6. European Health Forum Gastein:
Ende der Forschung – Ende des Lebens
 

erstellt am
06. 10. 03

Über die Bedeutung der Neuentwicklung von Medikamenten im Kampf gegen AIDS
Gastein (sbg.at) - „Leben mit HIV gleicht einer Achterbahnfahrt – greift eine Therapie, so geht’s bergauf, körperlich wie seelisch. Aber wenn der Therapieerfolg abreißt – und das passiert nur zu schnell – ist es, als ob man ins Nichts fällt“, beschreibt James Locke sein Leben mit der Krankheit AIDS. 1984 hatten die Ärzte die tödliche Immunschwäche an ihm festgestellt und ihm nur noch drei Jahre zu leben gegeben. Heute muss er jährlich um die 8.000 Pillen schlucken, aber dank der Fortschritte in der Forschung kann er immer noch ein qualitätsvolles, aktives und selbständiges Leben führen, wie er beim 6. European Health Forum Gastein betont. Bei dem europäischen Gesundheitskongress stehen neben den zahlreichen Veranstaltungen zum diesjährigen Schwerpunkt „Health and Wealth“ einige kleinere Vorträge und Workshops zu aktuellen Themen auf dem Programm. In einem Vortrag von John Locke (betroffener Patient), John Bowis (Mitglied des Europa-Parlaments) und Dr. Anton Pozniak (AIDS-Spezialist am Chelsea und Westminster Hospital, London) wird das Problem der weltweit zunehmenden Resistenz von HIV-Viren gegen Medikamente erörtert.

Wachsende Resistenz der HIV-Viren
„Die wachsende Widerstandkraft der HIV-Viren gegen Medikation ist im Zunehmen begriffen und erweist sich als das größte Hindernis im Kampf gegen AIDS“, erklärt der AIDS-Experte Dr. Anton Pozniak. Warum AIDS so schwer in Griff zu bekommen ist: Der HIV-Virus vermehrt sich extrem schnell, jeden Tag entstehen Billionen neuer Viren. ARV-Medikamente (antiretrovirals) können zwar die weitere Vermehrung stoppen, doch das hilft nur bedingt: HIV-Viren können ihre genetische Struktur während der Vermehrung verändern und sind dadurch gegen das Medikament oder die Wirkstoffkombination resistent, mit der die Vermehrung hätten gestoppt werden sollen. Diese Mutationsfreudigkeit macht ständige Wechsel in der Therapie nicht nur notwendig, sondern auch immer schwieriger. Schätzungsweise bestehen bereits bei einem Großteil der rund 350.000 HIV-Infizierten in Westeuropa Arzneien-Resistenzen. Die steigende Resistenz bringt die großen Fortschritte in Gefahr, die bereits auf dem Feld der AIDS-Bekämpfung erzielt wurden, und die es erlaubten, mit AIDS mehr wie mit einer chronischen Infektion als mit einer tödlichen Immunschwäche zu leben.

Fakten zur Medikamenten-Resistenz
Die Medikamenten-Resistenz ist bei jedem bisher erhältlichen ARV-Medikament zu beobachten, egal ob es allein oder in Kombination mit anderen Arzneien eingesetzt wurde. Zur Resistenz kommt es unterschiedlich schnell, das hängt vom jeweiligen Patienten plus der Behandlung ab. Es ist daher sehr wichtig, den Verlauf einer Therapie permanent zu beobachten.

HIV-Viren, die gegen eine bestimmte Arznei resistent sind, können diese Widerstandskraft auch gegenüber Medikamente der gleichen Wirkstoffklasse aufweisen, selbst wenn diese bisher noch nie verwendet wurden (cross-resistance). Diese Tatsache kann den Erfolg einer Therapie stark einschränken oder völlig zunichte machen. Setzen die Patienten die Therapie trotz anwachsender Virenzahl fort, d.h. besteht bereits eine Resistenz, so kann sich die Resistenz beschleunigt zunehmen und eine cross-resistence verstärken.

Medikamenten-Resistenz betrifft nicht nur Patienten, die bereits medikamentös behandelt wurden. Sie können bereits mit einem resistenten Virus angesteckt worden sein. Für diese Patienten dauert es länger, bis eine adäquate Behandlung für sie gefunden worden ist, und kürzer, bis diese Behandlungsmöglichkeit auch wieder versagt.

In den Richtlinien des International AIDS Society-USA Panel (IAS-USA) wird daher empfohlen, dass alle Patienten, die sich innerhalb der letzten zwei Jahre angesteckt haben, resistenzgetestet werden, ehe mit einer Behandlung begonnen wird.

Studienergebnisse (Auswahl)
Europa: Die CATCH-Studie, die zwischen 1996 und 2002 unter 1.600 HIV-positiven Menschen aus 17 Europäischen Staaten durchgeführt wurde, zeigten, dass einer von zehn frisch diagnostizierten Patienten medikamentresistente HIV-Viren in sich trugen.

USA: Eine ähnliche Studie aus den USA belegte, dass bei Neuinfizierten, die zwischen 1999 und 2000 untersucht worden waren, die Medikamentenresistenz auf 16,5% angewachsen war – eine Steigerung um 4,6% seit der letzten Untersuchung.

Spanien: 1999 ergab eine in Galizien durchgeführte Studie, dass die knapp 300 untersuchten HIV-behandelte Patienten zu 76% resistente HIV-Mutationen aufwiesen.

Ohne Forschung kein Leben
Der Kampf gegen AIDS ist immer ein Wettlauf mit der Zeit. Je schneller und besser die Forschung, desto größer die Chance, den Mutationen der HIV-Viren zuvorzukommen. James Lockes Krankheitsbild verschlechterte sich Mitte der 90er Jahre, da auch bei ihm die Medikamentenresistenz einsetzte. „2001 versuchte ich es mit einer völlig neuen Art von Medikament, das als fusion inhibitors bekannt ist. Es verhindert, dass die HIV-Viren in meine gesunden Immunzellen eindringen. Das war damals der einzige Weg, der mir geblieben war und ist auch derzeit noch eine Möglichkeit, um AIDS in Schach zu halten. Es ist ungemein wichtig, dass neue Arzneien entwickelt werden, um den HIV-Infizierten das Leben zu verlängern. Sonst kehren wir zu den Verhältnissen zurück, wie wir sie vor 1995 hatten und Infizierte in großen Mengen starben“, so Locke.
     
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