Wahl 2002: Bischof Küng stellt Gretchenfragen 
Linz (kath.net) - KATH.NET dokumentiert die Antworten der Spitzenkandidaten, die in den westösterreichischen Kirchenzeitungen erschienen sind.

Frage 1. In Österreich sind in den letzten zehn Jahren die Geburtenzahlen dramatisch zurückgegangen. Untersuchungen zeigen, dass viele Paare ihre ursprünglichen Kinderwünsche nicht realisieren, weil sie erleben, wie schwierig es ist, Familienund Berufsarbeit unter einen Hut zu bringen. Welche Maßnahmen wollen Sie setzen, um hier den Familien konkret zu helfen – z. B. durch eine stärkere Anerkennung der Familienarbeit (Erziehung, Pflege etc.), familienfreundliche Betriebe und Arbeitszeiten, Qualifizierung während und nach der Karenz …?

Wolfgang Schüssel: Wir wollen, dass sich jede Frau in Österreich darauf verlassen kann, einen Platz zur Betreuung ihres Kindes vorzufinden, wann immer sie ihn braucht. Das ist ein wesentlicher Schlüssel zur besseren Vereinbarkeit. Die Kosten für die Kinderbetreuung werden wir steuerlich entlasten. Die Betreuung durch Tagesmütter ist zu forcieren, neue Berufsbilder (z. B. Mitarbeiterin in Tagesheimstätten) sind zu entwickeln.
Für eine familienfreundlichere Arbeitswelt muss die Wirtschaft verstärkt als „Verbündeter“ der Familien gewonnen werden. Gemeinsam müssen Arbeitszeitmodelle und Arbeitsabläufe erarbeitet werden, die sowohl den Interessen berufstätiger Eltern als auch denen des Unternehmens gerecht werden. Studien zeigen: Familienfreundlichkeit in Unternehmen zahlt sich aus. Für den beruflichen Wiedereinstieg nach längeren Unterbrechungen der Erwerbstätigkeit, insbesondere durch Kindererziehung und Pflegetätigkeiten, soll es Förderungen geben. Für Wiedereinsteigerinnen, deren Beruf am Arbeitsmarkt nicht mehr nachgefragt wird oder massive Weiterentwicklungen erfahren hat, sollen Umschulungsprogramme überprüft, weiterentwickelt, neu konzipiert und beworben werden. Die Zeit des Bezugs von Kinderbetreuungsgeld soll verstärkt zu beruflicher Weiterbildung genutzt werden. Gleichzeitig muss der Anreiz für Unternehmen gestärkt werden, zurückkehrende (weiter)qualifizierte Arbeitnehmer/-innen wieder zu beschäftigen.

Alfred Gusenbauer: Internationale Vergleiche weisen nach, dass ein enger Zusammenhang zwischen den besseren Rahmenbedingungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf und einer höheren Geburtenrate besteht. Eine eigene Frauenministerin soll den Frauen, die das wollen, das Nebeneinander von Kind und Job fair und chancengleich lebbar machen. Ein Maßnahmenmix soll das ermöglichen: Das Kindergeld soll verbessert werden, die Studiengebühren gestrichen, die Qualifizierungsmaßnahmen für den beruflichen Wiedereinstieg ausgebaut, die Kinderbetreuungseinrichtungen in ausreichendem Maß zur Verfügung gestellt und eine eigene Pension für Frauen unabhängig vom Einkommen des Mannes eingeführt werden. Die Frage der Kinderbetreuung und kinderfreundlicherer Arbeitszeiten sind besonders wichtig.

Alexander Van der Bellen: Den Änderungen der gesellschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Rahmenbedingungen muss Rechnung getragen werden, indem alle nur erdenklichen Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf gesetzt werden. Dazu gehört einerseits der flächendeckende Ausbau von qualitativ hochwertigen Kinderbetreuungseinrichtungen, besonders auch für Kinder unter 3 Jahren. Andererseits müssen die Karenzleistungen (Zeit und Geld) viel flexibler in Anspruch genommen werden können, damit es den Betreuungspersonen leichter möglich ist, mit dem Arbeitsmarkt in Kontakt zu bleiben. Qualifikationsangebote während und nach der Karenz müssen verstärkt und den Bedürfnissen angepasst werden. Das Mitspracherecht der Arbeitnehmer/-innen bei der Gestaltung der Arbeitszeit muss gewährleistet werden. Eine familienfeindliche Ausweitung von Betriebszeiten lehnen wir ab.

Herbert Haupt: Grundsätzlich ist es immer schwierig, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Daher hat der Staat die größtmögliche Unterstützung zu leisten. Dazu zählt, dass Familienarbeit wenigstens teilweise abgegolten wird. Deshalb halten wird das auf unsere Initiative eingeführte Kinderbetreuungsgeld für alle Mütter (Väter) für eine epochale familienpolitische Leistung. Dadurch wurde der alte Lastenausgleich zu einem Leistungsausgleich weiterentwickelt. Deshalb sollte es bei Mehrlingsgeburten auch Betreuungsgeld für jedes Kind geben.
Für die FPÖ ist das Zukunftsbündnis zwischen Erwachsenen und Kindern der Mittelpunkt, um den wir Arbeit und Freizeit organisieren. Deshalb treten wir für folgende Maßnahmen ein: Es ist Aufgabe der öffentlichen Hand, die Erziehungs- und Beziehungskompetenz in der Familie durch Begleitung, Beratung und Elternbildung zu stärken. Die Verfügbarkeit von Elternzeit bei Berufstätigkeit und der Ausbau der Nachmittagsbetreuung im Pflichtschulbereich müssen intensiviert werden. Die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit sollte selbstverständlich werden. Es ist darauf zu achten, dass jungen Familien zu vertretbaren Preisen Wohnraum zur Verfügung gestellt wird.


2. In der Biomedizin steht eine Reihe schwerwiegender Entscheidungen an. Soll Österreich die verbrauchende Embryonenforschung, Eingriffe in die menschlichen Keimbahnen, die Ausweitung der pränatalen Diagnostik ohne entsprechende Beratung!) zulassen bzw. in der EU mitfördern?

Wolfgang Schüssel: Die rasant wachsende Bedeutung der Biomedizin macht es notwendig, uns intensiv mit deren Methoden und Auswirkungen auseinander zu setzen. Jede wissenschaftliche Grenzverschiebung wirft auch die ethische Frage nach den Grenzen des Dürfens auf. Deshalb habe ich im Bundeskanzleramt die Bioethik-Kommission zur Politik-Beratung eingerichtet. Was die verbrauchende Embryonenforschung angeht, sprechen wir uns gegen eine Lockerung bestehender gesetzlicher Bestimmungen (Verbot) aus. Deshalb haben wir uns auch gegen die Annahme des EU-Forschungsprogramms ausgesprochen, weil wir gegen eine Förderung der embryonalen Stammzellenforschung durch EU-Gelder sind. Man hat uns dafür als forschungsfeindlich angegriffen. Nun aber wird immer klarer, dass über adulte Stammzellen Erwachsener ähnliche Ergebnisse erzielt werden können.

Alfred Gusenbauer: Über die ethischen Fragen der Biomedizin ist der Diskussionsprozess noch im Gang. Derzeit gibt es in Österreich eine klare Gesetzeslage, die die verbrauchende Embryonenforschung verbietet. Deshalb stellt sich die Frage der Förderung nicht. Wir sind aber dafür, dass in allen Ethikkommissionen Vertreter/-innen der behinderten Menschen aufgenommen werden, damit auf ihre Anliegen Rücksicht genommen wird. Was die vorgeburtliche Diagnostik angeht, so ist die SPÖ der Ansicht, dass die so genannte Präimplantationsdiagnostik (PID) mit anderen, bereits gegegeben Möglichkeiten, in gebotenen engen Grenzen, rechtlich gleichgestellt werden könnte. Der Umfang der PID ist in einem genauen Diagnosekatalog festzulegen. Dieser darf nur Kriterien enthalten, die bekannten klinischen Krankheitsbildern entsprechen (Verbot einer „Auslese“ nach Geschlecht etc.). Seriöse und ausgewogene Beratung muss sichergestellt werden.

Alexander Van der Bellen: Die Grünen haben sich immer für eine verstärkte und verpflichtende Verankerung ethischer Standards in der Forschungsförderung ausgesprochen. Deshalb begrüßen wir den Beschluss des EU-Ministerrates, die umstrittene verbrauchende Embryonenforschung bis 2004 nicht zu finanzieren, um dadurch eine tief gehende Auseinandersetzung mit der Problematik zu ermöglichen. Wir treten auch dafür ein, ethisch weniger umstrittene Forschungsrichtungen (z. B. adulte Stammzellenforschung) zu bevorzugen. Eingriffe in die menschliche Keimbahn untersagt die Europäische Menschenrechtskonvention. Veränderungen genetischer Informationen lehnen wir aufgrund des hohen Risikos ab.
Bei der Pränataldiagnostik treten wir klar dafür ein, dass die Entscheidung über Untersuchungen allein bei der ausreichend informierten Mutter bleibt. Eine sachliche, umfassende und nicht-direktive Information für schwangere Frauen betreffend Pränataldiagnostik, aber auch mögliche Behinderungen ihres Kindes sehen wir als ein zentrales Anliegen.

Herbert Haupt: Die FPÖ hat aktiv am Medizinfortpflanzungsgesetz und am Gentechnikgesetz mitgearbeitet. Darin ist das Verbot des Eingriffs in die menschliche Keimbahn verankert worden. Die Weiterverwendung der bei der erlaubten In-vitro-Befruchtung entstehenden überzähligen befruchteten Eizellen für Forschungszwecke müsste genau dokumentiert werden.
Die pränatale Diagnostik bietet immer mehr Möglichkeiten der zuverlässigen Früherkennung von Mißbildungen und Erbkrankheiten. Angebote zur wahrheitsgemäßen Information und einfühlsamen Beratung sollten die selbständige Entscheidung der werdenden Mutter unterstützen.


3. Bestimmte Gruppen drängen auf eine rechtliche Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften mit Ehepaaren. Wie ist Ihre Position dazu?

Wolfgang Schüssel: Für die ÖVP steht der Mensch mit seiner Würde im Mittelpunkt der Politik. Wir treten daher aktiv für die Bekämpfung aller Formen von Diskriminierungen, sei es aufgrund des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung ein. Es ist daher auch unser vorrangiges Ziel, die EURichtlinien zur Verwirklichung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft sowie für die Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf entsprechend umzusetzen.

Alfred Gusenbauer: Die SPÖ setzt sich für die rechtliche Absicherung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften ein und fordert die Gleichstellung bei nicht-ehelichen Lebensgemeinschaften sowie die Möglichkeit einer standesamtlich „eingetragenen Partnerschaft“. Darüber hinaus treten wir auch für die Beseitigung aller anderen Diskriminierungen, z. B. im Opferfürsorgegesetz, ein.

Alexander Van der Bellen: Vielfalt braucht gleiche Rechte. Noch immer können nicht alle Menschen gemeinsam mit ihren Lebenspartner/-innen in Mietverträge eintreten, bei Adoptionen Sorgerechte für Kinder des/der Partner/-in übernehmen oder Erbschaften antreten. Politik hat jedoch Menschen, und nicht eine bestimmte Form von Zusammenleben zu fördern.
Vor dem Staat sind alle Partnerschaften – egal ob homo- oder heterosexuell – gleichzustellen. Partnerschaften müssen staatlich registriert werden können. Lesbische und schwule Paare haben – wenn sie es wollen – jene Rechte zu erhalten, die für heterosexuelle Partnerschaften selbstverständlich sind.

Herbert Haupt: Aus Sicht der Freiheitlichen ist die Familie, geprägt durch die gegenseitige Verantwortung der Generationen und der Partner zueinander, wichtigste soziale Grundlage der Gesellschaft. Die Familie beruht auf einer Lebensgemeinschaft von Mann und Frau, deren besondere gesellschaftliche Anerkennung durch das Institut der Ehe ausgedrückt ist. Durch das Kind wird diese Lebensgemeinschaft zur Familie. Auch die Lebensgemeinschaft eines allein erziehenden Elternteiles mit Kind ist als Familie anzusehen. Bestrebungen, gleichgeschlechtliche Partnerschaften Familien gleichzustellen, werden von uns abgelehnt.


4. Bei der Einführung der „Fristenregelung“ wurde eine Reihe flankierender Maßnahmen (Ausbau der Konfliktberatung, Trennung von Beratung und Abtreibungsarzt, Studien u. v. a.) versprochen. Umgesetzt wurde davon wenig. Was wollen Sie zur Verminderung der Abtreibungen tun?

Wolfgang Schüssel: Christliche Werte und die Achtung vor der Würde des Lebens sind die Grundlage unserer Arbeit. Wir haben uneingeschränkte Achtung vor dem ungeborenen Leben und lehnen Abtreibung als eine Methode der Geburtenregelung ab. In der strafrechtlichen Verfolgung betroffener Frauen sehen wir jedoch keine geeignete Lösung.
Unser Ziel ist es, Mut zum Kind zu machen. Das „Kindergeld für alle“ ist ein erster sehr erfolgreicher Schritt in diese Richtung: Seit seiner Einführung am 1. Jänner 2002 ist auch wieder ein leichter Geburtenanstieg sichtbar. Die Erhöhung der Familienbeihilfe, die besseren Zuverdienstgrenzen, die Teilzeitregelungen für junge Mütter sind weitere Meilensteine. Wir setzen uns auch für eine steuerliche Verbesserung für Familien (z. B. Absetzbarkeit der Haushaltshilfe) und für eine Erleichterung bei Adoptionen ein.

Alfred Gusenbauer: Alle Untersuchungen zu den Abtreibungsgründen (wie die der Wiener Frauengesundheitsbeauftragten) und Erfahrungen zu diesem Bereich ergeben dasselbe Bild: Die beste Verhinderung von Abtreibung ist erstens die Aufklärung der Menschen über geeignete Verhütungsmittel, am besten bereits in der Schule. Und zweitens die Gratisabgabe von Verhütungsmitteln für bestimmte benachteiligte Gruppen sowie ein allgemein besserer Zugang zu den Verhütungsmitteln und eine kostenäquivalente Preisgestaltung. Priorität hat natürlich Prävention, Aufklärung und Verhütung, aber: Jede Frau sollte ein Recht auf Abtreibung haben. Legalisierung heißt nicht Förderung. Abtreibung hat es immer gegeben – durch die Illegalität war und ist sie gesundheitsgefährdend.
Die SPÖ setzt sich daher dafür ein, dass es in allen Bundesländern möglich ist, in Landeskliniken eine Abtreibung durchzuführen, oder dass eine entsprechende Versorgung durch andere Institutionen – auf Wunsch anonym und jedenfalls ungestört – gewährleistet ist.

Herbert Haupt: Eine Neuregelung des Schwangerschaftsabbruches steht derzeit nicht zur Diskussion, da nach allgemeiner Einschätzung der einmal erzielte Konsens nicht in Frage gestellt werden soll. Auf Basis dieser Rechtslage liegt die Entscheidung, ob eine Schwangerschaft auf Grund einer für sie schweren Konfliktsituation durch eine Abtreibung beendet werden soll, allein bei der betroffenen Frau. In diesem Zusammenhang muss die Politik die von verschiedenen Seiten vorgebrachte Kritik, dass die Beratungssituation von Schwangeren – zumal im Zusammenhang mit einem Abbruch – gar nicht optimal ist, ernster nehmen.

Alexander Van der Bellen: Unser Ansatz in dieser Frage ist es, den Schwerpunkt auf die Vermeidung ungewollter Schwangerschaften zu legen. Das heißt, wir treten für eine offenere Sexualerziehung in den Schulen ein, für mehr Sexualberatungsstellen für Jugendliche, für Gratis-Verhütungsmittel und weitere Maßnahmen zur Vermeidung ungewollter Schwangerschaften.
Im Falle einer ungewollten Schwangerschaft vertreten wir die Meinung, dass alle die Schwangerschaft betreffenden Entscheidungen bei der schwangeren Frau liegen müssen. Damit diese Entscheidungen wohlüberlegt getroffen werden können, treten wir dafür ein, dass das Informations- und Beratungsangebot deutlich ausgebaut und verbessert wird.
Schwangeren Frauen müssen aber beide Möglichkeiten offen stehen: Es müssen entsprechende Unterstützungen (vor allem finanzielle) geboten werden, wenn sich Frauen für das Kind entscheiden, ebenso aber die Möglichkeit, in örtlicher Nähe und in professioneller Weise gratis einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen. Wobei es sicherlich zentral ist, entsprechende soziale Bedingungen zu schaffen, damit Eltern mit einem Kind gut leben können. Deshalb fordern wir u. a. eine bedarfsorientierte Grundsicherung, den Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen, Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familienpflichten.