Thema der aktuellen Stunde im Nationalrat: Das Scheitern der Regierung Schüssel
Die Parteien beziehen ihre Positionen für den kommenden Wahlkampf
Wien (pk) - Ein recht starker Hauch von Wahlkampf bestimmte die Debatte der voraussichtlich letzten
Aktuellen Stunde des Nationalrates in dieser Gesetzgebungsperiode am Donnerstag (19. 09.).
"Das Scheitern der auf Vorschlag von Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel gebildeten Bundesregierung"
lautete das von den Grünen vorgegebene Thema, das den Abgeordneten Gelegenheit gab, die Wendepolitik der FP-VP-Regierung
je nach Standpunkt zu loben oder zu kritisieren.
Abgeordneter Dr. VAN DER BELLEN (G) stellte fest, er könne sich nicht erinnern, jemals in der
Zweiten Republik eine derartige Regierungskrise, eine derartige Implosion einer Regierungspartei erlebt zu haben.
Fairerweise müsse er einräumen, dass diese Bundesregierung nicht nur "ein Hort des Bösen"
gewesen sei, sagte der Klubobmann der Grünen und erinnerte an Dutzende von Gesetzen, die einstimmig von diesem
Haus verabschiedet wurden. Manches sei notwendig und höchst an der Zeit gewesen, die Zwangsarbeiterentschädigung
etwa und die Restitutionsmaßnahmen.
Vieles habe die Regierung aber auch liegen gelassen, wobei Van der Bellen vor allem in der Forschungs- und Bildungspolitik
Versäumnisse registrierte. Die F&E-Quote Österreichs liege immer noch unter dem OECD-Niveau, bei
den Bildungsausgaben, insbesondere bei der Erwachsenenbildung hinke Österreich weit nach. Chancen, die Dänemark
und Japan in der Umwelttechnologie nutzten, habe Österreich verschlafen. Noch sei es vielleicht Zeit, zum
Marktführer in den Bereichen Biomasse und erneuerbare Energien zu werden, lange dürfe man aber nicht
mehr warten.
Wirtschaftsforscher haben bereits vor einem Jahr eine weltweite Rezession prognostiziert, erinnerte der Abgeordnete,
die Regierung Schüssel habe aber zugewartet, ehe sie nun in einem Ho-ruck-Verfahren viel zu spät gegensteuere.
Drei Minister seien erst zurückgetreten, dann aber doch wieder nicht, und Finanzminister Grasser schaffe es
nicht einmal, einen Entwurf für das Budget 2003 vorzulegen, kritisierte Van der Bellen. Ein "starkes
Stück" bezeichnete er die monatelange Behauptung der Bundesregierung, man brauche kein eigenes Gesetz
für die Beschaffung der Abfangjäger - das Gegenteil sei wahr, wie der Verteidigungsminister nun zugeben
musste.
Staatssekretär MORAK legte dem gegenüber eine positive Bilanz zur Arbeit der Bundesregierung
während der letzten zweieinhalb Jahre vor. Sie habe einen Reformstau aufgearbeitet und das Kinderbetreuungsgeld
eingeführt, das bereits 20.000 Familien zugute komme. Die Regierung Schüssel habe mit der "Abfertigung
neu" für 3,1 Millionen Arbeitnehmer einen Abfertigungsanspruch gesichert und die Möglichkeit für
den Aufbau einer Zusatzpension geschaffen. Mit der Familienhospizkarenz wurde eine europaweit vorbildliche Alternative
zum Konzept der Sterbehilfe geschaffen. Der Staatssekretär wies auch auf die Bildungsoffensive der Bundesregierung
hin, auf die Zwangsarbeiterentschädigung und die Restitution und nicht zuletzt auf die zukunftsträchtigen
Reformen im Medienbereich.
Auch habe die Bundesregierung in schwierigen Situationen Handlungsfähigkeit bewiesen, sagte Morak und erinnerte
an die Zeiten der Sanktionen, des 11. September 2001 und an die Hochwasserkatastrophe. Die Regierung beweise ihre
Handlungsfähigkeit weiter mit der Verabschiedung eines Hochwasserentschädigungs- und Konjunkturbelebungspakets
im Umfang von 1,7 Mrd. €. Ihr Reformschwung werde die Messlatte und die Arbeitsgrundlage auch der nächsten
Bundesregierung sein, zeigte sich Staatssekretär Morak überzeugt.
Abgeordnete Mag. KUBITSCHEK (S) meinte, die "schöne Rede" von Staatssekretär
Morak habe leider nichts mit der Realität in Österreich zu tun. Schön reden sei zu wenig, um das
Land erfolgreich zu regieren, sagte Kubitschek und wies auf den aktuellen Höchststand an Arbeitslosen hin.
In der Einkommensentwicklung sei Österreich zum europäischen Schlusslicht geworden, es werde von der
höchsten Steuerquote seit 1945 belastet und es werde von einer Bundesregierung geführt, die kein Programm
zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit habe. Nachdem die Regierung die Konjunktur mit ihrer Nulldefizit-Strategie
abgewürgt habe, schnüre sie nun in einem Akt der Verzweiflung - angesichts furchterregender Wahlprognosen
- ein Konjunkturpaket. Mit diesem Versuch verliere die Bundesregierung endgültig ihre Glaubwürdigkeit,
schloss Kubitschek. "Neuwahlen sind daher das einzige Mittel, um dieses Desaster zu beenden."
Abgeordneter Dr. FEURSTEIN (V) korrigierte die aus seiner Sicht falschen Wirtschaftsdaten seiner
Vorrednerin, indem er auf die im europäischen Vergleich niedrigen Arbeitslosenzahlen hinwies und auf die aktuellen
Anstrengungen der Bundesregierung einging, Jugendlichen Ausbildungs- und Arbeitsplätze zu sichern. Die Wende
in der österreichischen Politik habe große Erfolge gebracht. Dies bestätigten auch Persönlichkeiten,
die der Bundesregierung anfänglich kritisch gegenüberstanden, etwa Rudolf Burger. Entscheidend war für
Abgeordneten Feurstein die gelungene Sanierung des Staatshaushaltes durch das Zusammenwirken von Bund, Ländern
und Gemeinden. Nachdem im Jahr 2001 das Nulldefizit erreicht wurde, sei es nun im Jahr 2002 notwendig, für
die Hochwasseropfer und zur Belebung des Arbeitsmarktes mehr Geld auszugeben. Abgeordneter Feurstein trat nachdrücklich
dafür ein, den rot-weiß-roten Weg nach den Wahlen fortzusetzen.
Abgeordneter Dr. GRAF (F) ging auf die Erfolge der Bundesregierung in der Forschungs- und Bildungspolitik
ein und erinnerte dabei insbesondere an die Universitätsreform, die immer mehr zu einem internationalen Vorbild
werde. Er nannte auch die einstimmig beschlossene Reform der Privatuniversitäten, die Studienrechtsreform
und die Novellierung des Fachhochschulgesetzes und zeigte sich erfreut darüber, dass es nach Jahren des finanziellen
Niedergangs gelungen sei, die Forschungsfonds wieder ausreichend zu dotieren. Die Bundesregierung habe es geschafft,
die Forschungspolitik, durch die die Arbeitsplätze der Zukunft gesichert werden, wieder zu einem Thema der
Politik zu machen.
Abgeordnete Dr. GLAWISCHNIG (G) legte der abtretenden Bundesregierung eine kritische Bilanz vor.
Sie habe zweieinhalb Jahre Rückschritt zu verantworten, vor allem auf den Gebieten Demokratie, Menschenrechte,
Frauen, soziale Gerechtigkeit, innovative Wirtschaft, Energie- und Umweltpolitik. Auch bei der Erreichung ihrer
selbstgesetzten Ziele sei die Regierung gescheitert, sagte Glawischnig und erinnerte dabei an das Nulldefizit.
Bundeskanzler Schüssel habe sein Amt mit dem Bruch eines Wahlversprechens angetreten und er habe die Aufgabe
zentraler Werte der ÖVP zu verantworten. Weder die Asylpolitik noch die Sozialpolitik der Volkspartei lasse
christlich-soziale Werte erkennen. Statt Prinzipientreue habe der Bundeskanzler Standpunktlosigkeit praktiziert.
Statt, wie angekündigt, "die FPÖ zu zähmen", habe er einen Rechtsruck vollzogen und das
Land ins 19. Jahrhundert zurückgeführt, kritisierte Abgeordnete Glawischnig. Sie warnte davor, das Experiment
einer blau-schwarzen Regierung fortzusetzen.
Abgeordnete HEINISCH-HOSEK (S) führte das Scheitern der Bundesregierung darauf zurück,
dass der Pakt zwischen Wolfgang Schüssel und Jörg Haider geplatzt sei. Diese Regierung habe auch einige
Gesetze für die Menschen vorgelegt, räumte Heinisch-Hoseck ein, sie erinnerte aber an die Einführung
der Ambulanzgebühren, der Studiengebühren und an die Besteuerung der Unfallrenten. All das habe dem Nulldefizit
gedient, das die Regierung aber nicht erreicht habe, denn der Schuldenstand wurde gegenüber 1999 um 8 Mrd.
€ erhöht, während den Jugendlichen Ausbildungs- und Arbeitsplätze fehlten. Die Sozial- und Bildungspolitik
der Bundesregierung sei abzulehnen. "Wir brauchen eine gerechte Sozialpolitik und eine gerechte Bildungspolitik
für die Jugend", schloss Abgeordnete Heinisch-Hosek.
Abgeordneter Mag. MÜHLBACHLER (V) lobte Bundeskanzler Schüssel für die Entschlossenheit,
mit der er das Steuer herumgerissen, das Störfeuer aus dem Süden beendet und sich entschieden habe, nun
vor den Wähler zu treten. Der Bundeskanzler und die Bundesregierung haben gute Arbeit geleistet, wobei Mühlbachler
die Einführung des Kindergeldes hervorhob und darauf aufmerksam machte, dass Ambulanzgebühren, Unfallrentenbesteuerung
und Studiengebühren gerade einmal zehn Prozent des Betrages ausmachen, den die Familien durch das Kindergeld
bekommen. Der Erfolg spreche für das Kindergeld, denn die Zahl der Geburten habe in der ersten Hälfte
des Jahres 2002 um 1,84 % zugenommen. Die Österreicher sehen diese Regierung keineswegs als gescheitert an,
sie stehen zur Finanzpolitik, die von Bundeskanzler Schüssel und Finanzminister Grasser formuliert wurde.
Österreich sei gut beraten, seinen rot-weiß-roten Weg fortzusetzen.
Abgeordnete Dr. PARTIK-PABLE (F) bezog zu den Vorwürfen Stellung, die die Sprecher der Opposition
gegen die Regierung erhoben. Die freiheitlichen Minister seien in ihren Ämtern geblieben, um eine Regierungskrise
zu vermeiden. Der Vorwurf, sie habe nichts gegen die Konjunkturabschwächung getan, sei falsch. Es wurden zahlreiche
konjunkturbelebende Maßnahmen getroffen, daher liege Österreich wirtschaftlich besser als die anderen
EU-Staaten, insbesondere weise Österreich die zweitniedrigste Jugendarbeitslosigkeit auf. Die Bundesregierung
habe einen verantwortungsbewussten Sparkurs umgesetzt, eine Wende in der Schuldenpolitik gebracht und damit einen
Grundstein für eine gesunde Entwicklung gelegt.
Abgeordneter ÖLLINGER (G) wiedersprach seinem Vorredner: Schüssel habe "das Störfeuer
aus dem Süden" keineswegs beendet. Er habe mit Haider noch über eine Steuerreform verhandelt, als
die drei FPÖ-Minister bereits zurücktraten. Der Bundeskanzler habe sein Regierungsamt mit dem Bruch eines
Wahlversprechens angetreten und sich allzu oft verschwiegen, wenn es angebracht gewesen wäre, klar Stellung
zu beziehen: bei den Angriffen Jörg Haiders auf den Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes etwa oder
in der Causa Stadler, dessen unerträgliche Äußerungen Schüssel nicht zurückgewiesen hat,
sondern vor dem Nationalrat eine Rede über das Jahr 1945 gehalten habe, in der der Name Ewald Stadler unerwähnt
blieb.
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