Christoph Schönborn: Keine Norm garantiert Schutz der Menschenwürde
Wien (pk) - Am Freitag (21. 11.) Nachmittag wurde das Hearing im
Österreich-Konvent mit dem Themenbereich Kirchen und Religionsgemeinschaften fortgesetzt. Der Beschluss des
Präsidiums, die in Österreich anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften anzuhören, zeuge von
dem Bewusstsein, dass ein Zusammenleben aller Bürger in Freiheit, gegenseitiger Achtung und Toleranz die Sinnfindung
und Orientierung an einer transzendenten Ordnung miteinschließe, meinte Walter Hessler (Neuapostolische
Kirche). Sodann nannte er jene Punkte, die für die Neuapostolische Kirche von Bedeutung sind. Das höchste
Gebot der Christen sei, Gott von ganzem Herzen zu lieben und den Nächsten wie sich selbst. Die Sinnorientierung
hin auf Gott sei ein Quell für eine gedeihliche Entwicklung in diesem Land, war Hessler überzeugt, deshalb
solle dieser Bezug auch in die Verfassung aufgenommen werden. Weiters sollte auch das Recht auf ein würdiges
Leben für alle Menschen, das Recht auf ein menschenwürdiges Sterben, der Schutz vor Experimenten am Menschen
(Stichwort: reproduktives Klonen), der Schutz vor einer Zerstörung des Menschen sowie der Schutz der Natur
verankert werden.
Christoph Schönborn (Katholische Kirche) dankte zunächst dem Konvent, dass er den Kirchen die
Möglichkeit eröffnet hat, durch eine Präsentation ihrer Beiträge an der Verfassungsdiskussion
mitzuwirken, und dadurch eine ständige dialogische Begleitung des Vorhabens ermöglicht. In den Mittelpunkt
seiner Ausführungen zu den Grundrechten stellte der Erzbischof den Schutz der Menschenwürde. Das Prinzip
der Achtung der Menschenwürde müsste als allgemeiner Wertungsgrundsatz der Rechtsordnung gelten, betonte
Schönborn und erinnerte daran, dass es derzeit noch keine Norm gibt, die ausdrücklich den Schutz der
Menschenwürde garantiert.
Schönborn empfahl deshalb die Aufnahme eines entsprechenden Grundrechts, etwa nach dem Muster: "Die Würde
des Menschen ist unantastbar, zu achten und zu schützen". Dies würde, wie er erklärte, auch
Schutzpflichten im Bereich der Medizinethik oder der Biotechnik bringen.
Peter Karner (Evangelische Kirche H.B.) trat wie Schönborn für die Verankerung eines umfassenden
Grundrechtskatalogs ein und wünschte zusätzlich zum Schutz der Menschenwürde noch weitere Grundrechte:
Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit, Sicherung und Förderung der Grundfreiheiten und Menschenrechte
einschließlich der sozialen Grundrechte und der Gleichbehandlungsrechte sowie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
Die Kirchen halten insbesondere die Verankerung sozialer Grundrechte für unverzichtbar, betonte er. Kritisch
merkte Karner an, dass Österreich hinsichtlich der Rechte des Kindes säumig sei.
Robert Freihsl (Altkatholische Kirche) drängte auf eine Neugestaltung des Verhältnisses zwischen
den Gebietskörperschaften im Geiste des Föderalismus und des neuen europäischen Regionalismus und
sprach sich insbesondere für eine Neugestaltung der Finanzverfassung und des Finanzausgleiches aus. Die Kirchen
würden in der Verfassungsdiskussion das Prinzip der Subsidiarität vertreten, stellte Freihsl klar.
Michael Staikos (Griechisch-Orientalische Kirche) sah den Staat gefordert, eine Friedensordnung sicherzustellen,
Verantwortung in der Schöpfung zu garantieren, Vorsorge für innere und äußere Sicherheit zu
gewährleisten und Nachhaltigkeit in der wirtschaftlichen Entwicklung sowie Wohlstand zu ermöglichen.
Wichtig war für Staikos auch die Anerkennung und Förderung der religiösen, kulturellen, sprachlichen
und ethnischen Vielfalt, was für ihn mehr als Duldung und Toleranz bedeutete. Für die Kirchen sei der
Schutz der Minderheiten über das bloße Staatsziel hinaus unverzichtbarer Baustein des Verfassungsrechts,
betonte er. Was den Schutz des kulturellen Erbes betrifft, kam Staikos auf die Sonntagsruhe zu sprechen, die seiner
Meinung nach absolut zu wahren sei.
Lothar Pöll (Methodistenkirche) drängte darauf, Bildung und Weiterbildung als Staatsziel zu verankern,
und zwar unabhängig von ökonomischer Nützlichkeit. Er ging dabei von einer ganzheitlich konzipierten
Bildung aus, die zu möglichst umfassender Entfaltung des Menschseins im Sinne der Befähigung zu verantwortlicher
Selbstbestimmung beiträgt. Ein weiteres Anliegen Pölls war die verfassungsrechtliche Garantie der Führung
von Privatschulen und deren Förderung durch den Staat.
Emanuel Aydin trat als Sprecher für die Armenisch-Apostolische Kirche und die Syrisch-Orthodoxe
Kirche für die Verankerung einer umfassenden Religionsfreiheit ein, die auch das Recht auf den Wechsel
des Religionsbekenntnisses und die Befreiung vom Wehrdienst aus religiösen Gründen miteinschließt.
Anba Gabriel (Koptisch-Orthodoxe Kirche) verlangte gleiche Rechtspositionen für alle Kirchen und Religionsgemeinschaften
als Körperschaften des öffentlichen Rechts. Dadurch sollen die Kirchen vor allem in die Lage versetzt
werden, vertragliche Regelungen mit dem Staat einzugehen und Beiträge von ihren Mitgliedern einheben zu können.
Herwig Sturm (Evangelische Kirche A.B.) trat für einen offenen, transparenten und regelmäßigen
Dialog zwischen dem Staat und den Kirchen ein nach dem Prinzip "freie Kirche in einem freien Staat".
Zur Diskussion um eine Präambel meinte er, das christliche Erbe schließe andere Quellen nicht aus. Der
kirchliche Beitrag bedürfe aber der Pflege und Anerkennung, weil der Staat von Voraussetzungen lebt, die er
selbst nicht schaffen kann, sagte Sturm.
Carla Amina Baghajati (Islamische Glaubensgemeinschaft) bezeichnete die gesetzlichen Rahmenbedingungen für
den Islam in Österreich als außerordentlich integrationsfreundlich und begrüßte insbesondere
das Prinzip der inneren Autonomie, das sie auch in einer neuen Verfassung verwirklicht sehen wollte. Sie plädierte
für einen Dialog auf Basis der Gleichwertigkeit und meinte, der Islam sollte nicht nur rechtlich anerkannt,
sondern auch gesellschaftlich akzeptiert werden. Außer Streit stand dabei für die Rednerin die Vereinbarkeit
des muslimischen Glaubens mit den Werten von Demokratie, Pluralismus, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten.
Was eine Präambel betrifft, bemerkte sie, die Verfassung sollte nicht nur das religiöse Bekenntnis der
Mehrheitsbevölkerung reflektieren. Sie erinnerte zudem in diesem Zusammenhang an den Beitrag des Islam zur
europäischen Kultur und Wissenschaft.
Thomas Schärf (Israelitische Kultusgemeinde) unterstrich, die Religionsfreiheit dürfe in einer
neuen Verfassung keinerlei Abbruch erfahren. Er trat insbesondere dafür ein, der korporativen Komponente Rechnung
zu tragen und dabei nicht auf Größenschranken abzustellen. Kritisch merkte Schärf an, dass nach
der derzeitigen Gesetzeslage Juden an ihren höchsten Feiertagen kein Recht auf Arbeitsruhe haben. Als unerlässlich
bezeichnete es Schärf überdies, das Verbot neonazistischer Betätigung und damit korrelierender Strafbestimmungen
auch weiterhin fortzuschreiben.
Peter Riedel (Buddhistische Religionsgemeinschaft) hielt eine Verfassungspräambel für entbehrlich
und ersuchte den Konvent, den Begriff Gott nicht in der Verfassung zu verankern. Dies würde bloß die
Gefahr von neuen Missverständnissen, Auseinandersetzungen und Konflikten über den Gottesbegriff mit sich
bringen, warnte Riedel.
Max Nemec (Kirche Jesu Christi) bekannte sich zur vollständigen Glaubensfreiheit und zur Berücksichtigung
aller Religionsgemeinschaften. Besondere Anliegen des Redners waren die Wahrung des arbeitsfreien Sonntags und
die Verankerung von Ehe und Familie in der Verfassung. Seiner Meinung nach sollten sämtliche Maßnahmen
gefördert werden, die die Familie als Grundeinheit der Gesellschaft bewahren und stärken. |