Wissenschaft in Europa
der Woche vom 16. 09. bis 23. 09. 2002

   
CERN: Erstmals Antimaterie erzeugt und nachgewiesen
"Spiegelbilder der Materie" für zukünftige Forschung
Zürich (pte) - Am Genfer CERN ist ein wissenschaftlicher Durchbruch gelungen: Forscher konnten erstmals kalte Antiwasserstoffatome erzeugen und ihre Existenz auch nachweisen. Beim "Athena"-Projekt entwickelten internationale Physiker unter der Leitung von Claude Amsler in fünfjähriger Arbeit einen Antiwasserstoff-Detektor.
Mit Hilfe der Apparatur lassen sich Antiprotonen mit Positronen zu Antiwasserstoff kombinieren. Mit dem Athena-Projekt wollen die Wissenschafter nachweisen, dass sich Antimaterie zum Beispiel chemisch genauso verhaltet wie Materie.
Antimaterie kann als "Spiegelbild von Materie" beschrieben werden. Ein Atom wie Gold besteht zum Beispiel aus einem positiv geladenen Kern mit 79 Protonen und 118 Neutronen und einer negativ geladenen Elektronenwolke. Antigold besteht hingegen aus einem negativ geladenen Antikern mit 79 Antiprotonen und 118 Antineutronen und einer positiv geladenen Wolke von Positronen. Solche "Spiegelbilder der Materie" wurden schon Ende des 19. Jahrhunderts vom englischen Physiker Schuster vorausgesagt. Doch bisher ist es, neben einer Ausnahmen von einem Dutzend flüchtigen Antiwasserstoffatomen, nicht gelungen, Antiatome im Universum zu beobachten oder sie künstlich zu erzeugen.
Laut den Wissenschaftern verhält sich Antimaterie genauso stabil wie Materie, kann aber nicht auf herkömmliche Weise gespeichert werden. Ein Kontakt mit Materie würde zur sofortigen Vernichtung der beiden führen. Forscher gehen davon aus, dass Antimaterie nach Entstehung des Universums ausgelöscht wurde und heute nicht mehr existent ist. Die Entstehung des Universums wird wissenschaftlich mit einem Überschuss an Materie erklärt, der wahrscheinlich durch grundlegende Natursymmetrien entstanden ist. Antimaterie könnte aber künstlich erzeugt werden und in einem speziellen Vakuum gespeichert werden.
Am CERN ist es nun gelungen nachzuweisen, dass Antiwasserstoff in ausreichender Menge für weitere Experimente hergestellt werden kann. Die Entdeckung könnte in Zukunft maßgeblich zur Energiegewinnung beitragen.
Im Athene-Experiment am CERN werden mit dem CERN-Beschleuniger Antiprotonen erzeugt, abgebremst und gespeichert. Die Wissenschafter können alle zehn Sekunden rund 100.000 Antiprotonen einfangen. Positronen werden aus einer radioaktiven Quelle gewonnen und ebenfalls gespeichert. Die Antiprotonen und Positronen werden zusammengeführt. Bei einer Temperatur von 15 Kelvin fangen die Positronen die Antiprotonen ein. Nach Bildung der Antiwasserstoffatome werden die elektrisch neutralen Atome vernichtet. Der Detektor hat einen Durchmesser von 14 und eine Länge von 25 Zentimetern. Wissenschafter der Universitäten Aarhus, Rio de Janeiro, Brescia, Pavia, Genua, Tokio, Swansea, Zürich und von CERN entwickelten gemeinsam die Apparatur.

 
Erbgut bald schneller entschlüsseln?
Einzelmolekül-Sequenzierung: Die Grundlagen sind geschaffen
Leipzig (alphagalileo) - Die Sequenz des menschlichen Genoms ist weitgehend bekannt. Um die Zusammenhänge zwischen einzelnen Genomabschnitten und beispielswiese bestimmten Krankheiten zu verstehen, müssen nun die entsprechenden Gensequenzen identifiziert, charakterisiert und auf Mutationen untersucht werden. "Mit herkömmlichen Sequenziermethoden ist das viel zu langwierig," erklärt Susanne Brakmann von der Universität Leipzig.
"Wenn es dagegen gelänge, einzelne DNA-Moleküle zu sequenzieren, ließen sich wesentlich längere Fragmente "ablesen" und die Sequenzinformationen um Größenordnungen schnelle zusammensetzen." Gemeinsam mit Sylvia Löbermann vom Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie in Göttingen hat sie gerade einen weiteren Meilenstein für dieses Konzept aufgestellt.
Das Prinzip: Die DNA ist eine Doppelhelix aus zwei komplementären Strängen, zusammengehalten durch die Paarung ihrer Bausteine, der Nucleobasen A und T sowie G und C. Die beiden Stränge werden getrennt, einer der Einzelstränge dient nun als Matrize für die Anfertigung einer Kopie - mit Nucleobasen, die mit verschiedenen Fluoreszenzfarbstoffen markiert wurden. Erst kürzlich war es den Forscherinnen gelungen, ein Enzym zu finden, das auch aus sperrigen, markierten Nucleobasen korrekte Kopien synthetisiert (Angew.Chem. 2001, 113, 1473 - 1476). An winzige Kunststoffkügelchen gekoppelt lassen sich die so markierten DNA-Moleküle vereinzeln. Im nächsten Schritt muss der DNA nach dem Salamiprinzip vom Ende her eine Nucleobase nach der anderen abgeschnitten und identifiziert werden. Bereits seit zehn Jahren gibt es spektrometrische Verfahren, mit denen einzelne fluoreszierende Moleküle identifiziert werden können. Eine Hürde dagegen war bis vor kurzem, ein "Salamimesser" zu finden, ein Enzym, das die fluoreszierenden Alle getesteten "Salamimesser", sprich Exonucleasen, scheiterten zunächst. Statt weitere "Messer" zu testen, variierten die Forscherinnen die Schneidbedingungen: Durch Zugabe des Lösemittels Dioxan konnten die Löslichkeit der DNA erhöht und der Schneidemodus des gewählten Enzyms, E. coli-Exonuclease III, verbessert werden. Werden außerdem nur zwei der vier Nucleobasensorten markiert, ist die DNA weniger sperrig. Wiederholt man das Experiment mit allen möglichen Permutationen, sollte auch so eine vollständige Sequenzanalyse gelingen. "Die Grundlagen für die Einzelmolekül-Sequenzierung sind damit gelegt," zeigt sich Brakmann optimistisch. "Vollautomatische Geräte könnten einzelne Abweichungen in Genabschnitten feststellen und eventuell sogar bis zu 1 Mio. Nucleobasen pro Tag entschlüsseln."

 
Fallschirm für Rettung aus Hochhäusern marktreif
Rettungsschirm aus Gebäuden soll zwischen 500 und 1.000 Dollar kosten
Moskau (pte) - Ein russisches Unternehmen hat nach Angaben der Moskauer Zeitung Iswestija einen Fallschirm zur Rettung aus Hochhäusern entwickelt. Der Fallschirm wurde mit einer fast 80 Kilogramm schweren Puppe erfolgreich getestet und soll zwischen 500 und 1.000 Dollar kosten. Der Fallschirm soll Menschen, die im Notfall aus geringer Höhe von Häusern springen können, retten.
Bei einem ersten Test wurde eine Puppe von einem 14-stöckigen Hochhaus geworfen, die dann unbeschadet auf der Erde landete, berichtet die Nachrichtenagentur ddp. Bereits zwischen der zwölften und der elften Etage habe sich die Fallschirmkuppel geöffnet. Die Anregung zur Entwicklung des neuen Rettungsgeräts, kam vom 11. September vergangenen Jahres, als sich Menschen in ihrer Verzweifelung aus den Twin Towers in New York stürzten. Zu den speziellen Anforderungen an den Fallschirm sagte Fabrikdirektor Wiktor Jermolenko. "Der Fallschirm muss einfach in der Handhabung sein, sich schnell öffnen und eine maximale Sinkgeschwindigkeit von sechs Metern haben." Außerdem müsse er aus reißfestem Material sein, falls er sich einmal an einem Häuservorsprung verfangen sollte.
Ein erstes Funktionsmodell des Fallschirms sei bereits Ende vergangenen Jahres fertig gewesen, so Jermolenko. Bei mehr als zehn verschiedenen Tests habe sich der Fallschirm bewährt. Eine besondere Ausbildung benötigt die Person, die sich mit dem Schirm in Sicherheit bringen wolle, nicht. Es genügt, den Karabinerhaken der Reißleine irgendwo zu befestigen. Dann muss kräftig abgesprungen werden. Je weiter sich der Fallschirmspringer von dem Gebäude entfernt, desto größer sind die Chancen auf eine unversehrte Landung. Die Konstrukteure gehen davon aus, dass eine Mindesthöhe von 20 Metern erforderlich ist, um sicher zu landen. Bisher hätten sich schon mehrere russische Hotels für das Rettungsgerät interessiert.

 
Fruchtfliegen: Körperschicht passt sich dem Klima an
Individuelle Wachsschicht spielt auch bei Sex eine Rolle
Cambridge (pte) - Erwachsene Fruchtfliegen (Drosophila) haben auf ihrer Oberfläche eine Wachsschicht, die sie vor dem Austrocknen schützt. Manche der Insekten können diese Wachsschicht sogar dem Klima anpassen, berichten französische Wissenschaftler in der jüngsten Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Journal of Experimental Biology. Die Wachsschicht spielt auch eine große Rolle bei der Suche nach dem geeigneten Partner.
Die Wachsschicht besteht aus Ketten von Kohlenwasserstoffen, berichtet das Wissenschaftsteam um Jean-Francois Ferveur. Sie ist bei den Männchen und den Weibchen einer Art und auch bei jeder Fruchtfliegenart ein wenig anders. Fruchtfliegen aus gemäßigten Klimazonen sind in der Lage, bei höheren Temperaturen längerkettige Moleküle zu bilden, die sie besser vor dem Austrocknen schützen, wiesen die Forscher nach. Arten aus wärmeren Gegenden hingegen konnten ihre Wachsmischung nicht verändern, wenn sie in kälterer Umgebung lebten, berichtet die Nachrichtenagentur ddp.
Die Biologen entdeckten außerdem, dass die Fruchtfliegen die Wachsschicht schon in den ersten zwölf Stunden ihres Lebens ausbilden. Die speziell weiblichen und speziell männlichen Komponenten bilden die Insekten zu unterschiedlichen Zeitpunkten aus.

 
Prostata-Krebs: Am Beginn steht Infektion
Genetische Fehlfunktion von reinigendem Gen könnte Auslöser für Krebs sein
London (pte) - Amerikanische Wissenschaftler haben ein Gen identifiziert, das im Zusammenhang mit der Entwicklung von Prostata-Krebs steht. Das Gen MSR1, das auch bei der Entstehung von Herzkrankheiten eine Rolle spielt, hilft dem Immunsystem zelluläre Ablagerungen zu entfernen, die nach Entzündungen entstehen. Mutationen des Gens können dann zur Entwicklung von Krebs führen, berichtet BBC-Online. Die Forschungsergebnisse werden demnächst auch im Wissenschaftsmagazin Nature veröffentlicht.
Wissenschaftler der Wake Forest Universität und der Johns Hopkins Medical School haben verschiedene Männer kaukasischer und afro-karibischer Herkunft untersucht, um festzustellen wie groß die Mutation des Gens sind. Eine Art von mutierten Genen fand sich bei 4,4 Prozent der Kaukasier, die an Prostata-Krebs erkrankt waren. Im Vergleich dazu hatten nur 0,8 Prozent der Gesunden jene Genveränderungen. Eine andere Mutation des Gens konnte bei den afro-karibischen Probanden gefunden werden. Dort trugen 12,5 Prozent der Krebserkrankten veränderte MSR1-Gene in sich, bei den Gesunden waren es nur 1,82 Prozent. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass MSR1 nur ein Gen ist, das mit der Krebserkrankung in Kontext steht. Für Forschungsleiter William Isaacs ist der signifikante Anteil von MSR1-Genen aber ein eindeutiger Hinweis. "Es ist das erste Mal, dass dieses Gen in mit Prostata-Krebs gebracht wird", so Isaacs.
MSR1-Gene helfen den Immunsystem-Zellen, die Makrophagen genannt werden, bei der Reinigung von Zellmaterial und Ablagerungen nach einer Infektion. Makrophagische Aktivität wurde im Frühstadium von Prostata-Krebs schon zuvor beobachtet. Die Forscher vermuten, dass Mutationen des MSR1-Gens dazu führen, dass diese Reinigung nicht vollständig stattfinden kann.