Neue Behandlungsmethode für unangenehmes Leiden
Bonn (alphagalileo) - Stetig schwimmende Augen können auf einen Engpass in den Tränenkanälen
hindeuten. Etwa fünf Prozent aller Patienten, die in eine Augenklinik kommen, klagen über den lästigen
Tränenfluss, der ihre Sicht beeinträchtigt und in schweren Fällen sogar einen Wechsel des Arbeitsplatzes
erforderlich machen kann. Ein Mediziner an der Universität Bonn hat eine neue Methode entwickelt, dieses unangenehme
Leiden zu beheben: Mit einem haarfeinen Ballonkatheter weitet er die Einschnürung; in einigen Fällen
verhindert aber erst das Einbringen einer dünnen Leitschiene als Stütze (Stent), dass sich der Tränenweg
wieder verschließt.
„Dieses Übel ist eines der beschwerlichsten und unangenehmsten, und umso lästiger, als es nur durch eine
schmerzliche, höchst verdrießliche und unsichere Operation geheilt werden kann“, klagte schon Johann
Wolfgang von Goethe. Zu Lebzeiten des deutschen Dichterfürsten war das „Tränenträufeln“, fachsprachlich
Epiphora, nur chirurgisch zu beheben – durch einen relativ schweren Eingriff, bei dem die Mediziner eine Knochenlamelle
zwischen Auge und Nase durchbrechen mussten. Anschließend fädelten sie ein Pferdehaar in die abführenden
Tränenkanäle ein und bewegten es dort wie einen Pfeifenreiniger hin und her, um ein erneutes Verstopfen
des Tränenapparates zu vermeiden. Heute ersetzt ein Silikonschlauch das Pferdehaar, und die Operation wird
typischerweise unter Vollnarkose durchgeführt. Sie erfordert in der Regel einen mehrtägigen stationären
Aufenthalt.
Minikatheter ersetzt Pferdehaar
„Das muss auch anders gehen“, dachte sich Dr. Kai Wilhelm von der Universität Bonn schon 1994 und
sann auf eine schonendere Alternativ-Methode. Als Vorbild diente ihm die Behandlung verengter Blutgefäße:
Dabei schiebt man einen dünnen Schlauch, einen so genannten Katheter, unter Röntgenkontrolle durch die
verengte Ader zur Einschnürung vor und pumpt ihn dort auf, um das betroffene Gefäß zu weiten. Problem:
Die Tränenkanäle sind sehr viel dünner; so feine Ballonkatheter mussten erst noch konstruiert werden.
Dr. Wilhelm entwickelte daher einen speziellen Katheter, den er über die Tränenpünktchen, das sind
die kleinen Einmündungen oberhalb und unterhalb des inneren Augenwinkels, in die Tränenwege einfädeln
kann. Normalerweise dünner als ein Millimeter, lässt er sich auf bis zu drei Millimeter aufblasen, um
den Verschluss zu sprengen. „Neuerdings verfügen wir auch über eine Stütze, die den Tränenapparat
schient. Diesen so genannten Stent können wir für ungefähr einen Monat im Tränenapparat belassen.
Er verhindert, dass die Tränenwege nach der Behandlung wieder zusammenschnurren“, erklärt der Neuroradiologe.
Der Eingriff erfolgt ambulant unter lokaler Betäubung; den richtigen Sitz von Katheter oder Stent sowie den
Erfolg der Behandlung überprüft Wilhelm dann auf dem Röntgenbild.
Über 180 Patienten hat der Radiologe bereits mit der neuen Methode behandelt – mit hervorragendem Erfolg:
In über 80 Prozent der Fälle konnte er die Verengung dauerhaft beseitigen. Der neue Tränenwegsstent
verspricht nun auch dann Erfolg, wenn die Tränenwege durch das umgebende Gewebe sofort wieder zusammengedrückt
werden. Die Krankenkassen zahlen das Verfahren noch nicht; dazu ist es wohl noch zu neu. Doch die Methode hat sich
bereits herumgesprochen. Dr. Wilhelm: „Wir behandeln täglich bis zu zwei Patienten.“
Frauen sind häufiger betroffen
Grund für den lästigen Tränenfluss ist meist eine chronische Entzündung der ableitenden Tränenwege.
Da sie vom inneren Augenwinkel durch einen knöchernen Gang zur Nase führen, können sie sich nicht
beliebig ausdehnen, sondern schwellen zu. Die Tränen können nicht mehr abfließen; die Augen schwimmen
permanent wie nach einer Motorrad-Fahrt im Gegenwind. Frauen sind häufiger betroffen als Männer: Ihre
Tränenwege sind feiner; außerdem können mit dem Lidschatten Pigmente in die Kanälchen gelangen
und sie reizen. Ist der Durchgang einmal verstopft, können auch über Augentropfen keine Wirkstoffe mehr
dorthin gelangen.
Um auch Kollegen in der neuen Technik trainieren zu können, hat der Privatdozent von Experten am Forschungszentrum
caesar ein naturgetreues Kopfmodell entwickeln und herstellen lassen (siehe Abbildung). Daran können die Mediziner
üben, den Katheter in die winzigen Ausgänge der Tränenwege einzufädeln. Am 14. und 15. November
findet zu dieser Thematik unter der Leitung von Dr. Wilhelm und in Kooperation mit der europäischen Gesellschaft
für Interventionelle Radiologie ein Workshop statt. |