Genetischer Risikofaktor für Typ 2 Diabetes gefunden | ||
Chancen für neue Therapieformen und Gentests Braunschweig (pte) - Eine einzige genetische Abweichung ist für rund 15 Prozent aller Diabetes Typ 2 Fälle verantwortlich. Mit dieser Entdeckung haben Forscher der Technischen Universität Braunschweig den laut eigenen Angaben wichtigsten genetischen Risikofaktor für eines der dringendsten Probleme des 21. Jahrhunderts entschlüsselt. Es eröffnen sich damit Chancen für neue Therapieformen und Gentests. Experten rechnen bis 2030 mit einer Verdoppelung der Diabetiker auf mehr als 300 Mio. Patienten. Typ 2 Diabetes, an dem mehr als 90 Prozent der Betroffenen leiden, ist durch einen relativen Mangel an Insulin bedingt. Das heißt, die relative Menge des freigesetzten Insulins ist unzureichend. In fast allen Fällen geht die Krankheit mit Übergewicht einher - Erblindung, der Verlust eines Beines, Nierenversagen oder Herzinfarkt drohen. Es wird seit längerem vermutet, dass auch eine erbliche Veranlagung die Stoffwechselstörung begünstigt. Bislang wurden rund zehn bis 20 genetische Abweichungen (Polymorphismen) als mögliche Auslöser gehandelt. Christina und Mathias Schwanstecher vom Institut für Pharmakologie und Toxikologie der TU Braunschweig haben jetzt einen der wichtigsten aufgedeckt und die Ergebnisse in der Dezember-Ausgabe von "Diabetes" (Vol. 51, Supplement 3, Dezember 2002) publiziert. Den Einfluss von Polymorphismen untersuchte das Schwanstecher-Team in einem Zellbestandteil, der eine Schlüsselrolle bei der Ausschüttung der Hormone Insulin und Glucagon besitzt, dem so genannten ATP-sensitiven Kaliumkanal. Dabei zeigte sich, dass eine Abweichung in Position 23 der Aminosäurekette zu einer wesentlichen Änderung der Eigenschaften führt. Liegt dort die Aminosäure Lysin anstelle von Glutamat vor, so ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass der Kanal in seinen geöffneten Zustand fällt: Die Freisetzung von Insulin wird gehemmt. Die Ausschüttung von Glucagon stimuliert. Da beide Hormone gegensinnig wirken, trägt beides zu einem Anstieg des Blutzuckers bei: Das Risiko für Diabetes steigt. Das Forscherpaar Schwanstecher sieht in der Identifizierung des Polymorphismus eine wichtige Basis für bessere Behandlungsformen. "Möglich werden zum Beispiel Gentests zur Erstellung eines persönlichen Risikoprofils, das jedem Patienten seine Veranlagung für Typ 2 Diabetes aufzeigt. Wer bei starker genetischer Belastung Übergewicht vermeidet, könnte dadurch den Ausbruch der Krankheit meist dennoch verhindern", erklärte Mathias Schwanstecher. "Arzneimittel könnten direkt auf den ATP-sensitiven Kaliumkanal einwirken und der Erhöhung des Blutzuckers damit entgegensteuern." Da der ATP-sensitive Kaliumkanal nicht nur in den für Diabetes wichtigen Zellen der Bauchspeicheldrüse, sondern auch in Herzmuskel- und Gehirnzellen vorkommt, könnten die Erkenntnisse auch positive Auswirkungen für die Behandlungen anderer Erkrankungen wie Herzrhythmusstörungen und epileptische Anfälle haben. Wie sich zeigte, tragen rund etwa 60 Prozent aller Mittel- und Nordeuropäer, Nordamerikaner und Japaner genau den vom Forscherehepaar Schwanstecher untersuchten Polymorphismus in ihrem Erbgut. Die meisten haben ihn aber nur von einem Elternteil ererbt. Sie sind im Vergleich zu Menschen ohne diese Abweichung mit einem nur geringfügig höheren Risiko belastet. Elf Prozent tragen den Polymorphismus von beiden Eltern. Sie werden mit einer etwa doppelt so hohen Wahrscheinlichkeit an Diabetes Typ 2 erkranken, so die Forscher. Die nahezu identischen Häufigkeiten dieser Abweichung in den verschiedenen Bevölkerungen sind für die Wissenschaftler ein starkes Indiz dafür, dass es sich hier um den ersten balancierten Polymorphismus mit weltweiter Verbreitung handelt. Das heißt, dass die Häufigkeit der Abweichung durch den Selektionsdruck in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit weitgehend konstant gehalten wurde. |
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