Brüssel (eu.int) - Die Europäische Kommission hat am Dienstag (18. 11.)
eine Richtlinie vorgeschlagen, die die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften innerhalb der EU, die durch die
unterschiedlichen innerstaatlichen Regelungen erschwert wird, erleichtern soll. Die Richtlinie soll vor allem kleinen
und mittleren Kapitalgesellschaften helfen, die über ihren eigenen Mitgliedstaat hinaus tätig sein wollen,
nicht aber unionsweit und deshalb kaum von der Möglichkeit Gebrauch machen dürften, eine Europäische
Aktiengesellschaft (SE) zu gründen. Nach dem im Richtlinienvorschlag geregelten Verfahren sollen für
Verschmelzungen die in dem betreffenden Mitgliedstaat für solche Vorgänge im Inland geltenden Grundsätze
und Vorschriften maßgebend sein. Die Richtlinie schließt eine wichtige Lücke im Gesellschaftsrecht.
Sie ist die erste Maßnahme, die die Kommission auf der Grundlage ihres im Mai 2003 angenommenen Aktionsplans
zum Gesellschaftsrecht und zur Corporate Governance in der Europäischen Union vorlegt (vgl. IP/03/716 und
MEMO/03/112). Über den Richtlinienvorschlag beraten der EU-Ministerrat und das Europäische Parlament
im so genannten Mitentscheidungsverfahren, in dem der Rat mit qualifizierter Mehrheit entscheidet.
Binnenmarkt-Kommissar Frits Bolkestein kommentierte den Richtlinienvorschlag mit folgenden Worten: "Wenn wir
grenzübergreifende Verschmelzungen einfacher machen, leisten wir damit einen wichtigen Beitrag zur Stärkung
der Wettbewerbsfähigkeit Europas, für die Unternehmenskooperationen und -umstrukturierungen notwendig
sind. Verschmelzungen von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten sind derzeit schwierig, wenn
nicht gar unmöglich. Dieser Vorschlag soll Abhilfe schaffen. Gleichzeitig muss dafür gesorgt werden,
dass solche Verschmelzungen nicht missbraucht werden, um innerstaatliche Arbeitnehmerrechte zu umgehen. Die Richtlinie
sollte zügig erlassen werden, da es nach der Erweiterung für Unternehmen noch wichtiger sein wird, über
die Landesgrenzen hinaus kooperieren zu können."
Nach dem derzeitigen Stand des EU-Rechts sind Verschmelzungen auf europäischer Ebene nur zwischen Unternehmen
aus bestimmten Mitgliedstaaten möglich. In anderen Mitgliedstaaten sind fusionswillige Unternehmen gezwungen,
zu komplexen, kostspieligen juristischen Konstruktionen zu greifen. Diese Arrangements komplizieren den gesamten
Vorgang und werden nicht immer mit der gebotenen Transparenz und Rechtssicherheit vollzogen. Zudem haben sie in
der Regel die Auflösung der einbringenden Gesellschaft zur Folge, was hohe Kosten verursachen kann.
Der vorliegende Vorschlag, der für alle Kapitalgesellschaften (Aktiengesellschaften, GmbHs usw.) gilt, will
grenzübergreifende Verschmelzungen vereinfachen, indem die für solche Vorgänge maßgebenden
Regelungen stärker den Vorschriften angepasst werden, die für Verschmelzungen zwischen Gesellschaften
gleichen Rechts gelten. Das bedeutet, dass jede an einer grenzübergreifenden Verschmelzung beteiligte Gesellschaft
nach dem Recht ihres eigenen Mitgliedstaats verfahren würde, mit dem sie ohnehin vertraut ist (hiervon ausgenommen
sind bestimmte in der Richtlinie geregelte Fälle, die mit dem grenzübergreifenden Aspekt der Fusion zusammenhängen).
Die nach innerstaatlichem Recht bestehenden Schutzgarantien für Gläubiger, Anleihegläubiger und
Inhaber von anderen Wertpapieren als Aktien sowie für Minderheitsgesellschafter und Arbeitnehmer werden durch
die Richtlinie bestätigt.
Im besonderen Fall der Arbeitnehmerrechte gilt das innerstaatliche Recht, das für die aus der Verschmelzung
hervorgegangene Gesellschaft maßgebend ist. In einem Mitgliedstaat, das ein Mitbestimmungsrecht kennt, gilt
dieses Mitbestimmungsrecht auch in dem betreffenden Unternehmen. Ist das neue Unternehmen hingegen in einem Mitgliedstaat
ohne eine entsprechende Regelung gegründet worden, muss ein Mitbestimmungsrecht nicht eingeführt werden.
Anders liegt der Fall, wenn zumindest eines der an der Verschmelzung beteiligten Unternehmen in seinem Herkunftsstaat
der Mitbestimmung unterlag und das neue Unternehmen nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet werden soll,
das keine Mitbestimmung kennt. Nach dem Vorbild des SE-Statuts muss dann eine Mitbestimmungsregelung ausgehandelt
werden (vgl. Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen
Gesellschaft und die ergänzende Richtlinie 2001/86/EG des Rates vom 8. Oktober 2001). Nur wenn die Verhandlungen
scheitern, würde als Auffanglösung die vorher bestehende Mitbestimmungsregelung übernommen.
Unterlagen die Unternehmen vor der Fusion der gesetzlichen Mitbestimmung, können sie beschließen, das
aus ihrer Fusion hervorgegangene neue Unternehmen in einem Mitgliedstaat zu gründen, in dem eine sehr viel
lockere Mitbestimmungsregelung besteht. In diesem Fall müssen sie nicht das im SE-Statut vorgesehene Verhandlungsverfahren
bemühen.
Der Vorschlag ist im vollen Wortlaut auf folgender Website einsehbar:
http://europa.eu.int/comm/internal_market/de/company/company/news/index.htm
Unlängst hat die Kommission überdies einen ergänzenden Vorschlag zur Aktualisierung, Präzisierung
und Erweiterung der EU-Richtlinie 90/434/EWG vorgelegt, die einen Steueraufschub bei Fusionen, Spaltungen, der
Einbringung von Unternehmensteilen und dem Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten
betreffen, vorsieht (vgl. IP/03/1418).
Hintergrund
Bereits am 14. Dezember 1984 hatte die Kommission einen Vorschlag für eine Zehnte Richtlinie des Rates
über die grenzüberschreitende Verschmelzung von Aktiengesellschaften angenommen. Dieser Vorschlag wurde
vom Europäischen Parlament in mehreren Ausschüssen geprüft, u. a. im Rechtssausschuss, der seinen
Bericht am 21. Oktober 1987 vorlegte. Das Europäische Parlament nahm zu dem Richtlinienvorschlag jedoch nicht
Stellung, weil das Problem der Arbeitnehmermitbestimmung nicht gelöst werden konnte. Der Vorschlag, dessen
Geschick in dieser Frage mit dem SE-Statut verknüpft war, befand sich damit in der Sackgasse - diese Situation
dauerte mehr als 15 Jahre an.
Dieser erste Vorschlag für eine Zehnte Gesellschaftsrechtsrichtlinie wurde 2001 von der Kommission zusammen
mit weiteren seit Jahren anhängigen oder gegenstandslos gewordenen Vorschlägen zurückgezogen, um
zu einem späteren Zeitpunkt einen neuen Vorschlag auf der Grundlage der neuesten Entwicklungen des Gemeinschaftsrechts
vorlegen zu können.
Im Oktober 2001 wurden die Verordnung über das SE-Statut und die ergänzende Richtlinie über die
Beteiligung der Arbeitnehmer erlassen (vgl. IP/01/1376). In der Richtlinie ist eine Auffanglösung für
den Fall vorgesehen, dass sich die Unternehmensleitung und die Arbeitnehmervertreter nicht auf ein Mitbestimmungsmodell
einigen können. Damit war der Weg frei für einen neuen Vorschlag auf der Grundlage ähnlicher Prinzipien
zur Regelung grenzübergreifender Verschmelzungen. |