WTO: 22-Länder-Gruppe fordert fast vollständigen Abbau aller Agrarsubventionen  

erstellt am
15. 09. 03

USA und EU: Völliger Abbau der Agrar-Stützungen undenkbar
Cancun (aiz.info) - Auf der ersten Sitzung der Agrararbeitsgruppe der WTO-Ministerkonferenz konnte man sich im mexikanischen Cancun am am Donnerstag (11. 09.) erwartungsgemäß noch nicht einigen. Der von der EU und den USA ausgehandelte Kompromiss stößt auf erheblichen Widerstand. Eine Koalition von inzwischen 22 verschiedenen Entwicklungsländern und Schwellenländern wie China, Indien, Argentinien und Brasilien (G-22), die teilweise der Cairns-Gruppe angehören, fordert weiterhin lautstark einen beinahe vollständigen Abbau von Agrarsubventionen vor allem in der EU und in den USA. Die G-22 drängen auf ein rasches Ende aller Exportsubventionen in den Industrieländern und einen rigorosen Abbau von Einfuhrzöllen. Nur noch entkoppelte Direktzahlungen sollen im gewissen Umfang zugelassen bleiben. Für sich selbst wünschen die Entwicklungsländer dagegen zahlreiche Außnahmen beim Abbau der Zollschranken. Australien, Kanada und andere Cairns-Staaten - selbst hochentwickelte Länder - haben sich auf der ersten Sitzung der Agrararbeitsgruppe nicht geäußert und lassen stattdessen die G-22-Gruppe mit dem Anspruch, für die Armen zu sprechen, in den Ring.

Am Freitagnachmittag sollte die Gruppe unter Leitung des Handelsministers von Singapur, George Yeo Yong-Bon, erneut tagen. Anschließend wolle Yong-Bon einen Text vorlegen, der Passagen sowohl aus dem EU-USA-Kompromiss als auch aus dem G-22-Papier enthalten soll. Die Verhandlungen werden aller Voraussicht nach am Samstag oder Sonntag in ihr entscheidendes Stadium treten. USA und EU zeigten sich über die Radikalität der Forderungen überrascht und erklärten, dass eine völlige Niederwerfung der geschaffenen Agrar-Förderungs-Systeme für sie unter keinen Umständen in Frage käme.

EU und USA von Radikalität der Vorschläge überrascht
EU und USA, die sich im Vorfeld auf eine teilweise gemeinsame Position für die Agrarverhandlungen verständigt hatten, wurden durch die Radikalität der Gegenposition überrascht. Sie hatten in ihrem Papier zwar den Abbau von Exportstützungen und "marktverzerrenden" Subventionen vorgesehen, eine völlige Aufgabe des Systems von Zahlungen an die Bauern sei allerdings undenkbar, heißt es von Seiten der EU. "Verhandeln kann man über interne handelsverzerrende Subventionen und Exportstützungen", betonte der Sprecher von Agrarkommissar Franz Fischler, Gregor Kreuzhuber, vor Journalisten in Cancun. Es sei Sache der WTO, diese Stützungen marktverträglich zu gestalten, nicht aber, in unterschiedliche soziale Systeme einzugreifen. Kreuzhuber verteidigte damit die stärker auf Umweltschutz, Landschaftspflege und ländliche Entwicklung basierenden Agrarsubventionen der EU.

EU und USA hoffen auf Differenzen zwischen G-22-Ländern
EU- und US-Verhandler hoffen nun, dass es sich bei den harten Forderungen der G-22 um "Muskelspiel" handelt und unterschiedliche Interessen die Mitglieder der neuen Allianz früher oder später auseinandertreiben würden. Nicht-Regierungsorganisationen (NGO) kritisieren am Rande der Ministerkonferenz in Cancun bereits, dass im Hintergrund aktiv in bilateralen Gesprächen versucht werde, weitere Länder dran zu hindern, sich der Initiative anzuschließen. Im Vorfeld der Konferenz soll sogar US-Präsident George Bush versucht haben, mit Brasilien, Indien und Südafrika Kontakt aufzunehmen, um den G-22-Zusammenschluss von vorn herein zu verhindern.

Zugeständnisse nur bei Entgegenkommen der Entwicklungs- und Schwellenländer
Zugeständnisse bei den Agrarsubventionen gäbe es nur, wenn auch die Entwicklungs- und Schwellenländer entgegenkommen würden, lautet die Position. "Es kann nicht sein, dass der Norden alles und der Süden nichts tut", betonte Wirtschaftsminister Martin Bartenstein vor österreichischen Journalisten. Seine Minimalforderung für die 5. WTO-Ministerkonferenz sei, dass kein Thema unter die Räder kommt. Gemeint sei damit in erster Linie die Aufnahme von Verhandlungen über ein Investitionsschutzabkommen. Die EU sei bei den Agrarthemen durch die GAP-Refom in einer deutlich besseren Position "als manche annehmen und als die USA", betonte Bartenstein. Die Vergangenheit werde der EU aber noch angelastet. Ebenso hieß es Donnerstag-Nacht aus dem US-Repräsentantenhaus, dass ein Abbau der Agrarsubventionen nur akzeptiert werde, wenn im Gegenzug auch die Entwicklungsländer Handlungen setzen würden.

Wutscher: Forderungen der G-22 sind der falsche Ansatz
"Wir glauben, dass die Forderungen der G-22 den falschen Ansatz für die Entwicklungsländer darstellen", kommentierte auch Werner Wutscher, Generalsekretär im Landwirtschaftsministerium und Agrar-Verhandler in der österreichischen Cancun-Delegation, die derzeitige Situation. Das Agrarproblem lasse sich "nicht nur durch Welthandel lösen". Eine völlige Liberalisierung der Agrarmärkte würde laut Weltbank im Handel zwischen den Ländern der südlichen Hemisphäre einen Zuwachs von vier Fünfteln bringen, zwischen Nord und Süd allerdings nur von einem Fünftel.

Nach Ansicht Bartensteins sind die Chancen, dass die in Doha begonnene Welthandelsrunde tatsächlich eine Entwicklungsrunde werde, "intakt". Europäer und Amerikaner hätten erkannt, dass in der WTO nicht einfach Länder auf der Strecke bleiben könnten, so der Wirtschaftsminister. Sorgenkinder blieben allerdings weiter die Sub-Sahara-Staaten. Die Entwicklungsländer hätten - so Bartenstein - in den vergangenen Jahren ebenfalls "ihre Lektion gelernt". Vor allem Brasilien, Indien aber auch Ägypten, Südafrika und Marokko hätten sich schon in Genf durch professionelles Auftreten und Vorgangsweisen ausgezeichnet. Papiere wie der Vorschlag der G-22 würden allerdings einen Nord-Süd-Konflikt vorspiegeln, den es so nicht gebe.

Vier westafrikanische Länder bemängeln Nachteile bei Baumwollproduktion
Weiters konten sich zu Beginn der 5. WTO-Ministertagung die Präsidenten von vier westafrikanischen Ländern, die Baumwolle exportieren und unter den gefallenen Preisen leiden,Gehör verschaffen. Die westafrikanischen Länder machen vor allem die Subventionen für US-amerikanische Baumwollerzeuger für den Preisverfall auf dem Weltmarkt verantwortlich. Sie klagen deshalb ein Ende der Hilfen für die Farmer der USA ein. Die EU steht wegen ihrer geringen Baumwollproduktion weniger in der Kritik. EU-Handelskommissar Pascal Lamy zeigte sich deshalb der westafrikanischen Baumwollinitiative gegenüber recht verbunden und erklärte zudem, die EU wolle ihre Prämien für Baumwollerzeuger von der Produktion entkoppeln.
     
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