Washington/Wien (bmaa) - In der "Whiteman-Klage", einer der beiden noch in den USA gegen Österreich
und österreichische Unternehmen aus dem Titel "NS-Entschädigung" anhängigen Sammelklagen,
wird Österreich am Montag (29. 09.) ein Rechtsmittel (Petition for Writ of
Certiorari) an den US-Supreme Court in Washington erheben. Das Rechtsmittel richtet sich gegen eine Entscheidung
des Berufungsgerichtes (US Court of Appeals for the Second Circuit) vom 6.08.2003. Darin hatte das Gericht zwar
der Berufung Österreichs stattgegeben und die erstinstanzliche Order aufgehoben, jedoch den Fall für
weitere Sachverhaltsfeststellungen zur Frage der Staatenimmunität an das Erstgericht (Richterin Kram) zurückverwiesen.
Keine Verzögerung für laufendes Verfahren
Trotz der Anrufung des Supreme Court wird es dadurch zu keinen zusätzlichen Verzögerungen für
das laufende Verfahren kommen. Im Interesse der betagten NS-Opfer verzichtet Österreich darauf, einen Antrag
auf aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels einzubringen, und wird neben dem Verfahren vor dem Supreme Court parallel
auch das Verfahren vor Richterin Kram weiterführen (Dual track approach). "Wir haben unsere US-Anwälte
angewiesen, mit Volldampf auf beiden parallelen Schienen weiterzufahren", erklärt Botschafter Hans Winkler,
Leiter des Völkerrechtsbüros im Außenministerium. "Unser vorrangiges Ziel ist es, möglichst
rasch auf einer der beiden Schienen die Abweisung der Klage zu erreichen, damit der Allgemeine Entschädigungsfonds
endlich beginnen kann, an die Opfer auszuzahlen. Durch unser Rechtsmittel an den Supreme Court wollen wir keinesfalls
das Verfahren 'in die Länge ziehen'. Ganz im Gegenteil: Nur so können wir eine rasche Klärung der
grundlegenden Frage der Staatenimmunität erreichen."
Auf Ersuchen Österreichs fand daher bereits am 17.09.2003 eine sog. "Status-Konferenz" vor Richterin
Kram statt, um den weiteren Fahrplan für das erstinstanzliche Verfahren festzulegen. Eine Entscheidung des
US-Supreme Court über die Annahme des Rechtmittels wird spätestens bis Jahresende erwartet.
Frage der Staatenimmunität von grundlegender Bedeutung
Inhaltlich geht es um die Frage, ob Österreich im Hinblick auf seine Staatenimmunität, die es wie jeder
Staat der Welt in Anspruch nimmt, überhaupt vor US-Gerichten geklagt werden kann. In ihrer Order vom 9.10.2002
hatte Richterin Kram sich geweigert, die Frage zu entscheiden, ob Österreich für die vor 1952 erfolgten
Handlungen absolute Staatenimmunität zustehe. Stattdessen ordnete sie ein Beweiserhebungsverfahren (Discovery)
hinsichtlich der Ausnahmen nach dem Foreign Sovereign Immunities Act (FSIA) an. Da auch das Berufungsgericht diese
Frage nicht entschieden hat, hat Österreich nunmehr den Supreme Court angerufen. Die US-Regierung ist aufgrund
des sog. Washingtoner Abkommens vom 17.01.2001 verpflichtet, die Staatenimmunität Österreichs zu unterstützen.
Die Klärung der Frage der Rückwirkung des FSIA für Handlungen vor 1952 ist für die internationale
Staatengemeinschaft weit über den Anlassfall hinaus von grundlegender Bedeutung. Diese Rechtsfrage ist auch
für weitere derzeit in den USA anhängige Klagen gegen Österreich im "Fall Altmann/Bloch-Bauer"
(Klimt-Bilder im Belvedere) und gegen Japan, Polen und die französischen Staatsbahnen verfahrensentscheidend.
In allen diesen Fällen ist beabsichtigt, Rechtsmittel an den Supreme Court einzubringen, bzw. wurden diese
bereits eingebracht. Das US-Höchstgericht ist aber nicht verpflichtet, jedes Rechtsmittel auch anzunehmen;
in der Praxis werden nur sehr wenige Fälle zugelassen. Je mehr Staaten dieselbe Rechtsfrage vor den Supreme
Court bringen, desto größer sind jedoch die Chancen, dass der Gerichtshof zumindest einen der Fälle
zur Behandlung annimmt. |