Neue Industrien und höhere Erwerbsbeteiligung sollen Wachstum sichern.
Wien (oenb) - Nur durch engagierte Strukturreformen auf Ebene der einzelnen EU-Länder könne
das Potenzial von Binnenmarkt, Währungsunion und Erweiterung der Europäischen Union ausgeschöpft
werden, argumentierte Dr. Klaus Liebscher, Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank und EZB-Ratsmitglied,
anlässlich des Wirtschaftsdialogs 2003 des Österreichischen Wirtschaftsbundes am Freitag (24. 10.) in
Graz. Die Wirtschaftspolitik müsse die Steigerung von Produktivität und eine Erhöhung der Erwerbsquote
zur höchsten Priorität erklären, um das Wachstum nachhaltig zu fördern und den Folgen der Bevölkerungsalterung
entgegenzuwirken.
In seiner Rede vor zahlreichen führenden Vertretern aus Wirtschaft und Politik zog Notenbankgouverneur Klaus
Liebscher eine sehr positive Bilanz über fünf Jahre Währungsunion und einen stabilen Euro und zeigte
sich zur aktuellen internationalen Konjunkturentwicklung zuversichtlich. Trotz der seit den 90-erJahren erreichten
Vertiefung der europäischen Integration sei die europäische Wachstumsperformance im Vergleich zu den
USA und Asien aber unbefriedigend.
Die Euroländer müssten über eine engagierte Fortsetzung ihrer Strukturreformen und eine zügige
Umsetzung der "Lissabon-Ziele" versuchen, das höhere Potenzial der neuen europäischen Wirtschaftsarchitektur
zu realisieren. Ansatzpunkte böten sich durch eine verstärkte Ausrichtung der öffentlichen Haushalte
auf Bildung, Forschung und Innovation, natürlich unter entsprechender Beachtung des Stabilitäts- und
Wachstumspakts. Konkret könnte sich Gouverneur Liebscher auch die teilweise Umschichtung der EU-Ausgaben für
Landwirtschaft in eine europäische Forschungsstiftung vorstellen. Um Arbeitsangebot und -nachfrage zu steigern,
müsse das Steuersystem angepasst werden, die Senkung der Grenzsteuersätze in einigen Ländern habe
bereits positive Auswirkungen gezeigt.
Österreich sei in der jüngsten Vergangenheit trotz der internationalen Wachstumsabschwächung über
dem EU-Durchschnitt gewachsen und habe dabei, so lobte Gouverneur Liebscher, das Budget weitgehend ausgeglichen
gehalten. Die österreichische Binnennachfrage habe, unterstützt durch die wirksamen Konjunkturpakete
der Bundesregierung, inzwischen den Export als Konjunkturmotor abgelöst.
Die österreichische Bundesregierung habe mit der Pensionsreform einen richtigen und wichtigen Schritt gesetzt,
um das Pensionssystem mit der künftigen demografischen Struktur in Einklang zu bringen. Es gehe nun darum,
diese und andere Reformen - wie z.B. die Reform des Gesundheitssystems oder der Verwaltung - konsequent fortzusetzen.
Diesbezüglich berge der Österreich-Konvent große Chancen, Einsparungspotenzial bei der Verwaltung
aufzuspüren und umzusetzen. Weiters seien alle Maßnahmen zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes bzw.
zur Stärkung des Risikokapitalmarktes im Hinblick auf eine Erhöhung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit
des Wirtschaftsstandorts Österreich sehr zu begrüßen.
Die EU-Erweiterung könne zwar langfristig die Produktivitätsentwicklung über Agglomerationseffekte
begünstigen. Dies erfolge jedoch nicht automatisch, eine engagierte Regionalpolitik sei unabdingbar. Zentrale
Herausforderungen seien der Strukturwandel in Richtung technologieintensive Sachgüterbranchen und wissensintensive
Dienstleistungen sowie die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung.
Eine dynamische Aufbruchsstimmung im Zuge des Beitritts unserer Nachbarländer zur Europäischen Union
sollte jedenfalls den noch anstehenden Reformen in Österreich zusätzlichen Schwung verleihen. |