In der Tiefe bewegt sich der Berg stärker  

erstellt am
24. 09. 03

Der Felshang über Randa (VS) liefert Grundlagen zur Prognose von Felsrutschen
Zürich (alphagalileo) - Mit Hilfe eines komplexen Messsystems in einem Hang oberhalb von Randa (VS) haben Forschende der ETH Zürich ein 3D-Modell der Bewegungen im Inneren des Berges entwickelt. Mit überraschendem Resultat: Die Bewegungen in der Tiefe sind ausgeprägter als jene an der Oberfläche. Fernziel der Grundlagenforschung ist die zuverlässigere Prognose grosser Felsrutsche.

Das Rumpeln birgt für sie kaum noch Geheimnisse. Die Rede ist nicht vom Bauch der Forschenden, sondern von jenem des Berges! Denn oberhalb des Walliser Dorf Randa gelang es Geologen und Geophy-sikern der ETH Zürich mit Hilfe eines komplexen Messsystems die Verschiebungen der Gesteinsmassen im Innern eines Felshangs drei-dimensional zu erfassen. Entgegen allen Erwartung ergaben die Messungen, dass sich die Massen in der Tiefe offenbar schneller be-wegen als an der Oberfläche. Fest steht jedenfalls, dass diese Be-wegungen sehr komplex sind. Im Inneren ein und derselben instabilen Felswand finden sie nicht, wie logischerweise zu erwarten wäre, ausschliesslich talabwärts statt, sondern in verschiedenen Richtungen und mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Dieses Nationalfonds-Projekt soll langfristig eine Grundlage für die bessere Prognose grosser Felsrutsche liefern – wie jener von Randa im Jahr 1991.

«Früher war die Untersuchung solcher Rutschungen hauptsächlich beschreibender und qualitativer Natur», erklärt Simon Löw, Professor für Geologie an der ETH Zürich. Das heisst, man mass die oberflächlichen Verschiebungen der Gesteinsmassen, die sich entlang von Rissen von den stabilen Felsmassen ablösen. Um Katastrophen so gut als möglich vorzubeugen, mussten sich die Forschenden auf Luftaufnahmen und eine möglichst engmaschige Überwachung vor Ort verlassen. «Die Vorhersehbarkeit blieb aber beschränkt, da man bis heute nicht genau weiss, welche Vorgänge im Berg die Geschwindigkeiten dieser Verschie-bungen kontrollieren und schliesslich zu einer grossen Felsrutschung (einem „Bergsturz“) führen», führt der Geologe aus. «Wir wollen deshalb zuerst genau verstehen, wie sich die zahlreichen Klüfte im Fels ent-wickeln, wie sie zu einer durchgehenden Gleitfläche zusammenwachsen und sich ausdehnen. Denn schliesslich führen diese Klüfte zum Weggleiten der Gesteinsmassen.» Eine solche Idee in die Tat umzusetzen, erwies sich als durchaus anspruchsvoll.

«Zu Beginn des Projekts im Jahr 2000 musste zuerst ein ideales Forschungsgelände gefunden werden», erklärt die Doktorandin Heike Willenberg. «Ein gut zugänglicher Ort, dessen geologischer Aufbau den Vorgaben des Projekts entsprach, und an dem die Verschiebungen nicht allzu ausgeprägt waren.» Nach mehreren Abklärungen fiel die Wahl des Forschungsteams auf ein Plateau in 2500 Metern Höhe oberhalb Randa.

Weshalb gerade dieser Ort? «Hier fand 1991 ein gewaltiger Bergsturz mit 30 Millionen Kubikmetern Gesteinsmasse statt», erklärt Simon Löw. Gerade oberhalb der heutigen Abbruchstelle befindet sich eine Felsmasse mit denselben Eigenschaften wie die vor 12 Jahren abgestürzte. «Die Felsmasse bewegt sich mit konstanter Geschwindigkeit», führt Heike Willenberg aus. «Erst wenn sich die Bewegungen beschleunigen, wird es wirklich gefährlich.»

120 Meter tiefe Bohrung Die nächste Etappe war der Aufbau des Messsystems – eine ungeheure logistische Herausforderung. So war auf der Fläche von ungefähr einem Hektar ein Dutzend Bohrungen unterschiedlicher Grösse zu machen. Dabei ist eine der Bohrungen 120 Meter, zwei weitere sind je 50 Meter tief. «Um die Bohrmaschinen auf diese Höhe zu bringen, brauchten wir einen leistungsstarken Helikopter russischer Bauart», berichtet Simon Löw. Daneben wurden neun weitere, fünf Meter tiefe Bohrungen durchgeführt. Dazu kommt ein vom Kanton Wallis errichtetes Netzwerk von Reflektoren, mit denen die Gesteinsbewegungen von der anderen Seite des Tals aus verfolgt werden können.

Alle Bohrungen sind mit verschiedenen Messgeräten ausgestattet: Inklinometer messen die durch Verschiebungen der Gesteinsmasse verursachten Neigungsänderungen der Bohrungen, Extensometer messen Längenänderungen der Bohrungen, Geophone zeichnen winzigste Erschütterungen in der Tiefe auf, Piezometer bestimmen den Druck des in der Tiefe vorhandenen Wassers. «Wasser kann eine entscheidende Rolle spielen, da es die Reibung zwischen den Gesteins-blöcken herabsetzt und so zur Instabilität beiträgt», fügt Willenberg an.

Die seit November 2001 über Kabel an die Oberfläche geleiteten Messdaten werden über Funk ins Tal gesendet und dort von Computern gespeichert. Während sich die Gruppe von Simon Löw der Analyse der geologischen und geotechnischen Daten widmet, prüft der Doktorand Thomas Spillmann zusammen mit der Forschungsgruppe von Alan Green, Professor für Geophysik, akribisch die aufgezeichneten, kaum wahrnehmbaren Mikroerschütterungen mit einem Wert von unter 0,5 auf der Richterskala. «Wir haben in drei Monaten etwa Tausend solcher Mikrobeben gemessen», erklärt Thomas Spillmann. «Da ihre Ursache aber noch weitgehend unbekannt ist, müssen diese Messungen genau analysiert werden.»

Schliesslich werden alle Daten in ein bereits heute sehr aufschlussrei-ches Simulationsmodell integriert. «Es lässt sich feststellen, dass eine Bewegung um zwei Zentimeter an der Oberfläche in 18 Monaten einer um zwei Zentimeter grösseren Verschiebung in 70 Metern Tiefe ent-spricht», erklärt Löw. «Ausserdem können wir nun das Netz von Klüften und Brüchen eindeutig den Verschiebungen der verschiedenen Gebirgs-blöcken zuweisen.» Trotz der vergleichsweise geringen Geschwindigkeit des Prozesses konnte jedem dieser Felsblöcke ein Bewegungsvektor zugeordnet werden. «Mit anderen Worten: Wir kennen nun Geschwin-digkeit und Richtung der Bewegung dieser verschiedenen Blöcke.»

Dieses 3D-Modell der heutigen Bewegungen ist ein erster Schritt auf dem steinigen Weg zu einer präzisen und zuverlässigen Vorhersage der Entwicklung grosser Felsrutsche. Simon Löw kann allerdings noch nicht abschätzen, wann solche belastbare Modelle vorhanden sein werden: «Da alle Vorgänge äusserst langsam ablaufen, benötigen wir zur Abstimmung der Modelle viel Zeit und zusätzliche Daten. Es handelt sich also noch um Grundlagenforschung. Später erhalten wir hoffentlich allgemeine Erkenntnisse, die sich konkret anwenden lassen.»

Doch an internationalen geologischen Konferenzen findet das Projekt schon jetzt grosse Beachtung, wie auch Simon Löw bestätigt: «Wir sind die Ersten, die einen so genauen Blick ins Innere des Berges erhalten haben. So ist das Forschungsgelände oberhalb Randa schon nach drei Jahren Arbeit international ein wichtiges Referenzprojekt geworden.»
     
zurück