Wien (scinews) - Am 7. November beginnt im Wiener Austria Center die internationale Konferenz „Das Verbindende
der Kulturen“. Die Tagung wird von der UNESCO unterstützt und vom Europarat empfohlen. Sie steht unter dem
Ehrenschutz von Bundespräsident Dr. Thomas Klestil. Zum Auftakt der Veranstaltung gibt es virtuelle Gastbeiträge
von Noam Chomsky und Umberto Eco. ReferentInnen sind eine ganze Reihe international bekannter KulturpolitikerInnen,
KulturforscherInnen, WissenschaftlerInnen und KünstlerInnen.
Kulturelle Prozesse sind immer grenzüberschreitend.(1) Ihre Grenzen erhalten sie durch Konstrukte, die unterschiedlichen
Zielen im Individuellen, Gesellschaftlichen und Staatlichen dienen und dienten.(2) Im 19. und 20. Jahrhundert waren
es vor allem die Nationalstaaten, die Kulturen für sich zu instrumentalisieren versuchten.(3) Aber auch staatsgrenzenüberschreitende
Ideen können durchaus mit kulturellen Ausgrenzungen und Gewaltstrategien verbunden sein.(4)
Im 20. Jahrhundert begannen aber in vielen Bereichen Umorientierungen, die nicht nur auf Randbereiche gesellschaftlicher
Prozesse beschränkt waren.(5) Ausgeprägt haben sich diese Prozesse vor allem in Formen der Transkontinentalisierungen(6)
und Globalisierungen.(7) Diese Prozesse werden also nicht nur durch Medien, Internet, Börsen und Finanzströme,
Künste, Wissenschaften und Forschungen, Religionen, Tourismus und Handel, Technologien und Textstrukturen
geprägt, sondern auch durch Getränke, Speisen, Kleidungen, Wohnungen sowie Formen interstaatlicher Kooperationen
bzw. transnationale Verfassungsentwürfe.
In diesen Zeiten der Transformationen begannen die Kulturen im negativen und im positiven Sinne eine immer bedeutendere
Rolle zu spielen.(8) Negativ, indem sie dazu verwendet wurden, Menschen zu manipulieren und auszunutzen(9), Feindbilder
aufzubauen(10) und Kriege vorzubereiten und zu führen(11). Positiv, indem sie die Grundlage für weltweite
Kooperationen wurden.(12) Und in jedem Fall waren sie in sich gespalten, widersprüchlich und vielfältig.(13)
In diesen heutigen Prozessen verbinden sich Kulturvorstellungen in neuer Weise mit weltweiten Prozessen. In der
sich entwickelnden Programmatik der UNESCO spielt zum Beispiel die Verbindung mit den Menschenrechten eine zentrale
Rolle.(14) Dies hat eine grundlegende Bedeutung, weil seit dem KSZE-Prozeß gerade die Menschenrechte zu einer
gemeinsam, weltweit anerkannten Basis wurden, die sich auch in vielen anderen Bereichen als tragfähig erwies,
wenn es um den Ausbau von Zivilgesellschaften ging. Kultur wird damit von der UNESCO als zentraler Faktor in Demokratisierungsprozessen
angesehen, aber zugleich auch als Faktor der gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklung. Menschenrechte,
Kreativität, Solidarität, Entwicklung sind in diesem Zusammenhang Schlüsselwörter. Und für
die UNESCO ist Kultur auch das Schlüsselelement für Frieden:
"[...] the connection between culture and knowledge made UNESCO central in the quest of achieving peace; the
connection between culture and politics made cultural identity crucial to the quest for political independence;
the connection between culture and development allowed new countries to build economic power and to assert themselves
on the world stage; and the connection between culture and democracy focused attention on intra-state as well as
inter-state cultural relations. Now, approaching the twenty-first century, the implicit connection between culture
and security may also serve to reinforce the importance of positive intercultural relations as a cornerstone of
international peace, with all of the financial and administrative support this priority requires."(15)
In diesen Prozessen könnte das INST-Projekt "Das Verbindende der Kulturen" eine ergänzende
Rolle spielen, indem es eine weltweite Plattform zur Verfügung stellt, um Sprachen und Künste in Wechselwirkung
mit und als Teil von Geschichte, Gesellschaft, Ökonomie, Politik und anderen Bereichen als verbindende Elemente
in diesen komplexen Prozessen zur Geltung zu bringen. Gerade seine offene Struktur als Assoziation, die Erkenntnisprozesse
nicht mit (ökonomischen) Abhängigkeitsstrukturen verbindet, sondern nur durch die Ermöglichung des
Wissensaustausches zur Geltung kommt, bietet große Chancen.
Auf diese Ermöglichung des offenen Wissensaustausches zielen die Online-Projekte "Enzyklopädie vielsprachiger
Kulturwissenschaften", die Online Research Cooperation (ORC) "Internationale Kulturwissenschaften",
aber auch ein Projekt wie "Die Namen der Berge", das sowohl virtuell als auch real existiert.
Zentrales Element bleibt aber das Verständnis, daß nur durch persönliche Begegnungen neue Formen
des Verständnisses für Kooperationen entstehen können. Und in diesem Sinne sind die INST-Konferenzen
2002 und 2003 auch die zentralen Elemente des Projektes "Das Verbindende der Kulturen" - als transnationale
und transdisziplinäre Begegnungen.
(1) Vgl. z.B.das UNESCO-Dokument: Our Creativ Diversity. Report of the World Commission
on Culture and Development, 1995. Hier wurden zehn gemeinsame Hauptthemen herausgearbeitet.
(2) Vgl. z.B.: Eric Hobsbawm/Terence Ranger (Hrsg.): The invention of tradition. Cambridge 1983. Und: Eric Hobsbawm:
Nations and Nationalism since 1780. Programme, Myth, Reality. Cambridge 1990. Oder: Martin Bernal: Black Athena.
The Afroasiatic Roots of Classical Civilization. London 1991.
(3) Im Zusammenhang mit zwischenstaatlichen (kulturellen) Beziehungen vgl. z.B.: Edward W. Said: Orientalism. Western
conceptions of the Orient. London 1991.
(4) So ist im Roman "Der Herbst des Patriarchen" von Gabriel García Márquez (Köln
1978) die fünf Generationen währende Schreckensherrschaft des großen Diktators nicht auf einen
Staat beschränkt. Aber auch die Verfolgung von Salman Rushdie und seinem künstlerischen Werk beschränkte
sich nicht auf ein Land.
(5) Ein Beispiel dazu ist die "Charta der Grundrechte der Europäischen Union" (Luxemburg: Amt für
amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften 2001).
(6) Diese Form der Erweiterungen spielten zunächst in den Strategien der Gorbatschowschen bi- und multilateralen
Verhandlungen eine tragende Rolle, als es um grenzüberschreitende Strukturen von Problemlösungen ging:
Michail Gorbatschow: Perestroika. Die zweite russische Revolution. Eine neue Politik für Europa und die Welt.
München 1987. Bei Huntington (Kampf der Kulturen, München, Wien 1997) taucht diese Strukturvorstellung
dann in negativer Form wieder auf - als Begrenzung von (unvermeidbaren) Konfliktfeldern. Dennoch scheint - jenseits
der Schlagzeilen - in der Ökonomie, aber auch bei Ansätzen von Konfliktlösungsmodellen die Kontinentalisierung
als konfliktvermeidender Integrationsprozeß in letzter Zeit zunehmend eine Rolle zu spielen.
(7) Eine komplexe Analyse findet sich in: "Globale Trends 2002. Fakten, Analysen und Prognosen", Hrsg.
Von Ingomar Hauchler, Dirk Messner und Franz Nuscheler, Frankfurt am Main 2001. Hier finden sich vor allem auch
eine Vielzahl von Materialien, Statistiken sowie Überlegungen zu "Global Governance".
(8) Vgl.: Edward W. Said: Culture and Imperialism. London 1994. Vor allem scheint für das Buch charakteristisch
zu sein, daß auch negative (destruktive) Formen der Opposition und des Widerstandes analysiert werden. Gerade
dadurch werden die Darstellungen den widersprüchlichen Verhältnissen gerecht.
(9) Zu unserer heutigen Zeit: Frederic Jameson: Postmodernism, or, The cultural logic of Late Capitalism. London
1991.
(10) Ein ausgezeichneten Beispiel dazu ist das Monumentaldrama von Karl Kraus: Die letzten Tage der Menschheit.
(11) Vgl. dazu: Bertolt Brecht: Kriegsfibel. Berlin 1977.
(12) Kulturelle Elemente wie Schrift und Bilder sind die Basis für den Wissensaustausch, der zur Bereicherung
des menschlichen Lebens führt. Und nicht zufällig hat die UNESCO den Begriff "Culture of Peace"
propagiert und geprägt - ein Begriff, der auf eben die potentiell produktive Rolle der Kultur verweist.
(13) So kann das Verständnis anderer Kulturen (gewonnen zum Beispiel durch Übersetzungen) nicht nur der
Friedenserhaltung dienen, sondern auch der Herrschaftsausübung. Vgl. dazu Anil Bhatti: Zum Verhältnis
von Sprache, Übersetzung und Kolonialismus am Beispiel Indiens. In: Horst Turk/Anil Bhatti (Hrsg.): Kulturelle
Identität. Deutsch-indische Kulturkontakte in Literatur, Religion und Politik. Berlin 1997, S.3ff. Aber auch:
Frantz Fanon: Black Skin, White Masks. New York 1967.
(14) Universal Declaration on Cultural Diversity. Adopted by the 31st Session of UNESCO's General Conference on
2 November 2001.
(15) Katérina Stenou: UNESCO and the Issue of Cultural Diversity. Review and strategy, 1946-2000. Paris
2000. |