Feierstunde zum 100. Geburtstag von Leopold Figl im Parlament
Reden von Fasslabend, Fischer, Maurer und Schüssel
Wien (pk) - Am 2. Oktober jährt sich zum 100. Mal der Geburtstag Leopold Figls, eines der Mitbegründer
der Zweiten Republik, der als Bundeskanzler vom Dezember 1945 bis April 1953 und als Außenminister in den
fünfziger Jahren sowie als Präsident des Nationalrates und Landeshauptmann von Niederösterreich
eine der zentralen Persönlichkeiten der jüngeren österreichischen Geschichte darstellt.
Zur historischen Legende wurde Leopold Figl mit seiner Weihnachtsansprache 1945, in der er seine Landsleute bat:
"Glaubt an dieses Österreich", und mit seinem Satz "Österreich ist frei" im Marmorsaal
des Schlosses Belvedere nach der Unterzeichnung des Staatsvertrages von Wien am 15. Mai 1955, an dessen Zustandekommen
Leopold Figl maßgeblich mitgewirkt hatte.
Im Gedanken an den großen Österreicher fand auf Einladung des Parlamentsklubs der Österreichischen
Volkspartei, zu deren Mitbegründern Leopold Figl im Jahr 1945 zählte, eine Feierstunde im Parlament statt,
in der der Dritte Nationalratspräsident Werner Fasslabend Nationalratspräsident Heinz Fischer als Laudator,
Bundeskanzler Wolfgang Schüssel als Festredner und den ehemaligen niederösterreichischen Landeshauptmann
Andreas Maurer als Zeitzeugen begrüßte. Unter den vielen prominenten Gästen hieß Präsident
Fasslabend namentlich Altbundespräsident Kurt Waldheim, die ehemaligen Präsidenten des Nationalrates
und des Bundesrates, Leopold Gratz und Herbert Schambeck, Bundesratspräsident Ludwig Bieringer, Landeshauptmann
Erwin Pröll, Mitglieder und ehemalige Mitglieder der Bundesregierung, Vertreter von Höchstgerichten,
der Religionsgemeinschaften, des diplomatischen Korps und nicht zuletzt Mitglieder der Familie Figl herzlich willkommen.
Fasslabend: Figl gab den Österreichern ein neues Ziel
In sehr persönlichen Worten erinnerte Präsident Fasslabend an Leopold Figl, dem er selbst als
fünfzehnjähriger Gymnasiast im Rahmen eines Parlamentsbesuches begegnet war und stellte die Frage, was
diesen großen Österreicher ausgemacht habe. Fasslabends Antwort lautete, Figl habe den Österreichern
im Jahr 1945 ein neues Ziel und zugleich den Mut, die Kraft, die Hoffnung und das Selbstbewusstsein gegeben, die
großen Schwierigkeiten des Wiederaufbaus zu überwinden. Und mit seinem Österreich ist frei"
habe Leopold Figl im Jahr 1955 viel mehr verkündet als bloß frei zu sein von Besatzungsmächten.
Figl hat den Österreichern viel mehr gesagt: Ihr seid frei für neue Aufgaben, frei für ein neues
Österreich.
Fischer: Ein großer Politiker, ein großer Mensch
Nationalratspräsident Heinz Fischer hielt in seiner Laudatio fest, dass Leopold Figl "in der
Geschichte unseres Landes einen ganz fixen Platz" besitze: "als Mitbaumeister unserer Republik, als jemand,
der beim Staatsvertrag eine zentrale Rolle spielte, als jemand, der Brücken in der Politik gebaut hat".
Fischer kam auf seine erste Begegnung mit Figl zu sprechen, als er 1948 bei seinem Onkel, dem damaligen Bundesminister
Otto Sagmeister, zu Besuch war, und Figl mit Sagmeister gemeinsam auf die Jagd ging. Der Präsident skizzierte
den Lebensweg Figls von dessen erster politischer Funktion als Direktor des Bauernbundes 1933 bis zum krönenden
Abschluss als Landeshauptmann von Niederösterreich, in welchem Amte Figl verstarb. Figl sei ein entschlossener
Kämpfer gegen den Nationalsozialismus gewesen, weshalb er 1938 bereits mit dem ersten Prominententransport
ins KZ Dachau verschleppt wurde. Dort habe Figl unter besonders schweren Haftbedingungen zu leiden gehabt, doch
er sei dadurch nicht gebrochen worden, sondern gab im Gegenteil seinen Mithäftlingen stetig neuen Mut.
Nach einer kurzen Periode der Freiheit, in der Figl sofort wieder politische Kontakte knüpfte, wurde Figl
1944 abermals verhaftet und entging nur haarscharf dem Tod, trug sein Akt doch das Kürzel "VG",
was eine Anklage wegen Hochverrats vor dem Volksgerichtshof bedeutet hätte. Allein das Kriegsende und die
Befreiung durch die Alliierten rettete ihn.
Unentwegt stellte sich Figl sofort wieder der Politik zur Verfügung. Am 17. April 1945 zählte er zu den
Mitbegründern der ÖVP, zehn Tage später wurde er Stellvertreter Renners in der provisorischen Regierung.
Von da an leistete er unermüdliche Arbeit für den Wiederaufbau Österreichs, betonte Fischer, der
auch auf Figls Regierungserklärung vom 21. Dezember 1945 im Gefolge seiner Wahl zum ersten Bundeskanzler der
Zweiten Republik verwies. Zum 1. Jahrestag der Niederlage Nazi-Deutschlands habe Figl, so Fischer, vor einer gemeinsamen
Sitzung von National- und Bundesrat eine "eindrucksvolle, berührende und lesenswerte Rede" gehalten.
Die Persönlichkeit Figls, seine Fähigkeit, auf jeden zuzugehen, und seine Offenheit trugen zu dem bei,
was Fischer als das "Wunder von 45" bezeichnete. Seine Freundschaft mit Raab, Schärf und Renner
habe die Grundsteinlegung für die Zweite Republik bedeutet.
Mit dem Abschluss des Staatsvertrages sei für Figl ein Lebenstraum in Erfüllung gegangen, während
seine Kür zum Landeshauptmann von Niederösterreich die Realisierung eines Kindheitstraumes gewesen sei,
so der Präsident weiter. Dazwischen aber amtierte Figl drei Jahre lang als Präsident des Nationalrates,
und unter seiner Ägide wurde 1961 die erste Geschäftsordnungsreform der Zweiten Republik, u.a. mit Einführung
der Fragestunde, beschlossen.
Mit dem Begräbnis Figls am 14. Mai 1965 ging "eine ganze Ära zu Ende", sagte Fischer, der auf
den Paradigmenwechsel hinwies, der in der Folge innenpolitisch vonstatten ging. Mit der Wahl von Josef Klaus in
der ÖVP und Bruno Kreisky in der SPÖ begann ein neues Kapitel in der österreichischen Geschichte.
Doch Figls Lebenswerk überdauere, "weil Figl ein ganz überzeugter Brückenbauer war, ein großer
Bundeskanzler, großer Politiker und großer Mensch", sodass es allen Lagern leicht falle, "ein
Wort des Dankes und der Zuneigung an die Adresse Figls zu richten".
Altlandeshauptmann Andreas Maurer: stets die Hand zum Miteinander
Hernach sprach Altlandeshauptmann Andreas Maurer und gab als "Zeitzeuge" einen kurzen Rückblick
auf seine Begegnungen mit Figl. Erstmals sei er ihm im Oktober 1945 anlässlich einer Wahlkundgebung der ÖVP
in Graz begegnet, bei der Figl, von der Haft noch gezeichnet, dennoch voller Leidenschaft als Spitzenkandidat der
ÖVP sprach und die Lage des Landes objektiv einschätzte. Er sprach den Anwesenden, auch Maurer, Mut zu,
und "alle fühlten, der meint es ehrlich". Schon damals habe sich Figl durch seinen nachgerade "fanatischen
Optimismus" ausgezeichnet, schon damals habe er den Menschen zugerufen: "Glaubt an dieses Österreich".
Maurer erinnerte an Figls Weihnachtsrede 1945 und meinte, Figl habe den Österreichern damals Kraft gegeben,
"und das war entscheidend". Maurer charakterisierte es als Hauptstärke Figls, dass die Menschen
ihn verstanden hätten: "Er traf den richtigen Ton", auch bei den Besatzungsmächten, und so
sei Figl als Außenminister "ein Glücksgriff" des neuen Kanzlers gewesen. Figls Beziehungen
zu den Sowjets hätten sich entscheidend für den Abschluss des Staatsvertrages ausgewirkt, so Maurer. |
Am Ende kehrte Figl dorthin zurück, wo seine politische Wiege gestanden war, nach Niederösterreich. Maurer
berichtete davon, dass er damals als Agrar-Landesrat unter Landeshauptmann Figl viel von diesem gelernt habe und
von diesen Erfahrungen tief geprägt worden sei: "Figl war und blieb mein Vorbild."
Man habe gespürt, dass bei Figl alles aus dem Herzen kam, betonte Maurer: "Er hat stets die Hand zum
Miteinander ausgestreckt - und man hat sie ihm nicht ausgeschlagen." Anfang Mai 1965 habe Figl anlässlich
einer Feier zum zehnjährigen Jubiläum des Staatsvertrages in Niederösterreich seine letzte öffentliche
Rede gehalten, und dies "war eine der beeindruckendsten Stunden, die ich erleben durfte". Figl sei trotz
seiner Krankheit nochmals über sich hinausgewachsen, und die Menschen wurden so Zeugen seines Vermächtnisses.
Maurer würdigte Figl als eine der großen historischen Persönlichkeiten dieses Landes, deren Andenken
bewahrt werden möge.
Schüssel: Figl lebt im Bewußtsein der Menschen fort
Bundeskanzler Wolfgang Schüssel würdigte Leopold Figl als Identifikationsfigur für die ÖsterreicherInnen,
als einen der beliebtesten und angesehensten Politiker, der im Bewusstsein der Menschen fortlebe. Er sei zum Symbol
für den Lebenswillen und die Lebensfähigkeit Österreichs geworden wie kaum eine andere Persönlichkeit
der Zweiten Republik.
Über Figl gebe es viele wahre und erfundene Geschichten, aber seinen legendären Ruf habe er sich deshalb
erworben, weil er für die Eigenstaatlichkeit Österreichs, für die Überwindung von Nationalsozialismus
und Diktatur gestanden und Symbolfigur für das Ringen um die Souveränität und den staatlichen Wiederaufbau
Österreichs geworden sei, betonte der Bundeskanzler. Seine politische Überzeugung sei geprägt gewesen
durch die klare Absage an Totalitarismus und Diktatur, durch den Glauben an das europäische Wertesystem und
seinen Glauben an eine europäische Zukunft Österreichs. Dies sollte gerade jetzt, da die Erweiterung
der Europäischen Union vor der Tür steht, nicht vergessen werden, so Schüssel. Figl habe Österreich
1956 in die UNO und in den Europarat geführt und sei immer für eine eigenständige Interpretation
der österreichischen Neutralität, nämlich der militärischen, eingetreten. |
Im Jahr 1956 habe Österreich nach dem Staatsvertrag auch seine erste Bewährungsprobe während der
Ungarnkrise zu bestehen gehabt, erinnerte Schüssel. Elf Jahre zuvor sei jedoch das Schicksal der Republik
mehr als ungewiss gewesen. Bundeskanzler Figl sei damals unbekannt gewesen, aber es habe ihm nicht an Lebenserfahrung
gefehlt. Seine dezidierte Haltung gegen den Nationalsozialismus und sein Eintreten für die Eigenständigkeit
Österreichs hätte er beinahe mit dem Leben bezahlt. Schüssel schilderte die qualvolle Zeit Figls
in den Konzentrationslagern Dachau (1938 - 1943) und Mauthausen (1944 - 1945), die einen enormen physischen und
psychischen Tribut gefordert habe, und zitierte aus einem kürzlich aufgetauchten berührenden Brief Figls
an seine Familie aus dem Jahr 1941. Darin wird dokumentiert, wie sehr Figls Gedanken damals auch um den Wiederaufbau
Österreichs kreisten.
1945 bereits in der Todeszelle, habe ihn das rasche Heranrücken der Roten Armee vor dem Tod bewahrt. Die schrecklichen
Erlebnisse hätten ihn aber nicht gebrochen, vielmehr habe sich Figl sofort in das politische Leben gestürzt,
die ÖVP mitgegründet und die Versorgung Wiens organisiert. Figl sei nicht nur ein Mann der ersten Stunde
gewesen, sondern der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort, sagte Schüssel. Durch seine täglichen
Kontakte mit der russischen Besatzungsmacht, habe Figl die Mentalität der Russen gekannt und habe sie auch
immer direkt angesprochen. Dies sei auch ein wesentlicher Aspekt für das Zustandekommen des Staatsvertrags
gewesen, wobei Figl es geschafft habe, den Passus über die Mitschuld Österreichs aus dem Vertrag zu streichen.
Unter Hinweis auf die Tatsache, dass im ersten Kabinett Figls zwölf bis vierzehn Politiker vertreten waren,
die in der Nazizeit unter Verfolgung gelitten hatten, meinte Schüssel, dass Österreich entgegen vieler
anderslautender Meinungen, sehr früh begonnen habe, sich mit der jüngsten Vergangenheit auseinander zu
setzen.
Abschließend hob der Bundeskanzler die Volksverbundenheit Leopold Figls hervor, hinter der sich präsente
Zielstrebigkeit verborgen habe. Er rief aber auch dessen Bemühungen um Konsens, dessen Prinzipien und Wertvorstellungen
in Erinnerung und unterstrich, welch einfacher und bescheidener Mensch Figl Zeit seines Lebens geblieben ist.
Für den musikalischen Rahmen der Feierstunde sorgte das Haller- Quartett mit beifällig aufgenommenen
Darbietungen des Divertimento in A-Dur sowie zweier Streichquartette in G-Dur von Joseph Haydn. Den Ausklang der
Veranstaltung bildete die gemeinsam gesungene Bundeshymne.
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