Im Orbit wird es eng
Paris (esa) - „Der Weltraum – unendliche Weiten...“ Für Spock, Kirk und Co. vom Raumschiff Enterprise eine Selbstverständlichkeit, im erdnahen Weltraum nur eine Wunschvorstellung. Unser blauer Planet ist umgeben von Weltraumschrott. Wie dem gefahrenvollen orbitalen Abfallproblem beizukommen ist, wollen Experten auf dem europäischen Symposium am 27. und 28. November in Toulouse erörtern. Die Europäische Weltraumagentur ESA will der Vermüllung des Alls mit intelligenterem Satellitendesign beikommen: Die Zukunft soll superleistungsfähigen Kleinstsatelliten gehören, die leicht zu entsorgen sind.

Seit den Kindertagen der Raumfahrt werden Satelliten und Raumsonden ins All geschossen. Bei mehr als 4000 Starts gelangten etwa 5000 Raumflugkörper in eine Umlaufbahn. Derzeit sind in verschiedenen Orbits rund 700 Satelliten in Betrieb. Ihre Aufgaben: Erdbeobachtung, Wettervorhersage, Telekommunikation, Himmelserkundung, militärische Aufklärung, Navigation... Daneben aber trudeln Tausende ausgemusterter Geistersatelliten, Raketenstufen und unzählige Restpartikel jeglicher Art um die Erde. Im Orbit wird es eng.
Die Internationale Raumstation musste bereits mehrfach in eine höhere Umlaufbahn gehievt werden, um einer umhertaumelnden uralten Raketenstufe oder einem unbekannten Metallgegenstand auszuweichen. Zwei Fragen stellen sich daher immer drängender: Wie kann man den Verkehr im All so organisieren, dass Zusammenstöße vermieden werden? Und wohin mit dem Weltraummüll? Das sind Hauptthemen des am 27. und 28. November in Toulouse stattfindenden Symposiums „Europa und der Weltraumschrott“. Die Europäische Raumfahrtagentur ESA, die französische Raumfahrtagentur CNES und die französische „Académie National de l´Air et de l´Espace“ haben hierzu Europas Müll-Experten sowie die interessierte Öffentlichkeit eingeladen. Prof. Walter Flury vom Europäischen Satellitenkontrollzentrum ESOC wird den erreichten Stand sowie die anstehenden Probleme der internationalen Kooperation vorstellen.

Chaotisches Trümmerballett
ESOC, das in Darmstadt ansässige Europäische Satellitenkontrollzentrum der ESA, beobachtet den Weltraumschrott minuziös. Derzeit kreisen rund 7500 Objekte um die Erde, die größer sind als zehn Zentimeter. Funktionsfähige Raumfahrzeuge machen dabei nur einen kleinen Teil aus (6%). Etwa die Hälfte sind ausrangierte Satelliten, ausgebrannte Raketenstufen und anderer Schrott. Die übrigen Objekte (44%) sind größere Trümmer, entstanden vor allem durch die Explosion von Treibstoffresten in alten Raketenstufen und die absichtliche Sprengung oder die Explosion von rund 150 Satelliten. Aber damit nicht genug: Rund 100 000 kleine Trümmer zwischen einem und zehn Zentimetern Größe verschmutzen den Orbit. Die Zahl der Trümmer im Millimeterbereich geht gar in die Millionen. Und der fliegende Müllberg wächst. Jedes Jahr um etwa 5%.

Orbitale Müllhalden
Besonders zugemüllt ist der erdnahe Orbit unterhalb 2000 km Höhe. Hier ist die Gefahr für Mensch und Material wegen der hohen Orbitalgeschwindigkeiten von bis zu 35 000 km/h nicht zu unterschätzen: Wenn sie mit der zehnfachen Geschwindigkeit einer Gewehrkugel einschlagen, können selbst millimetergroße Objekte, wie abgesplitterte Farbreste, Schäden an Raumfahrzeugen verursachen. Aber auch im geostationären Orbit (GEO) in rund 36 000 km Höhe findet sich jede Menge Schrott. Der GEO ist besonders attraktiv, weil dort Kommunikations- und Beobachtungssatelliten über einen Punkt der Erde scheinbar fest verankert werden können. Da diese Bahn bereits ziemlich voll ist, müssen ausgediente Satelliten am Ende ihrer Lebensdauer in einen so genannten Friedhofsorbit oberhalb von 36 000 km gehievt werden. Der frei werdende Platz staht dann einem anderen Satelliten zur Verfügung. Aber wie überall im Leben gilt auch hier der Spruch: Verträge und Vertrauen sind gut, Kontrolle ist besser. Eine beim ESOC bestehende Arbeitsgruppe stellte „bei einer Analyse für die Jahre 1997 bis 2000 fest, dass von 58 ausrangierten Satelliten nur 22 tatsächlich in den so genannten Friedhofsorbit geschoben worden sind", wie Rüdiger Jehn von der außerirdischen Müll-Task-Force zu berichten weiß. Der Rest verblieb mehr oder weniger an Ort und Stelle. Bestehende internationale Vereinbarungen werden offenbar aus Kostengründen von nichteuropäischen Satellitenbetreibern nicht eingehalten.

Müllvermeidung durch Hightech-Zwerge
Die ESA entwickelt gegenwärtig für ihre ehrgeizige Darwin-Mission zur Erkundung extrasolarer Planeten neue technische Lösungen. Möglicherweise ist diese Technologie auch einsetzbar, um kleinere und leicht zu entsorgende Satelliten zu bauen, die in Zukunft die Stelle der alten Raumriesen einnehmen können.


Darwin wird aus einem Verband von sechs baugleichen Weltraumteleskopen mit einem Durchmesser von jeweils zwei Metern bestehen. Diese Instrumente werden im zusammenschaltet. Auf diese Weise simuliert Darwin ein Teleskop mit bis zu 250 Metern Durchmesser. Mit der in Entwicklung befindlichen Technologie können die Teleskop-Sonden ihre gegenseitigen Flugpositionen extrem genau steuern. Darwin wird dadurch in der Lage sein, die Lufthülle erdähnlicher Planeten jenseits unseres Sonnensystems detailliert zu analysieren und chemische Hinweise auf Leben aufzuspüren. Es sind aber auch andere Anwendungen denkbar: In miniaturisierter Form kann diese Technologie die wuchtigen Satelliten alter Schule ersetzen. „Stellen Sie sich vor, man würde einen Verband aus mehreren 20-Zentimeter-Teleskopen einsetzen. Sie wären klein, leicht und problemlos in Serie herzustellen. Und das zu einem unschlagbar günstigen Preis“, begeistert sich Malcolm Fridlund, der ESA-Projektwissenschaftler für die Darwin-Mission. Zwergspäher dieser Art würden wahrscheinlich sogar schärfere Aufnahmen liefern als herkömmliche Satelliten. Und wenn sie ihre Aufgabe erfüllt haben, könnten die Wissenschaftler die Kleinstteleskope wie Sternschnuppen in der Atmosphäre verglühen lassen. Satellitenschrott würde nicht mehr anfallen.

Geringere Verkehrsdichte im Orbit
Verbessern ließe sich die Situation auch dadurch, dass man die Satelliten weiter von der Erde entfernt positioniert, um die Verkehrsdichte im erdnahen Raum zu reduzieren. „Eine solche Position wäre auch für bestimmte Aufgaben der Erdbeobachtung vorteilhaft“, so Fridlund. „Im erdnahen Orbit umrundet ein Satellit den Planeten alle 90 Minuten. Er steht also immer nur ganz kurz über einen bestimmten Punkt der Oberfläche. Ein Satellit im geostationären Orbit aber hätte ständig eine ganze Hemisphäre im Blick. Man könnte also mit dem Teleskop-Verband jeden beliebigen Punkt genauer unter die Lupe nehmen.“ Außerdem böte diese Formationsflug-Technologie die Möglichkeit, alle Satelliten mit einem System auszustatten, das Kollisionen vermeidet. Jeder Satellit stünde so mit seinen orbitalen Nachbarn in Verbindung. Im Falle ungewollter Annäherung könnten dann Kurskorrekturen eingeleitet werden.

Grüner Space-Punkt
Die Gefahren durch Weltraumschrott werden sich niemals völlig bannen lassen. Die Sicherheit im All kann aber durch neue Technologien verbessert werden. Will der Mensch auch noch in 100 Jahren gefahrlos zu den Sternen starten, dann ist intelligente Müllvermeidung ein Gebot der Stunde. Wie wäre es mit der Einführung eines Grünen Punktes für Raumflugkörper und Trägerraketen?