Der Felshang über Randa (VS) liefert Grundlagen zur Prognose von Felsrutschen
Zürich (alphagalileo) - Mit Hilfe eines komplexen Messsystems in einem Hang oberhalb von Randa
(VS) haben Forschende der ETH Zürich ein 3D-Modell der Bewegungen im Inneren des Berges entwickelt. Mit überraschendem
Resultat: Die Bewegungen in der Tiefe sind ausgeprägter als jene an der Oberfläche. Fernziel der Grundlagenforschung
ist die zuverlässigere Prognose grosser Felsrutsche.
Das Rumpeln birgt für sie kaum noch Geheimnisse. Die Rede ist nicht vom Bauch der Forschenden, sondern von
jenem des Berges! Denn oberhalb des Walliser Dorf Randa gelang es Geologen und Geophy-sikern der ETH Zürich
mit Hilfe eines komplexen Messsystems die Verschiebungen der Gesteinsmassen im Innern eines Felshangs drei-dimensional
zu erfassen. Entgegen allen Erwartung ergaben die Messungen, dass sich die Massen in der Tiefe offenbar schneller
be-wegen als an der Oberfläche. Fest steht jedenfalls, dass diese Be-wegungen sehr komplex sind. Im Inneren
ein und derselben instabilen Felswand finden sie nicht, wie logischerweise zu erwarten wäre, ausschliesslich
talabwärts statt, sondern in verschiedenen Richtungen und mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Dieses
Nationalfonds-Projekt soll langfristig eine Grundlage für die bessere Prognose grosser Felsrutsche liefern
– wie jener von Randa im Jahr 1991.
«Früher war die Untersuchung solcher Rutschungen hauptsächlich beschreibender und qualitativer
Natur», erklärt Simon Löw, Professor für Geologie an der ETH Zürich. Das heisst, man
mass die oberflächlichen Verschiebungen der Gesteinsmassen, die sich entlang von Rissen von den stabilen Felsmassen
ablösen. Um Katastrophen so gut als möglich vorzubeugen, mussten sich die Forschenden auf Luftaufnahmen
und eine möglichst engmaschige Überwachung vor Ort verlassen. «Die Vorhersehbarkeit blieb aber
beschränkt, da man bis heute nicht genau weiss, welche Vorgänge im Berg die Geschwindigkeiten dieser
Verschie-bungen kontrollieren und schliesslich zu einer grossen Felsrutschung (einem „Bergsturz“) führen»,
führt der Geologe aus. «Wir wollen deshalb zuerst genau verstehen, wie sich die zahlreichen Klüfte
im Fels ent-wickeln, wie sie zu einer durchgehenden Gleitfläche zusammenwachsen und sich ausdehnen. Denn schliesslich
führen diese Klüfte zum Weggleiten der Gesteinsmassen.» Eine solche Idee in die Tat umzusetzen,
erwies sich als durchaus anspruchsvoll.
«Zu Beginn des Projekts im Jahr 2000 musste zuerst ein ideales Forschungsgelände gefunden werden»,
erklärt die Doktorandin Heike Willenberg. «Ein gut zugänglicher Ort, dessen geologischer Aufbau
den Vorgaben des Projekts entsprach, und an dem die Verschiebungen nicht allzu ausgeprägt waren.» Nach
mehreren Abklärungen fiel die Wahl des Forschungsteams auf ein Plateau in 2500 Metern Höhe oberhalb Randa.
Weshalb gerade dieser Ort? «Hier fand 1991 ein gewaltiger Bergsturz mit 30 Millionen Kubikmetern Gesteinsmasse
statt», erklärt Simon Löw. Gerade oberhalb der heutigen Abbruchstelle befindet sich eine Felsmasse
mit denselben Eigenschaften wie die vor 12 Jahren abgestürzte. «Die Felsmasse bewegt sich mit konstanter
Geschwindigkeit», führt Heike Willenberg aus. «Erst wenn sich die Bewegungen beschleunigen, wird
es wirklich gefährlich.»
120 Meter tiefe Bohrung Die nächste Etappe war der Aufbau des Messsystems – eine ungeheure logistische Herausforderung.
So war auf der Fläche von ungefähr einem Hektar ein Dutzend Bohrungen unterschiedlicher Grösse zu
machen. Dabei ist eine der Bohrungen 120 Meter, zwei weitere sind je 50 Meter tief. «Um die Bohrmaschinen
auf diese Höhe zu bringen, brauchten wir einen leistungsstarken Helikopter russischer Bauart», berichtet
Simon Löw. Daneben wurden neun weitere, fünf Meter tiefe Bohrungen durchgeführt. Dazu kommt ein
vom Kanton Wallis errichtetes Netzwerk von Reflektoren, mit denen die Gesteinsbewegungen von der anderen Seite
des Tals aus verfolgt werden können.
Alle Bohrungen sind mit verschiedenen Messgeräten ausgestattet: Inklinometer messen die durch Verschiebungen
der Gesteinsmasse verursachten Neigungsänderungen der Bohrungen, Extensometer messen Längenänderungen
der Bohrungen, Geophone zeichnen winzigste Erschütterungen in der Tiefe auf, Piezometer bestimmen den Druck
des in der Tiefe vorhandenen Wassers. «Wasser kann eine entscheidende Rolle spielen, da es die Reibung zwischen
den Gesteins-blöcken herabsetzt und so zur Instabilität beiträgt», fügt Willenberg an.
Die seit November 2001 über Kabel an die Oberfläche geleiteten Messdaten werden über Funk ins Tal
gesendet und dort von Computern gespeichert. Während sich die Gruppe von Simon Löw der Analyse der geologischen
und geotechnischen Daten widmet, prüft der Doktorand Thomas Spillmann zusammen mit der Forschungsgruppe von
Alan Green, Professor für Geophysik, akribisch die aufgezeichneten, kaum wahrnehmbaren Mikroerschütterungen
mit einem Wert von unter 0,5 auf der Richterskala. «Wir haben in drei Monaten etwa Tausend solcher Mikrobeben
gemessen», erklärt Thomas Spillmann. «Da ihre Ursache aber noch weitgehend unbekannt ist, müssen
diese Messungen genau analysiert werden.»
Schliesslich werden alle Daten in ein bereits heute sehr aufschlussrei-ches Simulationsmodell integriert. «Es
lässt sich feststellen, dass eine Bewegung um zwei Zentimeter an der Oberfläche in 18 Monaten einer um
zwei Zentimeter grösseren Verschiebung in 70 Metern Tiefe ent-spricht», erklärt Löw. «Ausserdem
können wir nun das Netz von Klüften und Brüchen eindeutig den Verschiebungen der verschiedenen Gebirgs-blöcken
zuweisen.» Trotz der vergleichsweise geringen Geschwindigkeit des Prozesses konnte jedem dieser Felsblöcke
ein Bewegungsvektor zugeordnet werden. «Mit anderen Worten: Wir kennen nun Geschwin-digkeit und Richtung
der Bewegung dieser verschiedenen Blöcke.»
Dieses 3D-Modell der heutigen Bewegungen ist ein erster Schritt auf dem steinigen Weg zu einer präzisen und
zuverlässigen Vorhersage der Entwicklung grosser Felsrutsche. Simon Löw kann allerdings noch nicht abschätzen,
wann solche belastbare Modelle vorhanden sein werden: «Da alle Vorgänge äusserst langsam ablaufen,
benötigen wir zur Abstimmung der Modelle viel Zeit und zusätzliche Daten. Es handelt sich also noch um
Grundlagenforschung. Später erhalten wir hoffentlich allgemeine Erkenntnisse, die sich konkret anwenden lassen.»
Doch an internationalen geologischen Konferenzen findet das Projekt schon jetzt grosse Beachtung, wie auch Simon
Löw bestätigt: «Wir sind die Ersten, die einen so genauen Blick ins Innere des Berges erhalten
haben. So ist das Forschungsgelände oberhalb Randa schon nach drei Jahren Arbeit international ein wichtiges
Referenzprojekt geworden.» |