Schönborn: Vereintes Europa wird nicht »Paradies auf Erden«  

erstellt am
09. 09. 03

Bei der »Maria-Namen-Feier« in der Wiener Stadthalle nahmen der Wiener Erzbischof und der Grazer Diözesanbischof Egon Kapellari Stellung zur Europa-Frage
Wien (www.kath.net / PEW) - Im Zeichen des Mitteleuropäischen Katholikentags stand heuer die "Maria-Namen-Feier" in der Wiener Stadthalle, mit mehr als 14.000 Teilnehmern wie alljährlich die größte religiöse Veranstaltung in Österreich. Kardinal Christoph Schönborn stellte fest, auch das vereinte Europa werde nicht das "Paradies auf Erden" sein. Es gehe darum, dass in diesem Europa, "das durch so viele Kriege und Feindschaften zerrissen war", ein "halbwegs geordnetes Miteinander" gelingt. Der Wiener Erzbischof bedauerte zugleich, dass es bisher nicht möglich war, das Christentum als eine der Wurzeln Europas in der künftigen europäischen Verfassung zu benennen.

Europa sei heute im Vergleich mit den riesigen Problemen anderer Kontinente ein relativ befriedeter Weltteil, hob der Grazer Diözesanbischof Egon Kapellari hervor. Zugleich sei Europa ein "Bauplatz", auf dem "heute viel Wichtiges für morgen entschieden wird". Dabei sollten die Christen mitbauen. Im Hinblick auf die in letzter Zeit immer öfter gehörte Parole "Mehr Kinder braucht unser Land" betonte Bischof Kapellari, es sei "hoch an der Zeit", dass über dieses Thema gesprochen wird, "weil dies im Interesse der gesamten Zivilgesellschaft liegt". Österreich brauche in der Tat viel mehr Kinder "und dies nicht nur zur Sicherung der Pensionen, sondern weil das Land sonst aus umfassenderen Gründen sein Gleichgewicht verlieren würde".

Als notwendige Beiträge zu größerer Kinderfreundlichkeit nannte Kapellari u.a. "mehr zwischenmenschliche Bindungsfähigkeit, mehr stabile Familien, mehr nichtegoistische Vorbilder und mehr Arbeitsplätze für junge Menschen". Der Diskurs sollte nicht durch "unverhältnismäßige Reaktionen" auf "ehrliche und unbequeme Wortmeldungen" behindert werden. Vielmehr gehe es darum, dass alle Beteiligten ihre Sicht auf den gemeinsamen Tisch legen und so zur Problemlösung beitragen.

Der steirische Bischof sprach auch das Thema Abtreibung an. Die katholische Kirche werde dieses Problem immer wieder benennen müssen, freilich ohne jene "schrecklichen Vereinfachungen", wie sie aus dem angelsächsischen Raum zu hören seien. Wörtlich sagte Bischof Kapellari: "Wir werden dabei sehr einfühlsam die Probleme der betroffenen Frauen immer im Blick behalten müssen. Wir werden aber zugleich immer klar sagen müssen, dass es hier um menschliches Leben geht, das nicht ausgelöscht werden darf".

Gerechtigkeit, Solidarität, Frieden
Kardinal Schönborn wies in seiner Predigt bei der "Maria-Namen-Feier" die Vermutung zurück, die Bischöfe seien im Hinblick auf Europa "zu optimistisch". Natürlich gebe es die Frage, ob das künftige Europa nicht ein "großer Einheitsbrei" wird, wo alle ihre Identität verlieren. Es gebe die Sorge um das soziale Netz, um die Zukunft der Arbeit, um den Konflikt der Generationen. Dazu kämen die "großen ethischen Entscheidungen", die in Europa anstehen. In diesem Zusammenhang verwies der Wiener Erzbischof auf die Förderung der "verbrauchenden" Embryonenforschung durch EU- Mittel, die dank des Einsatzes von Bildungsministerin Elisabeth Gehrer noch auf ein Jahr gestoppt werden konnte.

Die Bischöfe von acht mitteleuropäischen Ländern, die mit dem Mitteleuropäischen Katholikentag Ja zu Europa gesagt haben, hätten das aber nicht "naiv" getan, betonte Kardinal Schönborn. Es gehe darum, Wege der Versöhnung zwischen den Völkern zu suchen, zwischen denen es so viel Hass, Krieg und Verwundungen gegeben habe. Der Wiener Erzbischof erinnerte in diesem Zusammenhang daran, dass er selbst aus einer Familie kommt, die aus Böhmen vertrieben wurde. Es müsse ein Anliegen der Christen sein, diese Wege der Versöhnung zu suchen.

Europa sei entlang der großen Handelsstraßen entstanden, auch die EU sei zuerst eine Wirtschaftsunion, wobei Kardinal Schönborn betonte: "Das ist nichts Schlechtes. Es tut allen gut, wenn es wirtschaftliche Prosperität gibt". Aber die Wirtschaft könne nicht alles sein. Europa sei auch entlang der Pilgerwege entstanden; Europa lebe aus den Quellorten seiner großen Heiligtümer wie Mariazell. Schließlich gehe es um die Mitarbeit der Christen am "Bauplatz Europa": "Klagen genügt nicht, mitarbeiten ist gefragt". Jeder könne mitwirken, damit Europa ein "Ort der Gerechtigkeit, der Solidarität und des Friedens wird", betonte der Wiener Erzbischof.

Kardinal Schönborn berichtete, dass er wenige Stunden zuvor mit einem künftigen ständigen Diakon zusammengetroffen sei, der Ende September geweiht wird: "Er hatte einen guten Posten in einem Staatsbetrieb. Man legte ihm nahe, in Frühpension zu gehen, ein ärztliches Attest werde sich finden. Er hat sich dagegen entschieden und seinem Vorgesetzten gesagt: Ich kann die Öffentlichkeit nicht betrügen, ich bin nicht krank. Jetzt hat er einen anderen Arbeitsplatz, der schlechter bezahlt ist. Aber er hat ein Zeichen gegeben, das jetzt seinen künftigen Dienst als Diakon ganz anders glaubwürdig macht". Wenn es viele solcher Menschen gäbe, wäre die Sorge um die Finanzierbarkeit des Sozialstaats überflüssig, unterstrich der Kardinal. Von solchen Menschen, die ihre Kraft aus dem Glauben schöpfen, hänge, im kleinen wie im großen, die Zukunft Europas ab.

"Wissend und liebend"
Kardinal Schönborn und Bischof Kapellari erinnerten in der Stadthalle an den ersten Pastoralbesuch des Papstes vor 20 Jahren, als Johannes Paul II. in Mariazell Österreich der Fürsprache der Gottesmutter anvertraute. Bischof Kapellari unterstrich die Hoffnung auf einen zweiten Besuch des Papstes im größten Wallfahrtsort der Donauländer aus Anlass der "Wallfahrt der Völker" im kommenden Mai.

Bischof Kapellari würdigte den "Rosenkranz-Sühnekreuzzug", der alljährlich die "Maria-Namen-Feier" trägt. Viele "Stille im Land", aber auch Träger hoher öffentlicher Verantwortung hätten sich dieser Gebetsbewegung angeschlossen. Der steirische Bischof erinnerte an die mitten im Zweiten Weltkrieg formulierten Worte des katholischen Dichters Reinhold Schneider über die Kraft des Gebets: "Allein den Betern kann es noch gelingen, das Schwert ob unseren Häuptern aufzuhalten". Auch heute brauche Österreich betende Menschen, die "ebenso wissende wie liebende Beter" sind, unterstrich Bischof Kapellari: "Solche Beter sollen wissen, wie es um unsere Welt, unsere Gesellschaft und um die Kirche steht. Sie sollen sich keine vorschnell verallgemeinernden Urteile gestatten. Ihr Denken soll zusammenfassend einfach sein, aber nicht schrecklich vereinfachend".
     
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