die Bekämpfung immer neu auftretender international sich verbreitender Krankheiten
wie z.B. SARS. "Dennoch bleibt - insbesondere bei der Umsetzung der Konzepte - auf nationaler Ebene viel zu
tun", so Schenz abschließend. |