Retrospektive Helmut Qualtinger |
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Wien (filmarchiv) - Wenn sich ein Land, ein Staat, ein Volk personifizieren ließe, dann böte
Helmut Qualtinger wahrscheinlich die ideale Projektionsfläche dafür. Schon zu Lebzeiten eine beispiellos
mit Klischees überladene Figur, welche das österreichische (Nachkriegs-)Antlitz so treffend zu spiegeln
vermochte, verschmolz die öffentliche Wahrnehmung nach seinem Tod den Darsteller Qualtinger zusehends mit
der Person - mehr denn je steht Helmut Qualtinger heute für die vielleicht präziseste Inkarnation österreichischer
Zeitgeschichte. "Eine ganze Nation verlieh ihm - ungefragt - die kumpelhafte Bezeichnung Quasi, weil sie nicht
hören wollte, was er sagt, sondern wie er es sagt. Sie liebte seine Erscheinung, sie verniedlichte seine Person,
um den erschreckenden Inhalten seiner Sätze zu entkommen", vermerkt Peter Turrini. In diesem Sinne gilt es, Helmut Qualtinger tatsächlich neu zu entdecken. Als einen abgründigen, so gar nicht mit der österreichischen Lebensart versöhnten Zyniker, einen begnadeten Schauspieler, der selbst kleinen Rollen Tiefe und Authentizität verlieh, einen "Virtuosen des Unbehagens" (Franz Schuh), der Figuren mit einer Doppelbödigkeit ausstattete, die zwischen Unterwürfigkeit und Subversion, zwischen spießbürgerlicher Affirmation und selbstkritischem Aufbegehren pendelnd, immer wieder die fragile Verfassung des entwurzelten Nachkriegsösterreichs auf den Punkt brachte. Die Retrospektive Anlässlich seines 75 Geburtstags würdigt das Filmarchiv Austria nun Helmut Qualtinger in einer umfangreichen Retrospektive, die alle wichtigen Etappen seiner schillernden Karriere dokumentiert. Qualtinger Laufbahn begann in den 50er Jahren in einem Brettl-Ensemble, das Otto F. Beer "das Wunderteam des Wiener Kabaretts" nannte. Nebenbei schrieb er Drehbücher, Sketches, Bühnenstücke und wirkte allein bis 1961 in über einem Dutzend Filmen als Komiker mit. In den späten 50er und frühen 60er Jahren etablierte sich mit dem Fernsehen ein neues Medium. Während die Presse es großteils als "nicht zukunftsträchtig" ansah, produzierten Visionäre wie Erich Neuberg mit einem erlesenen Schauspielerensemble, zu dem auch Qualtinger zählte, erste Meilensteine der TV-Geschichte, darunter GESCHICHTEN AUS DEM WIENER WALD (1961). Im selben Jahr traf DER HERR KARL die österreichische Nation ins Herz. Helmut Qualtinger und Carl Merz schufen nicht nur einen zeitlosen Fernsehklassiker, sondern gleichzeitig eines der wichtigsten österreichischen Theaterstücke des 20. Jahrhunderts. Dazu kamen die Krimiklassiker MANN IM SCHATTEN (1961, Regie: Arthur Maria Rabenalt), KURZER PROZESS (1967, Regie, Michael Kehlmann), Joseph-Roth-Verfilmungen wie RADETZKYMARSCH (Regie: Michael Kehlmann) oder Bernhard Wickis DAS FALSCHE GEWICHT (1971) sowie internationale Filmproduktionen wie DAS SCHLOSS (1968, Regie: Rudolf Noelte), DER RICHTER UND SEIN HENKER (1975, Regie: Maximilian Schell), GRANDISON (1979, Regie: Achim Kurz) und DER NAME DER ROSE (1986, Regie: Jean-Jacques Annaud). Insgesamt 40 Film- und Fernseharbeiten sind in der Retrospektive vertreten, neben allen wichtigen Klassikern auch echte Wiederentdeckungen wie PASSION EINES POLITIKERS (1970), William Dieterles Fernseharbeit SAMBA (1966) oder die Thomas-Bernhard-Verfilmung DER KULTERER (1974). Nach den Vorstellungen im Metro Kino läuft die Retrospektive im ältesten Kino Wiens, den Breitenseer Lichtspielen: einem ebenfalls stimmigen Ort für die Wiederaufführung des Qualtinger'schen Œuvre. Die Publikation Zur Retrospektive erscheint eine Filmarchiv-Austria-Publikation, in der die wichtigsten Film- und Fernseharbeiten Qualtingers erstmals ausführlich analysiert werden. Mit Beiträgen von Christian Baier, Thomas Ballhausen, Dieter Berner, Thomas Brandlmeier, Julia Danielczyk, Alfred Dorfer, Iris Fink, Christoph Fuchs, Hilde Haider-Pregler, Evelyn Itkin, Günter Krenn, Volker Kühn, Christian Qualtinger, Vrääth Öhner, Birgit Peter, Peter Turrini und Andreas Ungerböck. Ergänzt wird der Band mit einer ausführlichen Filmografie und einem reichhaltigen Abbildungsteil. Helmut Qualtinger. Die Arbeiten für Film und Fernsehen, 300 S., Hardcover, 24,90 Euro 3. bis 16. Oktober, 1. bis 6. November 2003, Metro Kino 7. November 2003 bis 8. Jänner 2004, Breitenseer Lichtspiele Informationen: http://www.filmarchiv.at |
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