Gusenbauer über
Sozialstaat: »Schwerpunkte müssen Bildung, Gesundheit und bedarfsorientierte Grundsicherung sein«
Wien (sk) - "Wofür brauchen wir den Sozialstaat?" Dieser Frage stellte sich SPÖ-Vorsitzender
Alfred Gusenbauer im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung des Renner-Instituts am Freitag (03. 10.)
zum Thema "Staatliche Steuerung - private Eigenverantwortung: Welchen Sozialstaat wollen wir?",
und setzte folgende Prioritäten: Die Eingangschancen in das Leben müssen durch bestmögliche Bildung
und Ausbildung gewährleistet werden, Gesundheitsversorgung und Pflege müssen gesichert sein, "außerdem
brauchen wir als festen Boden eine bedarfsorientierte Grundsicherung, die vor allem in einer risikoreichen Zeit
immer wichtiger wird", zeigte sich Gusenbauer überzeugt. Das Thema des Hauptreferats der Diskussionsveranstaltung
lautete: "Soziale Gerechtigkeit, Sozialdemokratie und Gewerkschaften im 21. Jahrhundert" und wurde von
Prof. Wolfgang Merkel, vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Heidelberg, bestritten,
als Diskussionsleiter fungierte Werner A. Perger, Journalist, DIE ZEIT. Weiters diskutierten Lorenz Fritz, Generalsekretär
der Industriellenvereinigung Österreich, Sabine Groner-Weber, Leiterin des Bereichs Politik & Planung
der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Berlin, und Heide Schmidt, Vorstandsvorsitzende des Instituts
für eine offene Gesellschaft.
Merkel definierte zur Bewältigung der künftigen gesellschaftlichen Aufgaben fünf Präferenzen
für sozialdemokratisches Handeln: 1. Armutsvermeidung als Bedingung zur Realisierung gleicher Lebenschancen,
2. höchstmöglicher Bildungs-, Ausbildungs- und Weiterbildungsstandard, sowie den gleichen fairen Zugang
aller zu dieser Bildung, 3. Teilhabe jener an Erwerbstätigkeit, die können und wollen, dadurch sei auch
soziale Integration gegeben, 4. "die soziale, individuell aktivierende Sicherung eines Lebens in Würde"
und 5. die Reduzierung von Einkommensunterschieden. Um einen Sozialstaat umsetzen zu können, der stärker
steuerfinanziert ist, bedürfe es laut Merkel dreier Logiken: Der Logik der Fairness (die Bevölkerung
muss wahrnehmen, dass das politische Programm fair ist, die sozialstaatlichen Maßnahmen dürfen nicht
diskriminierend sein), der ökonomischen Logik (weg von sozial konsumptiven Ausgaben, hin zu sozial investiven)
und der politischen Logik (zu suchen sei eine breite Unterstützung in der Bevölkerung, v.a. in der Mittelschicht).
Trotz Globalisierung und Individualisierung sieht Merkel genug Handlungsspielräume, auch marktwirtschaftliche
Gesellschaften sozial gestalten zu können.
"Das sozialdemokratische Modell der bedarfsorientierten Grundsicherung stellt in den Vordergrund, dass sich
möglichst viele Menschen in der Erwerbstätigkeit befinden", machte Gusenbauer klar. "Die bedarfsorientierte
Grundsicherung ist ein Rechtsanspruch und kein Gnadenakt, eine Leistung, die Menschen empfangen sollen, wenn alle
anderen Mechanismen nicht greifen, jedoch mit der Perspektive, diese Menschen wieder rauszuholen", unterstrich
der SPÖ-Vorsitzende. Als Hauptpunkte eines Sozialstaats definierte Gusenbauer faire "Eingangschancen"
in das Leben, vor allem durch Bildung, Ausbildung und Weiterbildung, Gesundheitsversorgung und Pflege im Alter
und die bedarfsorientierte Grundsicherung.
Zur Problematik der Finanzierung eines Sozialstaates verwies Gusenbauer auf die Lohnnebenkostendiskussion und notwendige
Korrekturen: "Der Faktor Arbeit muss entlastet werden, das Problem ist aber, dass v. a. die Industrie aufgrund
von Privilegien gar keine Steuern mehr in Österreich zahlt, ihr Beitrag läuft über die Lohnnebenkosten,
senkt man diese, senkt man den einzigen Beitrag", erklärte Gusenbauer.
Auch Groner-Weber stimmte Merkel in den einzelnen Punkten zu, sprach sich aber außerdem für eine "kompensatorische
Gerechtigkeit" und "biographische Gerechtigkeit" aus. Erstere behandelt die Thematik, wie der Staat
helfen kann, Ungerechtigkeiten, die zu Beginn des Lebens stehen, auszugleichen, zweitere fragt, wie der Staat Brücken
in einen neuen Lebensabschnitt schaffen kann. Lorenz Fritz wies darauf hin, dass die Bildung ein "ungelöstes
Problem" sei, und viel zu wenig für Weiterbildung ausgegeben werde. Schmidt unterstrich einmal mehr das
politisch wichtige Anliegen der Grundsicherung. Der Begriff des "sozialen Netzes" sei ihr allerdings
"unsympathisch", sie plädierte dafür, ihn durch "festen Boden" zu ersetzen. |
Molterer: SPÖ-Meinungsforschungspolitik ist nicht zielführend
SPÖ soll sich aktiv an Entscheidungen beteiligen
Wien (övp-pk) - "Dass die SPÖ sich neuerdings auf Meinungsforschungspolitik verlegt,
ist nicht zielführend", sagte ÖVP-Klubobmann Mag. Wilhelm Molterer am Freitag (03. 10.)
zu der vom SPÖ- Vorsitzenden Alfred Gusenbauer vorgestellten Sozialstaat-Studie. Eine aktive und konstruktive
Mitarbeit der SPÖ bei wichtigen Reformen sei wichtiger. "Die SPÖ soll sich lieber an der Bewältigung
aktueller politischer Herausforderungen beteiligen."
"Nur, wenn sich die SPÖ etwa in der Frage der Pensionsharmonisierung, bei der Gesundheitsreform oder
bei der ÖBB- Reform aktiv einbringt, kann sie auch an den Entscheidungen teilnehmen", so Molterer. Wenn
die SPÖ lernen wolle, wie konstruktive Oppositionspolitik aussehen soll, "soll sie sich ein Beispiel
an der CDU nehmen". Diese lebe vor, wie konstruktive Politik funktioniere, sagte Molterer abschließend. |
Haidlmayr weist Gusenbauers Pflegegeld-Vorschlag strikt zurück
Mehr und nicht weniger Selbstbestimmtheit für Menschen mit Behinderung notwendig
Wien (grüne) - Mit heftiger Zurückweisung reagiert die Behindertensprecherin der Grünen,
Teresia Haidlmayr, auf den neuerlichen Vorstoß von SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer, das Pflegegeld in seiner
jetzt bestehenden Form abzuschaffen. „Die Behindertenorgansiationen haben lange Jahre für die bestehende Form
des Pflegegeldes gekämpft. Sie gewährleistet ein Mindestmaß an Selbstbestimmtheit von Menschen
mit Behinderung“, erklärt Haidlmayr.
Haidlmayr weist Gusenbauers Vorschlag, die Anspruchsberechtigung mit der materiellen Nortwendigkeit zu verknüpfen,
strikt zurück. „Gerade im Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderung das Rad der Zeit zurückzudrehen
und für Menschen mit Behinderung weitere Barrieren auf- anstatt abzubauen, ist inakzeptabel. Ich erwarte mir
Vorschläge, die Menschen mit Behinderung ein Mehr an Selbstbestimmung bringen und nicht das Gegenteil“, schließt
Haidlmayr. |