Europa muss Perspektiven anbieten
Wien (sk) - Bei einer Diskussion zum Thema "Zehn Jahre Bosnien-Herzegowina" in der Diplomatischen
Akademie schloss der Wiener SPÖ-Spitzenkandidat für die Nationalratswahl und ehemalige hohe Repräsentant
in Bosnien-Herzegowina, Wolfgang Petritsch, eine weitere Kriegsgefahr in der Region "durch den Wegfall der
beiden Hauptakteure Milosevic und Tudjman" aus. Bosnien-Herzegowina sei zudem mittlerweile von seinen Nachbarn,
allen voran Belgrad, anerkannt. Es gelte aber weiterhin, wichtige Schritte der Emanzipation vom Krieg zu setzen.
Eine der Hauptaufgaben sei es, die Institutionen zu stärken. Kritik übte Petritsch an den Reaktionen
der internationalen Medien auf die Wahlen im vergangenen Oktober: Der Sieg der nationalistischen Parteien habe
negative Vorurteile bestätigt, die wirklichen Gründe seien nicht hinterfragt worden.
Die Gründe für den Sieg der nationalistischen Parteien Bosnien-Herzegowinas seien vor allem in der Enttäuschung
jener Wähler zu suchen, die auf die unbefriedigend Situation im Land reagiert haben. Die letzte Regierung
habe nur zwei Jahre Zeit gehabt, um sich zu etablieren. Zudem erfordere die wirtschaftliche Situation einen Reformprozess.
Dazu seien die drei nationalistischen Parteien ein "konsolidierter Block", bei den europäisch orientierten
Parteien zeige sich deutlich eine Aufsplitterung nach west-europäischem Modell von Rechts-Links- und Mitteparteien.
Auch in den nationalistischen Parteien habe es große Veränderungen gegeben: Diese seien nur mehr tendenziell
nationalistisch, die Hauptprobleme würden in den korrupten Praktiken liegen.
Problematisch sei in diesem Zusammenhang auch die "Kurzatmigkeit" der internationalen Gemeinschaft, die
zwar erkannt habe, dass man mit militärischen Mitteln einen Krieg beenden könne, sich aber nicht die
Frage nach dem "Danach" gestellt habe: Auch in Friedenszeiten seien humanitäre Aktionen wichtig,
bisher habe sich die internationale Gemeinschaft hier nicht allzu sehr hervorgetan, sagte Petritsch.
Der Wandel in Bosnien-Herzegowina sei ein zweifacher gewesen: Einerseits weg vom Krieg hin zum Frieden, andererseits
von einem kommunistischen System zu einer demokratischen Gesellschaft. Unterstützt werden müsse dieser
Wandel sowohl von einer regionalen Veränderung als auch von einer stärkeren Einbindung Bosnien-Herzegowinas
in die internationale Kooperation. So sei etwa die Schaffung eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes Vorraussetzung
für Bosniens Selbstständigkeit, betonte Petritsch.
Europa müsse stärker politisch präsent sein und eine europäische Perspektive anbieten. Derzeit
herrsche in Europa allerdings noch eine große Skepsis angesichts der staatlichen Institutionen Bosnien-Herzegowinas,
gab Petritsch zu bedenken.
Die internationale Gemeinschaft müsse sich "sukzessive zurückziehen", forderte Petritsch -
man müsse die Eigenverantwortung Bosniens fördern. Ein zweites Dayton sei nicht sinnvoll: "Bosnien
hat sich jetzt klar von Dayton verabschiedet. Lassen wir die Dinge sich weiterentwickeln". Vorraussetzung
dafür sei eine Stärkung der Zivilgesellschaft, unterstrich Petritsch. |