Schwierige Konsenssuche bei Staatszielen und neuen
Grundrechten
Wien (pk) - In der Plenarsitzung des Österreich-Konvents am Montag (20. 01.) legten
die Ausschussvorsitzenden erste Zwischenberichte über die Arbeiten in den Gremien vor. Dabei zeigte sich,
dass sich die Konsenssuche hinsichtlich der Staatsaufgaben und Staatsziele und der neuen Grundrechte äußerst
schwierig gestaltet, während etwa im Bereich der Strukturen besonderer Verwaltungseinrichtungen wie Selbstverwaltungsträger
oder ausgegliederte Rechtsträger die Chancen auf Einigkeit größer erscheinen.
Heinz Mayer berichtete zunächst über den Diskussionsstand des Ausschusses, der sich mit den Staatsaufgaben
und Staatszielen beschäftigt: Große Einigkeit bestehe bei der Interpretation des Ausschussmandats dahingehend,
dass es nur darum zu gehen habe, solche Staatsaufgaben und Staatsziele zu entwickeln, die auch verfassungsrechtlich
ihren Niederschlag finden können. Weiters seien die Mitglieder übereingekommen, bestehende Staatsaufgaben
und Staatsziele kritisch zu hinterfragen. Insbesondere werde der Ausschuss Überlegungen anstellen, ob die
Staatsaufgaben unter Bedachtnahme auf die europäische Entwicklung auch weiterhin Teil des Verfassungsrechts
sein sollen. Einen Bedarf nach einer Verfassungspräambel habe der Ausschuss übereinstimmend nicht gesehen.
Höchst kontroversiell habe sich, wie Mayer weiter mitteilte, die Diskussion nach neuen Staatsaufgaben und
neuen Staatszielen gestaltet. Hier seien Extrempositionen vertreten worden, die von der reinen "Spielregelverfassung"
ohne inhaltliche Festlegungen bis zur weit reichenden Aufnahme von Staatszielen insbesondere hinsichtlich Daseinsversorgung,
Bildung oder Infrastruktur reichen. Sollten tatsächlich neue verfassungsrechtliche Regelungen der Staatsziele
kommen, dann sollten diese nach überwiegender Meinung der Ausschussmitglieder nicht ein bloßes Dekorum
sein, sondern auch normative Wirkungen entfalten können und eher in Richtung subjektiv durchsetzbarer Grundrechte
gehen. Mayer zeigte sich hinsichtlich eines Konsenses äußerst skeptisch.
Ulrike Baumgartner-Gabitzer sprach als Stellvertreterin des Ausschusses Staatliche Institutionen von einer "interessanten
Diskussion". Die Mitglieder würden von dem Bekenntnis ausgehen, dass möglichst wenig in der Verfassung
geregelt werden soll. Es gehe dabei vor allem um die Frage, inwieweit Materien in einfachen Gesetzen durch eine
Zweidrittel-Mehrheit abgedeckt werden sollen. Zur Debatte stünden in diesem Zusammenhang etwa die Bereiche
Wahlen, Nationalrat und Bundesrat. Diametrale Auffassungen würden hinsichtlich der Rechte des Bundespräsidenten
vertreten, Einigkeit bestehe darüber, den Wildwuchs an verschiedenen Mitwirkungsrechten zu systematisieren.
Weiterer Diskussionsstoff des Ausschusses sei die mögliche Verankerung von Hearings durch den Nationalrat
und den Bundesrat als Kann-Bestimmung sowie die Aufnahme eines programmatischen Satzes über die Begutachtungsrechte
in die Verfassung.
Bernd-Christian Funk referierte über die Arbeiten jenes Ausschusses, der mit der Erstellung eines Grundrechtskatalogs
befasst ist, und stellte fest, bezüglich neuer Grundrechte, insbesondere sozialer Grundrechte, gebe es noch
keinen Konsens. Strategische Übereinstimmung herrsche allerdings darüber, einen möglichst integrierten
Grundrechtskatalog zu verankern, der sich nicht auf verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte beschränkt,
sondern auch materielle Grundrechtsgarantien einbindet. Als Möglichkeit betrachtet der Ausschuss dabei ein
Zwei-Text-System, das eine Grundrechts-Charta in Verbindung mit einem Hintergrundtext vorsieht. Klar sei den Mitgliedern
dabei, dass es keinesfalls zu einem Zwei-Klassen-System bei den Grundrechten kommen dürfe. Darüber hinaus
gehe der Ausschuss auch davon aus, dass sich die Grundrechte an der EU-Grundrechts-Charta orientieren sollten.
Um die Dynamik der richterlichen Rechtsentwicklung zu erhalten, will der Ausschuss kodifikatorische Kasuistik und
eine Versteinerung der Grundrechte vermeiden, betonte Funk.
Konsens konnte jedenfalls bereits über die Neuformulierung im Bereich des Grundrechtes auf Schutz der Privatsphäre
ausgehend von Artikel 8 MRK sowie über die Vereins- und Versammlungsfreiheit und die Meinungsfreiheit erzielt
werden, berichtete Funk.
Peter Bußjäger skizzierte den Verhandlungsverlauf des Ausschusses über die Aufgabenverteilung zwischen
den Gebietskörperschaften. Diskutiert werde derzeit eine Regelung der Kompetenzverteilung auf Basis eines
Drei-Säulen-Modells. Zwei Säulen sollen dabei jeweils die exklusiven Kompetenzbereiche von Bund und Ländern
betreffen, eine dritte Säule stelle die gemeinschaftlichen Kompetenzen von Bund und Ländern dar. Einzelne
Kompetenzen sollen zudem auch nicht mehr nach dem Versteinerungsprinzip ausgelegt werden, sondern auf einem Implied-Powers-Prinzip
beruhen. Die Zuständigkeit zur Umsetzung von EU-Recht wiederum soll nach dem derzeitigen Diskussionsstand
des Ausschusses der allgemeinen Kompetenzverteilung folgen.
Werner Wutscher nannte als Schwerpunkte der Debatte im Ausschuss "Verwaltungsreform" die Themenbereiche
mittelbare Bundesverwaltung, Weisungsprinzip, Stellung der obersten Organe als Reformschranken und die Amtsverschwiegenheit.
Im Bereich des öffentlichen Dienstes werden vor allem der verfassungsrechtliche Beamtenbegriff und die Personalsteuerung
diskutiert. Weiters setzen sich, wie Wutscher berichtete, die Ausschussmitglieder mit der Behördenstruktur
im Agrar-, Sicherheits- und Schulbereich auseinander. Bei der Haushaltsfinanzierung werde es darum gehen, inwieweit
im Budgetrecht eine flexiblere Voranschlagsgestaltung verwirklicht werden kann.
Manfred Matzka konstatierte als Vorsitzender des Ausschusses "Strukturen besonderer Verwaltungseinrichtungen",
bei den ersten Gesprächen habe sich gezeigt, dass diese Themen relativ wenig kontroversiell seien. Matzka
sah deshalb deutlich größere Chancen auf ein konsensuales Ergebnis als bei anderen Ausschüssen.
Die Probleme seien offenbar so rezent, dass sich noch keine ideologischen Positionen festgefahren haben, bemerkte
er. Diskutiert werde im Ausschuss über eine Durchbrechung der Ministerverantwortlichkeit durch eine eigene
Verfassungsbestimmung, aber auch über die verfassungsrechtliche Regelung von Grundstrukturen von Regulatoren
und der sozialen Selbstverwaltung sowie über ein grundlegendes Korsett der Privatwirtschaftsverwaltung und
die ausgegliederten Rechtsträger ohne hoheitliche Aufgaben.
Matzka meinte, er spüre aus der Diskussion den Wunsch nach verfassungsrechtlicher Erwähnung der Sozialpartner
und nach verfassungsrechtlicher Absicherung der sozialen Selbstverwaltung.
Volksanwalt Peter Kostelka erinnerte daran, dass die Staatsziele den gesellschaftlichen Konsens formulieren, "den
wir in den letzten 80 Jahren erreicht haben". Auch wenn es sinnvoll sei, sich um eine schlanke Verwaltung
zu bemühen, dürfe sich der Staat seiner Verantwortung nicht entziehen. Kostelka bedauerte, dass in der
österreichischen Verfassung wertgebundene Formulierungen - wie sie andere Verfassungen kennen - fehlen und
wandte sich gegen eine synonyme Verwendung der Begriffe Staatsaufgaben und Staatsziele. "Der Staat kann und
soll vieles wollen", was aber nicht bedeute, dass er es zwingend mit dem eigenen Apparat umsetzen solle.
Beim Thema 3-Säulen-Theorie sah Kostelka kein Problem zwischen Bund und Ländern, wohl aber eines bei
der gemeinsamen Säule. Eine Rahmengesetzgebung könne die Ziele Effizienz und rasche Entscheidungen nicht
erreichen. Es sei kein "Gipfel der Effizienz", wenn bei einer Entscheidung zehn Gesetzgeber tätig
werden müssen. Rahmengesetzgebung sollte daher die Ausnahme, nicht den Regelfall darstellen.
Schließlich äußerte Kostelka das Bedürfnis, die 2/3-Gesetzgebung bei einfachen Gesetzen "in
einem absoluten Minimum" beizubehalten und nannte die Geschäftsordnung und die Wahlrechtsgrundsätze
als Beispiele, bei denen eine erschwerte Abänderbarkeit bestehen sollte.
Der Salzburger Landeshauptmann Franz Schausberger bekannte sich dazu, die Kompetenzen zwischen Bund, Ländern
und Gemeinden neu zu ordnen, äußerte dabei aber Skepsis gegenüber dem Bund und warnte davor, diese
Materie unter Zeitdruck durch die Ausschüsse zu peitschen. Schausbergers Anregung lautete, dieses Thema zwischen
den verschiedenen Ausschüssen zu beraten. Die Arbeit des Ausschusses "Aufgabenverteilung zwischen Bund,
Ländern und Gemeinden", der sich mit einer Neuordnung der Kompetenzen, Verfahren und Entscheidungsumsetzung
befasst, möchte der Landeshauptmann am Ziel der Bürgernähe ausrichten. Föderalismus und Subsidiarität
sowie die Identifikation der Bürger auf regionaler Ebene seien zu stärken.
Für eine Koppelung von Aufgabenverantwortung und Mittelverantwortung trat der Landeshauptmann vor allem dort
ein, wo eine Gebietskörperschaft eine Aufgabe von einer anderen vollziehen lassen möchte. Die Verpflichtung,
EU-Vorgaben umzusetzen, darf laut Schausberger nicht zu einer Ausweitung der Bundeskompetenzen führen.
Beim Thema Regulatoren in der E-Wirtschaft hielt es der Salzburger Landeshauptmann für einen Widerspruch,
dass nach Ausgliederungen eine Kontrollfunktion des Ministeriums aufrecht bleibe.
Die Förderung von Gewerbebetrieben durch die Länder im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung soll weiterhin
möglich sein, andernfalls drohe eine weitere Verbürokratisierung Österreichs schloss Landeshauptmann
Schausberger.
Universitätsprofessor Theo Öhlinger unterbreitete dem Konvent den Vorschlag, die Zusammensetzung der
Ausschüsse personell zu verbreitern, wegen der vielen Überschneidungen und auch deshalb, weil die angestrebten
Konsenslösungen eine gewisse Breite voraussetzen. Berichte der Vorsitzenden könnten eine Diskussion nicht
ersetzen, zeigte sich Öhlinger überzeugt. Gemeinsame Sitzungen von Ausschüssen wiederum seien schwerfällig
und Diskussionen im Plenum stünden unter dem Druck der Redezeitbeschränkung. Öhlinger wandte sich
grundsätzlich gegen die Beschneidung von Diskussionen und plädierte dafür, dem Konvent die gewonnene
Dynamik zu erhalten.
Präsident Franz Fiedler reagierte mit der Zusage, Öhlingers Vorschlag in der nächsten Präsidiumssitzung
zu beraten. Er habe nicht den Eindruck gewonnen, dass in den Ausschüssen Diskussionen abgewürgt würden,
sagte Fiedler und sprach sich dafür aus, die Arbeitsfähigkeit der Ausschüsse zu erhalten.
Madeleine Petrovic sah die Aufgabe, die Ausschüsse miteinander zu vernetzen, äußerte sich aber
skeptisch über den Vorschlag, die Ausschüsse zu vergrößern. Die Frage, wie es mit dem föderalistischen
Prinzip weitergehe, die Frage nach den Kompetenzen der Länder und die Forderung nach einem lebendigen Föderalismus
wollte Petrovic nicht durch einen "Xerox-Föderalismus" beantwortet sehen. Was die Bevölkerung
wolle, sei eine serviceorientierte Verwaltung mit klaren Anlaufstellen und einfachen Verfahren.
Den Konvent insgesamt sah die Rednerin an einem Wendepunkt. Es herrsche Aufbruchsstimmung, gleichzeitig brauche
der Konvent aber auch einen relevanten politischen Willen. Die aktuellen Diskussionen zum Flüchtlingswesen
machten sie skeptisch gegenüber Beteuerungen, Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs zu respektieren,
schloss Madeleine Petrovic. |