Henner: Die Bibel hält unsere Versuche aus
Gallneukirchen (epd Ö) „Wir brauchen neue, kreative Zugänge zur Bibel zurück“, dies
sagte die Direktorin der Österreichischen Bibelgesellschaft und Lektorin am Institut für Neutestamentliche
Wissenschaft in Wien, Dr. Jutta Henner, in ihrem Eröffnungsvortrag „Zugänge und Barrieren zur Bibel“
auf der gesamtösterreichischen PfarrerInnentagung in Gallkneukirchen. Die viertägige Tagung vom 25. bis
28. August stand in diesem Jahr unter dem Motto: „Zugänge zur Bibel“. Neben Vorträgen von Henner und
der Theologin und Pädagogin Viola Raheb, „Feindesliebe – Option für das Leben?“ gab es auch eine „Werkstatt
Bibel“ im Angebot. So konnten die rund 70 Teilnehmerinnen und Teilnehmer wählen unter „Die Bibel ins Spiel
bringen“; „die Bibel zum Klingen bringen“; „die Bibel zur Sprache bringen“; „die Bibel im Dialog mit der Welt“,
und „die Bibel aus dem Schweigen ins Leben bringen“. Musikalisch begleitet wurde die Tagung von Landeskantor Mag.
Matthias Krampe.
Funktionalen Analphabetismus ernst nehmen
Derzeit würde, so Henner in ihrem Referat, lediglich ein Prozent der 14-25-Jährigen die Bibel lesen.
Auch Schülerinnen und Schüler fänden die Bibel weitgehend „trocken und langweilig“. Dies habe differenzierte
Ursachen: „Wer schlechte Erfahrungen gemacht hat in der Kirche, im Religionsunterricht oder der Jugendgruppe, der
kehrt in aller Regel nicht mehr zur Bibel zurück.“ Aber auch der „funktionale Analphabetismus“ in der Bevölkerung
müsse ernst genommen werden: „Immer mehr Menschen sind nur noch in der Lage, Texte in der Länge von Überschriften
zu erfassen.“ So sei kürzlich sei eine französische Bibel herausgegeben worden, in der kein Satz mehr
als sechs Worte umfasse.
Der Schlüssel ist die gemeinschaftliche Erfahrung
Auch die Frömmigkeitspraxis in unseren Kirchen sei „eine der Barrieren, die die Bibel aus dem Leben
herausdrängen. Bibel lesen ist zu einer individualistischen Angelegenheit verkommen: Ein Mensch sitzt mit
gesenktem Kopf und liest.“ Das sei Jahrhunderte lang anders gewesen: „Die Bibel wurde erzählt, gespielt und
laut gelesen. Das war ein gemeinschaftlicher Zugang zur Bibel.“ Heute hingegen sei unser Zugang zur Bibel westlich-rational
bestimmt: „Der historisch-kritischen Methode verdanken wir viel, wir müssen sie aber ergänzen mit anderen
Zugängen.“ Henner nannte die feministische Exegese, die Befreiungstheologie oder die tiefenpsychologische
Auslegung, die Bilder und Symbole der Bibel heranzieht.
„Der Schlüssel ist die gemeinschaftliche Erfahrung der Bibel: Menschen haben Erfahrungen gemacht und gesammelt
mit ihrem Gott an ihrer Seite. Die Erfahrungen der Menschen heute sind ein Zugang dazu. Henner betonte, die Bibel
sei „kein Gott“, sondern auch immer nur ein Zugang, „gleichsam wie ein Spiegel von Gott“. Und alle unsere Zugänge
seien immer Schritte und Versuche, „aber die Bibel hält diese Versuche aus.“
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