Paul Badura-Skoda im Interview

   
Wien - Der angesehene und erfolgreiche Wiener Pianist Prof. Paul Badura-Skoda feiert am 6. Oktober 2002 seinen 75. Geburtstag und blickt zugleich auf eine 50jährige internationale Top-Karriere als Pianist zurück. Daneben hat er durch seine Veröffentlichungen wertvolle, musikwissenschaftliche Beiträge im Hinblick auf die Interpretation von Mozart, Haydn, Schubert und Bach geleistet. Im Herzen ist Prof. Badura-Skoda stets jung geblieben, diese Dynamik und die Liebe zur Musik treiben ihn an noch heute auf so zahlreichen Konzertpodien der Welt Gast zu sein!

Das Gespräch führte Benedikt Weingartner.
     
Sie wurden 1927 in Wien geboren. Sind Sie hier hier aufgewachsen?

Richtig, das Besondere ist vielleicht, dass ich fast der einzige von den sogenannten Wiener Pianisten bin, der wirklich in Wien geboren und aufgewachsen ist. An meinen Vater habe ich leider keine eigenen Erinnerungen, er ist an den Folgen eines schweren Motorradunfalls gestorben, als ich knapp vier Monate alt war. Er soll ein genialer Konstrukteur, Ingenieur und Elektrotechniker, alles in einem, sehr musisch und eine unerhört anregende und sympathische Persönlichkeit gewesen sein. Wäre das nicht passiert, wären wir vermutlich nach Amerika ausgewandert und wer weiß womöglich hätte ich als amerikanischer Atomwissenschaftler einen Namen gemacht haben. Aber es kam alles anders. Meine Mutter entstammte einer relativ reichen, jüdischen Familie, ließ sich aber taufen. Das Aufwachsen innerhalb bzw. zwischen diesen beiden Traditionen oder Religionen war für mich ohne Schwierigkeiten. Ich habe mich in beiden sehr zuhause gefühlt. Schon sehr früh hat sich ein gewisses musisches Talent gezeigt, aber auch ein technisches Talent war auffällig, meine erste Vorliebe waren Eisenbahnen, erst dann kam die Musik und das Zeichnen.

Ursprünglich wollten Sie Ingenieur werden. Wie kam es dazu, dass sich dann doch die Musik durchgesetzt hat? Sind Sie mit dem Klavier aufgewachsen? Waren Ihre Eltern musikalisch?

Es gab keinen einzigen Musiker in meiner Familie, aber alle waren irgendwie gute Musikamateure. Die Brüder meiner Mutter haben ausgezeichnet Klavier gespielt, das Lieblingswerk war eindeutig die zweite Ungarische Rhapsodie von Liszt, nicht zuletzt deswegen, weil ja die mütterliche Familie aus der österreichisch-ungarischen Tradition kam, aus Sopron (Ödenburg) stammte. Es wurde gesungen, es wurde musiziert. Meine Mutti spielte Gitarre und begleitete eine Unmenge an Liedern. Es war damals anders, da das Radio in den ersten Anfängen stand und es noch kein Fernsehen gab. Aber wir hatten natürlich ein Grammophon zu Hause, das ich schon als Dreijähriger bedienen konnte. Eines meiner Lieblingsstücke war das Intermezzo aus "Cavalleria Rusticana". Ich habe die Platten so oft gehört, dass ich heute noch die Schlager aus dieser Zeit nachsingen kann, zum Beispiel: "Magdalena, Magdalena, ..." Gleichzeitig habe ich gezeichnet und mit knapp sechs Jahren habe ich meine ersten Klavierstunden bekommen. Damit war also der Anfang meines Weges gezeichnet.

Wie kam es zur Entscheidung, das Klavier zum ständigen Begleiter zu machen?

Es stand natürlich ein Klavier in unserer Wohnung. In Martha Wiesenthal, einer bedeutende Geigerin und Pianistin, hatte ich meine erste Lehrerin. Obwohl ich ganz talentiert war, war keine Rede davon Pianist zu werde. Ich kann mich noch an ihren verzweifelten Ausruf erinnern: "Pauli, Du hast ja Spaghetti-Finger!" Meine Finger waren sehr weich und ein Triller auf dem Klavier war für mich ein fürchterliches Problem. Erst so mit 17 habe ich das gelöst. Ich hatte so eine Wut, dass ich viele Stunden daran übte. Später sagte man mir dann: "Ja, das Einzige, was Du gut kannst, sind Deine Triller". Genau das gehört irgendwie auch zu meinem Charakter, wenn etwas nicht geht, wird es erst recht mit besonderer Intensität verfolgt. Frau Wiesenthal war sehr streng, übersiedelte nach Deutschland und vertraute mich ihrer Freundin und Kollegin Viola Thern an, die mich 2 Jahre unterrichtete. Gleichzeitig lehrte mich Otto Schulhoff, ein Wiener Original. Obwohl er ein genialer Pianist war, fand er allgemein aber wenig Beachtung, weil er scheinbar nach Prinzip "lieber 10 Minuten am Podium zittern, als zwei Stunden üben" lebte. Er hatte den schönsten Anschlag, den ich neben Edwin Fischer je gehört habe; jedes Klavier hat unter ihm geblüht und geklungen, es war ein Traum. Für mich waren die Bedingungen ideal, da ich bei zwei so vollkommen gegensätzlichen Lehreren gelernt habe. Viola Thern war der Typus der korrekten klassischen Wiener Schule, wo alles genau stimmen muß; Schulhoff eben der imaginäre, phantasievolle Pianist mit Rubato und Temporückung. Da Frau Thern nicht wusste, dass ich noch weitere Privatstunden nahm, hat sich oft gewundert, dass ich plötzlich so phantasievoll spielte.

Die weitere Prägung erfuhr ich durch Edwin Fischer. Zusammen mit meinen Lehreren hörte und studierte ich seine Platten. Er war damals eine Legende. Als ich ihn als 13jähriger bei einem Konzert in Wien hörte, war mir klar, das wird mein zukünftiger Lehrer, was aber etwas schwierig sein sollte, da er damals in der Schweiz lebte, dazu kam noch die schlimmsten Kriegsjahre. Zu dieser Zeit lebten wir in einem Bauernhaus auf dem Lande, wo ich täglich acht Stunden Klavierüben konnte.

Zu dieser Zeit spielte ich übrigens auf Anregung meines Stiefvaters (meine Mutter hatte 1935 wieder geheiratet) auch Akkordeon (Quetschen) und damit hatte ich meine allerersten Konzerterfolge. Ich war ein ziemlich versierter Akkordeonspieler, was aus dieser Zeit noch existierende Amateuraufnahmen belegen. Ich bin selbst erstaunt, mit welcher Perfektion ich dieses Instrument spielen konnte.

Das hat übrigens während der russischen Besatzung, wir lebten auf am Lande, Wunder gewirkt. Ich habe alle russischen Soldatenlieder gespielt und wurde als 17jähriger zu den russischen Militärparaden eingeladen. In den Militärlagern spielte ich nicht nur russische Melodien sondern auch österreichische. Ich fand so viel Anerkennung, dass man mich zu einer Konzerttournee nach Moskau einladen wollte.

Der Gedanke Ingenieur zu werden war auch am Ende des Krieges noch wichtig, so machte ich sogar die Aufnahmsprüfung an der technischen Universität und bestand mit Auszeichnung. Im Herbst 1945 bin ich dann doch ins Konservatorium der Stadt Wien eintreten, wo meine frühere Lehrerin Viola Thern schon längere Zeit Professorin war. Der folgende Winter war der kälteste seit vielen Jahren. Weder im Konservatorium nich zu Hause wurde geheizt, weil das Heizmaterial so knapp war. So habe ich nur schnelle Stücke geübt, denn bei den langsamen wären mir die Finger an den Tasten angefroren; das hat vielleicht dazu beigetragen, dass ich eine ganz gute Klaviertechnik erwarb. Wir saßen also mit Pelzmänteln im bitterkalten Konservatorium, aber es war ein wunderbarer Beginn, denn wir hatten die besten Professoren, die man sich denken konnte. Nun wurde ich, nachdem ich schon eine sehr gute Vorbildung hatte, in Theorie, Musikgeschichte, Harmonielehre, Komposition, Kontrapunkt und neben dem Klavierspielen, auch in Orchester- und Chordirektion unterrichtet.

Die Entscheidung für die Musik kam aus freien Stücken?

Ja, denn ich erkannte, dass die Musik eine Kraft ausstrahlt und etwas vermittelt, das wir so leichthin Ewigkeitswert nennen. Bei Konzerten - damals unter täglicher Todesangst - spürte ich die geistigen Werte und ein Vertrauen, dass es wert ist zu leben. Die Konzerte kurz vor und nach dem Ende des Krieges sind mir bis heute unvergesslich. Ich möchte behaupten, dass noch nie mit einer solchen Hingabe musiziert wurde.
Während des Krieges konnte ich Konzerte nur im Radio oder vom Grammophon hören. So war das erste Konzert der Philharmoniker unter Joseph Krips nach dem Krieg im Wiener Musikverein ein unglaubliches, überwältigendes Erlebnis. Übrigens war in diesem prächtigen Saal damals ein großes Loch in der der Decke, das durch eine eingeschlagene aber zum Glück nicht explodierte Granate entstand. Hier also die VII. Bruckner zu hören, besiegelte wirklich den Aufbruch in ein neues Leben: der Krieg ist vorbei, das Leben und die ewigen Werte der Musik bleiben für uns.

 
Wie kam es dann zur Begegnung mit Edwin Fischer und schließlich den ersten erfolgreichen Schritten auf das internationale Parkett?

1947 gewann ich den Ersten Preis beim Österreichischen Musikwettbewerb und bekam ein Stipendium einen Meisterkurs bei Edwin Fischer zu besuchen. Das war für mich die große Inspiration und die große Begegnung. Wir blieben bis zu seinem Tod 1960 in engster Verbindung.

Zu dieser Zeit begann auch meine Konzertkarriere, wofür wohl verschiedene Ursachen sehr förderlich wirkten: Erstens konnte ich auf ein paar internationale Preise verweisen, man war in der ganzen Welt nach klassischer Musik ausgehungert und es gab einen Mangel an Talenten, denn in allen europäischen Nationen war eine ganze Generation durch den Krieg äußerst dezimiert worden. Dann herrschte ein großes Bedürfnis Musik live zu hören, so gingen die Menschen sehr gerne in Konzerte, um sich buchstäblich von der Musik in höhere Sphären versetzen zu lassen. Das zweite positive Ereignis war, dass ich schon sehr früh, nämlich kurz nach dem Musikwettbewerb, einen Manager gefunden hatte. Er vermittelt mir Konzerte im In- und Ausland. Wichtige große Dirigenten wurden auf mich aufmerksam gemacht, weil ich in den Wiener Zirkeln, in Hauskonzerten und so überall herumgereicht wurde, so wie mein lieber Freund Jörg Demus. Nur Friedrich Gulda war uns um drei Nasenlängen voraus, weil er schon mit 16 Jahren einen internationalen Preis gewonnen hatte und schon sehr früh mit Erfolg nach Brasilien und New York gereist war.
Übrigens, bei einem Hauskonzerte sagte Joseph Krips zu mir: "Also junger Mann, Sie sind ja der geborene Dirigent! Kommen Sie nächste Woche zu mir, ich mache Sie zu meinem Assistenten!" Das war ein einmaliges Angebot, meine Klavierlehrerin ist vor Entsetzen fast in Ohnmacht gefallen. Es gab lange Familienberatungen, ob der Junge Pianist oder doch Dirigent werden soll. Die Sache war schnell entschieden, denn meine Klavierlehrerin hat den Sieg davongetragen. Krips war mir nicht böse, sondern hat mich unter anderen zum London Symphonie Orchester, nach Buffalo, zum Orchestre de Paris, nach Amsterdam und natürlich in Wien zur Uraufführung von Frank Martins Klavierkonzert eingeladen.
Auch Furtwängler und Karajan wurden auf mich aufmerksam und haben mich als Solisten eingeladen.

Sehr fördernd für meine Karriere wirkte sich auch die Erfindung der Langspielplatte aus. Rasch wurde ich Hauspianist einer der wichtigsten Plattenfimen, nämlich Westminster. Eine meiner ersten Platten-Erfolge war eine Aufnahme des Forellenquintetts mit den Philharmonikern, dann folgte ein Klavierkonzert von Rimsky-Korsakow und von Skrjabin. Ein großer Erfolg war ein Mozart-Klavierkonzert, das in Amerika höchste Begeisterung hervorgerufen hat, so fragte dort die Presse: "Wer ist denn dieser unbekannte Badura, Badura-Skoda oder nur Skoda?"
Wie ich dann 1952, also vor genau 50 Jahren, meine erste Tournee in Amerika gemacht habe, waren dort alle Konzertsäle ausverkauft. In relativ wenigen Jahren habe ich ungefähr 200 Platten aufgenommen.

Sie sind für Ihr vielseitiges Repertoire bekannt. Welche Komponisten sind Ihnen besonders ans Herz gewachsen bzw. mit welchen haben Sie sich in all den Jahren ganz intensiv auseinandergesetzt?

Hier muss ich zuerst erwähnen, dass ich sehr früh Eva Badura geheiratet habe, die sich als Musikwissenschaftlerin sehr erfolgreich einen Namen gemacht hat. Sie konnte mir viele Fragen beantworten und ich mich dadurch selbst zu einem Amateurmusikwissenschaftler entwickeln. Mein Hauptinteresse galt stetes Mozart, ebenso Schubert und etwas später Bach. Mit 10 Jahren habe ich schon Mozart gespielt und keine Ahnung gehabt, dass das so etwas Besonderes ist. Arthur Schnabel hat gemeint: "Mozart, zu leicht für Kinder, zu schwer für Erwachsene". Wie ich mit 20 Jahren den erwähnten 1. Preis in Wien gewann, spielte ich mit Furore das I. Klavierkonzert von Liszt. Damals gab es die Kritik "Ja, das ist ja sehr schön, natürlich muss man diesem Virtuosen den 1. Preis geben, weil er Liszt so toll spielt, aber die wunderbare Mozart-Interpretation von Ingrid Hebler war eigentlich beeindruckender." Das hat mich fürchterlich geärgert und da habe ich aus Wut beschlossen, eine gewisse Zeit nicht Liszt zu spielen, sondern zu zeigen, dass ich auch Mozart spielen kann! Aus dieser Wut ist dann die Liebe zu Mozart geworden, die mich dann zu intensiven Forschungen geführt hat. Eigentlich verdanke ich das auch Edwin Fischer, er war der erste große Pianist, der Mozart wieder entdeckt hat, denn im ganzen 19. Jahrhundert galt Mozart als zu leicht und war höchstens pädagogisches Unterrichtsmaterial für 9-11 Jährige. Es heißt, dass Liszt in seinem ganzen Leben nie öffentlich ein Mozart-Konzert gespielt hat. Bekanntlich hat Mozart ja für den Hammer-Flügel geschrieben, das moderne Klavier unserer Tage hat er noch nicht gekannt. Das hat natürlich auch ganz anders geklungen. Aus meiner Neugierde diesen Klängen auf die Spur zu kommen entstand auch mein Hobby, das Spielen und Sammeln von Instrumenten aus der Zeit der großen Komponisten. Dabei blieb es nicht, bald interessierte mich die Forschung nach dem, was eigentlich ein Komponist will, wobei sich das dann aber auch auf zeitgenössische Komponisten bezog. Fischer sagte immer "die Komponisten sind Herrscher, wir sind die Diener!" Wir sind sozusagen "nur" dazu berufen, dem Werk und dem Komponisten treu, aber schöpferisch zu dienen, d. h. der Pianist muss zu einer gewissen Demut gegenüber dem Komponisten und seinem Werk bereit sein. Genau diese Haltung hat dann zu meiner Interpretation und zu meinem Stil geführt - bis zum heutigen Tag.

Mit welchen Komponisten haben Sie sich im Laufe Ihrer Karriere intensiver beschäftigt?

Unabhängig von Stilepochen war und ist die Auseinandersetzung mit den großen Komponisten stehts eine wichtige persönlichen Erfahrung, ob im Gespräch mit zeitgenössischen Komponisten oder im Studium der hinterlassenen Schriften.
Ich möchte nicht behaupten, dass die Musik mit dem Klavier beginnt, so habe ich mich natürlich auch für die frühen Wurzeln der Musik interessiert. Für mich wirklich interessant wird es ab dem frühen 18. Jahrhundert, der Entstehungszeit der ersten großen Tastenmusik, also mit Bach, Scarlatti und Händel, später folgen dann die Giganten Haydn, Mozart und Beethoven.
Angefangen habe ich mit der Romantik, mit 13 oder 14 Jahren galt meine Liebe Chopin, was mir bis heute geblieben ist. Den tiefsten Eindruck hat wohl Schubert hinterlassen, weiters habe ich natürlich auch Brahms und Liszt sehr verehrt.

Wertvoll waren die Begegnungen mit Hindemith, dem wunderbaren Bela Bartok, mit dessen Werken ich sehr früh vertraut wurde und die sich auf der ganzen Welt zu einer Zeit verbreitete, als er noch nicht anerkannt war, später mit dem Pianisten Anton Heiller, der als Komponist noch immer weit unterschätzt ist und dann schließlich die ganz große Begegnung mit Frank Martin, der noch in hohem Alter Werke von einer unglaublichen Vitalität schrieb, die Begegnung mit ihm gehört sicher zu den wichtigsten Begegnungen meines ganzen künstlerischen Lebens.

Prägend waren für mich Edwin Fischer, Alfred Cortot, der ganz große französische Pianist, dem ich wirklich Offenbarungen verdanke und eines der schönsten Konzerte meines Lebens (die Chopin-Préludes und Schumanns Kreisleriana 1947 in Wien) und schließlich vielleicht der größte Geiger des 20. Jahrhunderts, David Oistrach, eine ganz einmalige epochale Erscheinung, eben nicht nur ein wunderbarer Geiger, sondern auch Wissenschaftler, Humanist, Philosoph und meisterhafter Schachspieler - das ist ja auch meine ganz große Leidenschaft. Als wir uns das erste Mal trafen, hat er eine ganze Woche Probenarbeit verlangt. Ich war entsetzt, wie kann man eine ganze Woche nur für Mozart proben. So habe ich mich entsprechend vorbereitet, schließlich hatte ich schon Erfahrung mit Partnern, die nach jeder dritten Note unterbrachen und meinten: "Sie haben diese Note etwas lauter gespielt - in der linken Hand ist ja auch noch eine Note - dieses Rubato hat mir nicht gefallen - dort müssen Sie noch langsamer werden!" Ich hatte mit so einer Reaktion gerechnet, doch davon war keine Rede. Wir haben eine Sonate einmal durchgespielt, dann noch einmal wobei ich mich ihm noch nehr angepasst habe und nach dem dritten Mal gab es eigentlich nichts mehr zu proben.
Nach zwei Tagen war unser Programm fertig, so haben wir die restlichen fünf Tage nur noch Schach gespielt, uns über Gott und die Welt unterhalten und über das Leben in der Sowjetunion und in Österreich.

 
Welche Begegnungen mit Dirigenten waren wichtig?

Die drei großen habe ich ja schon genannt: Krips, Karajan und Furtwängler. Ganz besonders unter seine Fittiche genommen hat mich auch der unvergessliche Hans Knappertsbusch. Er war einer der allergrößten Dirigenten, die ich persönlich kennengelernt habe, eine ganz eigenwillige Persönlichkeit. Er war der einzige, der es fertiggebracht hat, während der ganzen Nazizeit sich in keinster Weise zu kompromittieren, weil er ein so absolut gerader Charakter war, dass man ihm nicht beikommen konnte. Ihm sollte zum Beispiel der Titel "preußischer Staatsrat" verliehen werden, an sich eine völlig harmlose Sache, aber trotzdem hat er den Titel nicht entgegengenommen. Als er davon hörte, war er einfach für zwei Wochen plötzlich aus seinem Haus verschwunden und völlig unauffindbar, daraufhin hat man darauf vergessen. Später wurde er durch anonyme Anzeigen und Denunziationen als verdächtiger Nazi eingereiht und durfte ein halbes Jahr nicht dirigieren, obwohl gegen ihn nicht das geringste vorlag. Knappertsbusch hat darauf hin so eine Wut gehabt, dass er dann, als er die Einladung die größten amerikanischen Orchester zu dirigieren bekam, nicht nach Amerika gehen wollte, weil sie ihn so beleidigt hatten. Eine andere vielleicht etwas zu deftige typische Knappertsbusch-Geschichte ist, dass er, wie einmal eine amerikanische Sängerin mit einem sehr starken amerikanischen Akzent an der Münchner Oper gesungen hat, er so leise vor sich hin sagte: "Da kann man nur dem Kolumbus aufs Grab scheissen!"
Aber wir haben traumhaft schöne Konzerte gemacht, Beethoven und Mozart mit dem Brüsseler Nationalorchester zum Beispiel. Vor unseren Konzerten mit den Wiener Philharmonikern ist er leider plötzlich gestorben, das war ein furchtbarer Verlust. Hier ist dann Georges Prètre für ihn eingesprungen.
Später habe ich mit fast allen großen Dirigenten gespielt, wie Mehta und Ozawa. Dabei war George Szell, der große amerikanische Mozart-Spezialist sehr wichtig für mich, mit dem ich sehr interessante musikwissenschaftliche Gespräche führen konnte.

Übrigens habe ich neben meiner Karriere als Pianist immer wieder auch selbst dirigiert, nicht nur Mozart Konzerte vom Flügel aus. Ich bin nämlich überzeugt, dass man eine gewisse Art des Musizierens, die wir eben durch diese große Tradition eingeatmet haben, am Leben erhalten muss, damit sie nicht verloren geht. Es wird heute sehr perfekt musiziert. Die Noten sind da, aber was die meisten Leute nicht wissen ist, was erstens zwischen den Noten steht und zweitens die Noten ausdrücken sollen und können. Denn die Noten sind so wie die Worte einer Sprache, wenn ich zwar eine Fremdsprache noch so korrekt aussprechen kann, aber nicht weiß, was der Sinn der Worte ist, werde ich ein Publikum nie wirklich mit einem Gedicht oder einem Drama ergreifen können.

Sie blicken auf 50 Jahre internationale Karriere zurück, eine großartige Leistung. Gibt es dafür ein Erfolgsrezept?

Tja, ich würde sagen es geht gar nicht immer um Erfolge, schließlich gibt es auch ganz große Tiefs. Es gibt Momente im Leben, wo man das Gefühl hat, es ist alles umsonst, wo man einfach nicht gut ist und einem sozusagen faßt der Faden abreißt, wo man nicht die lebendige Inspiration hat, die sich nämlich nicht auf Befehl abrufen läßt. Ich denke es gibt in jedem Künstlerleben eine gewisse Krisenzeit, die etwa mit Ende der 30 beginnt. Ein amerikanischer Manager hat das etwa so ausgedrückt: "Ja, wissen Sie, für einen jungen Pianisten den man entdeckt sind Sie jetzt schon viel zu alt und für einen großen alten Meister den man verehrt sind Sie noch viel zu jung!" Also es gab in meinem Leben schon auch ganz erhebliche Krisen und Momente, wo ich fast daran gedacht hätte alles an den Nagel zu hängen. Aber damit umgehen zu lernen, macht einen auch wieder sehr stark. So hatte ich zum Beispiel auf dem Schallplattensektor großes Pech. Nach dem Bankrott der Westminster war ich für alle Schallplattenfirmen ein heißes Eisen. Es herrschte die Meinung, von dem gibt es ja eh schon alles auf Platte und daher kann man mit dem kein Geschäft mehr machen.
Ein Erfolgsrezept ist vielleicht, dass man nicht mit dem selbstverständlichen Erfolg rechnen kann. Ich meine jedes Konzert ist eine Premiere, in jedem Konzert musst Du dein Äußerstes geben und alles tun, damit Du dem Komponisten in der Wahrheit des Werkes dienst. Eine höhere Aufgabe gibt es wohl nicht! Schließlich ist es auch völlig irrelevant, ob ich vor 20 Leuten spiele, was übrigens viel schwerer ist, oder vor 2000, denn die Aufgabe ist die gleiche.

Während Ihrer jahrzehntelangen Auseinandersetzung mit der Musik ist eine große Sammlung entstanden

Ich habe vor vielen Jahren angefangen, das was ich sozusagen zwischen den Noten lese, in die Notenausgaben hineinzuschreiben. Es sind Notizen über die Bedeutung des Stückes, ein paar Stichworte oder ein selbsterfundenes Gedicht, das sich mühelos dem Rhythmus eines Themas anpasst. Zum Beispiel: "Komm, oh Tod, der Seele Freund, wann werd' ich mit Dir vereint?" - das lässt sich Note für Note zum zweiten Satz der tragischen Sonate in f-moll, der "Appassionata" von Beethoven rezitieren.

Es hat sich ein Archiv angesammelt, immer fußend auf den Originalmanuskripten der Meister, das hoffentlich später auch anderen strebenden und forschenden Musikern zugute kommen wird. Darüber hinaus habe ich ein interessantes Tonarchiv. Mich hat nämlich auch immer interessiert, wie es meine Kollegen machen. Wenn es gut, richtig oder genial war habe ich versucht hinter deren
Geheimnis zu kommen. Wenn sie es aber schlecht gemacht haben, war es mir wichtig zu wissen warum.

Neben diesem Archiv gibt es aber auch eine Sammlung von Instrumenten, die teilweise ja sogar schon der Öffentlich zugänglich gemacht wurden.

Um den authentische Klang von Mozart, Beethoven, Schubert, Chopin, Brahms, Debussy oder Ravel zu studieren habe ich Klaviere aus deren Zeit gesammelt. Zeit so um 1900 herum sind zwar äußerlich mit den modernen Klavieren identisch , aber es gab doch in der Konstruktion kleine Unterschiede - vor allem war das Klangideal viel runder, viel weicher als heute, wo ein percussiver Ton fast gewünscht ist, das hängt mit der Allgemeinentwicklung zur Lautstärke zusammen, die Klaviere haben sich also der Forderung, "es muß lauter werden", natürlich auch mit anpassen müssen, nicht immer zum Gewinn der Schönheit!

Seit kurzem befindet sich ein Großteil meiner Sammlung an historischen Klavieren im Musikinstrumentenmuseum im Schloß Kremsegg in Kremsmünster (Oberösterreich). Dort ist sie nun der Öffentlichkeit zugänglich, wird in einem bevorzugten Raum aufbewahrt und gepflegt, wobei auch geachtet wird, dass sie spielbar sind.

Sie haben sich auch Komponist betätigt?

Ja, das stimmt, aber ich habe nicht viel komponiert, denn dazu fehlte mir meist die Zeit. Immerhin habe ich schon mit 22 Jahren eine Messe für Chor und Orgel geschrieben, von der ich durch Zufall kürzlich den Originalmitschnitt wiedergefunden habe. Das Stück lässt sich gut singen, ist aber nie über die Uraufführung 1950 hinausgekommen und natürlich unveröffentlicht.
Bekannter sind meine Klavier- und Klangmusikkompositionen, vor allem aber meine Kadenzen zu Mozarts, Haydns und zum Teil auch zu Beethovens Klavierkonzerten, die von vielen anderen Pianisten übernommen werden.

Man spricht oft vom baldigen Ende der klassischen Musik. Wie sehen Sie die Zukunft der klassischen Musik?

Ich sehe mich nicht als Prophet, so kann ich was die Zukunft anbelangt schwer eine keine Antwort geben, ich kann mich nur auf die Gegenwart und die Vergangenheit beziehen. Wir müssen immer ein Werk ajour bringen, es braucht immer ein Aggiornamento, ein auf den heutigen Tag bringen. Ich nehme zur Kenntnis, dass sich für die sogenannte klassische Musik immer nur ein gewisser Teil der Menschen interessiert hat, doch dafür das Wort "Elite" zu verwenden, lehne ich ab.
Die Welt braucht die Musik, denn sonst geht die Menschheit zugrunde. Für mich ist die Musik eine Schönheit, etwas Transzendentes oder sogar Transzendentales.
Meine ehemalige Klavierlehrerin sagte mir wenige Wochen vor ihrem Tod: "Paul, ich bin nicht gläubig, aber wenn ich einen Schubert mit all seiner Inspiration höre, da muss ich glauben, dass es doch etwas Höheres gibt, dass sich nicht nur durch Kausalität, durch Ursache und Wirkung oder durch Evolution erklären lässt. Deshalb bin ich glücklich Schubert zu hören."

Haben Sie für junge Musiker, die von einer großen Karriere träumen ein Rezept?

Der heutige Weg eines jungen Pianisten geht über Musikwettbewerbe. Mit der Karriere ist es vielleicht so ähnlich wie mit dem Glück. Viktor Frankl hat es wunderbar ausgedrückt: "Das Glück ist immer eine Nebenerscheinung und es wird einem nicht zuteil, wenn man es selbst sucht." Ich denke man muss nach der Wahrheit streben.
Mein eigentliches Rezept ist sehr einfach: üben, üben, üben! Der Tag hat 24 Stunden und wenn nötig kann man auch die Nacht dazunehmen.

Was wünschen Sie sich selbst zum 75. Geburtstag am 6. Oktober 2002?

Darüber hab ich noch nicht nachgedacht. Ich hoffe, dass ich noch weiterlebe.

Quelle: http://www.BaronArtists.com