ETH-Forscher verbessern die Strukturanalyse fester und zähflüssiger Biomaterialien
Zürich (alphagalileo) - Die mechanischen Eigenschaften von Spinnenseide sind beeindruckend und
übertreffen diejenigen künstlich hergestellter Materialien. Nun haben Forschende der ETH Zürich
in einem Nationalfonds-Projekt mit Hilfe einer neuen Methode der NMR-Spektroskopie die komplizierte Struktur der
Spinnenseide genauer charakterisiert.
Wenn die Spinne ihr Netz aufspannt, dann erzeugt sie mit ihren Drüsen einen Faden, der sämtliche Kunstfasern
in den Schatten stellt. Spinnenseide ist elastisch und reissfest zugleich, sie ist leicht und weist je nach dem,
für was sie gebraucht wird, andere mechanische Eigenschaften auf. Viele Versuche wurden unternommen, um dieses
vielseitige Material zu kopieren. Doch noch immer ist es ein Rätsel, wie die Spinnentiere dieses Meisterwerk
vollbringen.
Forschende der ETH Zürich haben nun in einem Nationalfonds-Projekt zusammen mit einer englischen Gruppe die
Struktur der Spinnenseide genauer charakterisiert. Dies gelang ihnen dank speziellen Methoden der magnetischen
Kernresonanz-Spektroskopie (NMR)*, mit denen sowohl feste Biomaterialien als auch zähflüssige organische
Lösungen analysiert werden können.
Prinzip hinter der Unordnung
„Wie viele andere Biomaterialien hat die Spinnenseide keine hochgeordnete kristalline Struktur, sondern
enthält viele wenig geordnete oder ungeordnete Bereiche“ erklärt Beat H. Meier, Professor am Institut
für Physikalische Chemie der ETH Zürich. „Wir wollten nun wissen, nach welchem Prinzip diese ungeordneten
Bereiche aufgebaut sind.“ Chemisch gesehen besteht Spinnenseide aus langen Eiweissketten, die sich aus vielen Aminosäuren
zusammensetzen. Fast alle der 20 bekannten Aminosäuren konnten in der Spinnenseide nachgewiesen werden; zwei
davon, Alanin und Glycin, kommen besonders häufig vor.
Auf Grund von elektronenmikroskopischen Untersuchungen weiss man, dass Spinnenfäden aus einem Bündel
von Fibrillen bestehen. Jede einzelne Fibrille besteht aus vielen Eiweissketten mit einer Wechselfolge von alanin-
und glycinreichen Bereichen. Diese unterscheiden sich strukturell stark voneinander. Wie das Zürcher Forschungsteam
entdeckt hat, sind die Molekülketten in den alaninreichen Bereichen in ebenen Faltblattstrukturen angeordnet;
es handelt sich also um sehr kleine kristalline Zonen im Seidenfaden. In den glycinreichen Bereichen bilden die
Eiweissketten hingegen spiralförmige Strukturen, die nicht streng regelmässig angeordnet sind.
Bemerkenswert ist, dass sich die Eiweissketten völlig anders anordnen, wenn man das flüssige Sekret der
Spinnendrüse auf einer Glasplatte fest werden lässt. „Der Spinnvorgang ist offensichtlich zentral“, erklärt
Meier. „Die Struktur des Fadens wird nicht nur durch die Primärstruktur der Eiweisse vorgegeben, wie man lange
dachte, sondern wird mindestens ebenso stark durch den Verarbeitungsprozess geprägt. Deshalb ist es auch so
schwierig, Spinnenseide künstlich herzustellen.“
NMR-Methode weiterentwickeln
Die Forscher an der ETH interessiert aber nicht nur die Struktur der Spinnenseide. „Wir möchten mit
diesen Arbeiten auch die NMR-Methodik weiterentwickeln“, meint Meier. Mit der NMR lässt sich die räumliche
Struktur von grossen Molekülen bestimmen, ohne dass diese als Kristall vorliegen müssen.
„Wenn man einen Festkörper untersucht, treten bei der NMR-Analyse jedoch Schwierigkeiten auf, da es sehr viele
Wechselwirkungen gibt und die gemessene Signale sehr komplex werden“, erklärt Meier. „Mit einer einfachen
NMR-Messung erhalten wir so viele Informationen, dass die Interpretation fast unmöglich ist. Durch gezielte
experimentelle Manipulationen kann diese Informationsmenge jedoch soweit reduziert werden, dass Aussagen über
die Struktur des Festkörpers möglich werden.“
Damit gewisse NMR-Wechselwirkungen ausgemittelt werden können, rotieren die Forscher ihre Proben um eine Achse,
die in einem bestimmten Winkel zur Richtung des angelegten Magnetfelds steht. Bis zu 50'000 Mal pro Sekunde dreht
sich die kleine zylinderförmige Probenkapsel während der Messung. Zusätzlich kann das Material Tausenden
von kurzen Radiopulsen ausgesetzt werden, die mit dem magnetischen Moment der Atomkerne wechselwirken. Behandelt
man die Probe auf diese Weise, registriert man bei der Analyse nicht mehr ein breites Signalspektrum, sondern einzelne
diskrete Signale. Erst so wird es möglich, die Form und Anordnung der Moleküle aus den NMR Spektren zu
bestimmen.
Das Zürcher Forschungsteam hat nun gefunden, dass dieses Verfahren auch bei den hochkonzentrierten Lösungen
aus der Drüse der Spinne angewendet werden kann. „Mit diesem Verfahren haben wir nun einen Weg gefunden, wie
man solche Lösungen ebenfalls besser analysieren kann“, berichtet Meier.
Neue Einsichten über den Spinnprozess
Der Chemiker möchte nun untersuchen, welche Struktur die Moleküle in den Drüsen der Spinnen
aufweisen. Damit hofft er, neue Einsichten über den Spinnprozess zu gewinnen. Die Flüssigkeit in den
Drüsen enthält bis zu dreissig Prozent Eiweiss-Moleküle. Warum sich diese proteinreiche Lösung
im Körper der Spinnen nicht verfestigt, sondern von den Tieren zu einem feinen Faden verarbeitet werden kann,
ist ein Rätsel, das es ebenfalls noch zu lösen gilt. |