Witten/Herdecke (alphagalileo) - Abgesehen von seinem gelegentlichen Ärger über nicht ausgebackene
oder zu harte Sonntagssemmeln hatte der Wittener Mathematiker Prof. Dr. Uwe an der Heiden bis vor drei Jahren eher
wenig Berührungspunkte mit dem Bäckerhandwerk. Stets auf der Suche nach praktischen Anwendungsmöglichkeiten
seiner als eher praxisfern geltenden Wissenschaft, kam ihm jedoch eines Tages der Gedanke, die manchmal mangelnde
Qualität von Brötchen und Kuchen könnte etwas zu tun haben mit mangelhaft aufeinander abgestimmten
Betriebsabläufen in größeren Bäckereien. Und da fühlte er sich als Mathematiker und Experte
für komplexe Systeme angesprochen.
Bei seinen Besuchen in verschiedenen größeren Bäckereien machte er interessante Beobachtungen.
Einen beinahe handgreiflichen Streit zwischen zwei Bäckern zum Beispiel. Der eine war für die Brote,
der andere für Torten zuständig. Streitpunkt: Der Brot-Kollege hatte wieder einmal zu schnell den Ofen
in Beschlag genommen, was zur Folge hatte, dass die Kuchen des Torten-Kollegen in der brütenden Hitze vor
dem Ofen langsam dahinschmolzen. An der Heiden beobachtete auch, dass die Gärzeiten des Teiges je nach Zeitdruck
um bis zu 30 Minuten über- oder unterschritten wurden. Insgesamt teilten er und sein Team den gesamten Produktionsprozess
in mühseligen und Zeit raubenden Recherchen in Tausend verschiedene Parameter auf - immer dabei bedenkend,
wie die einzelnen Arbeitsabläufe optimal in den Gesamtprozess integriert werden könnten.
Als wirklich alles beobachtet, gemessen, besprochen und berechnet war, bauten er, sein Kollege Dr. Klaus Reichard
und seine Mitarbeiter vom Wittener Institut für Mathematik im Computer eine optimierte virtuelle Bäckerei
auf, wie es sie deutschlandweit kein zweites Mal gibt. Schon in der Simulationsphase stellten sie fest: Viele Arbeitsabläufe
müssen umgestellt werden, will auch die reale Bäckerei in Zukunft bessere Brötchen in kürzerer
Zeit backen.
Zur Zeit befindet sich das System in der Testphase. Mehrere mittelständische Bäckereien aus ganz Deutschland
(z.B. in Köln und Kaiserslautern) sind bereits dabei, das Zepter vorübergehend an Kollege Computer abzugeben.
Prof. an der Heiden ist überzeugt, dass Bäckereien Dank des neuen Systems in Zukunft erhebliche Effizienzgewinne
entstehen. Auch der Markt für diese praxisnahe wissenschaftliche Neuerung sei groß: In Deutschland gibt
es nach seinen Berechnungen etwa 1000 Bäckereien mit mehr als 20 Filialen, für die ein solches System
nützlich sein könnte. |