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Bundeskanzler Schüssel im "Morgenjournal"
Wien (bpd/orf) - Für das Morgenjournal im Radioprogramm Ö1 hat der ORF Bundeskanzler Wolfgang Schüssel um eine erste Stellungnahme zur EU-Erweiterung gebeten. Mit ihm hat Gabi Waldner mit gesprochen (Transkript)

ORF: Herr Bundeskanzler! Die EU-Kommission hat empfohlen, zehn weitere Länder in die EU aufzunehmen. Ist das aus Ihrer Sicht eine gute Empfehlung?

HBK: Ja, denn damit wird auch unsere Hoffnung und Erwartung als unter österreichischem Vorsitz im Herbst vor vier Jahren mit den Verhandlungen begonnen wurde Rechnung getragen. Aber es ist noch sehr viel konkrete Arbeit zu leisten. Die Empfehlung ist richtig, aber man darf auch nicht die noch offenen Probleme unterschätzen.

ORF: Einen großen Strich durch die Rechnung machen könnten noch die Iren, wenn die in Kürze zum zweiten Male die Ratifizierung des Vertrags von Nizza ablehnen- also im Grunde genommen die Voraussetzung für die Erweiterung.

HBK: Ich bin da sehr optimistisch. Mir hat der irische Regierungschef Berti Ahern gesagt, dass sie dieses mal wirklich eine positive Überzeugungswerbung für dieses Ja zum Vertrag machen werden und die jetzt vorliegenden Umfragen sind auch tatsächlich positiv.

ORF: Der EU-Erweiterungskommissar Günther Verheugen hat mehr Skepsis als Sie. Er hat schon gesagt, er wisse nicht, ob da nicht das ganze Projekt gefährdet ist, wenn die Iren nicht zustimmen.

HBK: Natürlich weiß niemand, wie es ausgehen wird. Man kann ja nur Erwartungen äußern. Aber in Brüssel fürchten sich gar manche gar gerne.

ORF: Was sehen Sie denn aus Sicht der Österreichs noch Dringendes zu tun in Sachen Erweiterung?

HBK: Vor allem müssen wir und sollten wir Überzeugungsarbeit für die historische Dimension dieses Projektes leisten. Denn zuallererst ist es ja das größte Friedensprojekt, das es in unserer Region je gegeben hat. Zweitens ist es ein enormer wirtschaftlicher Motor. Gerade in einer Konjunkturflaute wie jetzt, brauchen wir jeden Impuls. Und vergessen Sie nicht, wir haben in Österreich heuer ein Wachstum von unter einem Prozent. Alle unsere Nachbarländer haben Wachstumsraten von über 3% und wenn diese Erweiterung kommt, dann bringt sie auch enorm positive wirtschaftliche Impulse. Wir reden richtiger Weise auch oft von den Problemen, die wir haben, vom Verkehr, in der nuklearen Sicherheit, in der Landwirtschaft. Wir müssen auch das ganze Bild darstellen und das scheint mir für die nächsten Wochen ganz bedeutsam zu ein.

 
ORF: Unter den zehn Beitrittskandidaten ist auch Tschechien. Das Land mit dem Österreich sozusagen die meisten Probleme hat, wo auch die Volkspartei Vorbehalte hatte in Sachen Benesch Dekrete. Wie sehen Sie denn das jetzt, dass die Tschechen auch als beitrittsreif erklärt wurden?

HBK: Ich sage Ihnen sehr offen. Ich freue mich auf den Beitritt Tschechiens, weil es in unserem Interesse ist, dass Nachbarn Prag und Wien, Tschechien und Österreich zusammenwachsen. Wir dürfen aber nie vergessen, dass es auch einige wesentliche Probleme gibt, die wir gemeinsam lösen müssen. Die Umsetzung de Sicherheitsvereinbarungen um Temelin ist für uns ein absolutes Muss- es wird in den nächsten Tagen auch Gespräche zwischen unseren Umweltminister Willi Molterer und den tschechischen Vertretern geben. Es ist klar für uns, dass in der Frage der Vergangenheitsbewältigung auch ein offenes Wort gesprochen werden muss. Ich glaube schon, dass Prag in dieser Richtung etwas tun muss. Es würde niemand verstehen, wenn man hier auf hart spielt und sagt, das interessiert uns nicht.

ORF: Aber was, wenn diese Geste des Bedauerns in welche Form auch immer nicht kommt? Ihr Nochkoalitionspartner droht ja für diesen Fall unter anderem mit einem Veto.

HBK: Ich glaube, dass auf tschechische Seite immer mehr Signale kommen, die durchaus eine gewisse Bereitschaft zeigen, erstmals über dieses Thema zu reden. Man solle aber auch sich Zeit nehmen dafür. Da kommt es nicht auf ein paar Wochen an, sondern es kommt auf die Substanz und die Geste an wie man diese Worte ausspricht und formuliert.

ORF: Also durchaus auch eine längerfristige Angelegenheit?

HBK: Wir sollten uns bis zur Beschlussfassung im Nationalrat die Zeit nehmen. Aber ich gehe davon aus, dass man hier wirklich zu einer gemeinsamen Linie findet.