Gesellschaftsrecht: Kommission schlägt Richtlinie für Fusionen innerhalb der EU vor  

erstellt am
19. 11. 03

Brüssel (eu.int) - Die Europäische Kommission hat am Dienstag (18. 11.) eine Richtlinie vorgeschlagen, die die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften innerhalb der EU, die durch die unterschiedlichen innerstaatlichen Regelungen erschwert wird, erleichtern soll. Die Richtlinie soll vor allem kleinen und mittleren Kapitalgesellschaften helfen, die über ihren eigenen Mitgliedstaat hinaus tätig sein wollen, nicht aber unionsweit und deshalb kaum von der Möglichkeit Gebrauch machen dürften, eine Europäische Aktiengesellschaft (SE) zu gründen. Nach dem im Richtlinienvorschlag geregelten Verfahren sollen für Verschmelzungen die in dem betreffenden Mitgliedstaat für solche Vorgänge im Inland geltenden Grundsätze und Vorschriften maßgebend sein. Die Richtlinie schließt eine wichtige Lücke im Gesellschaftsrecht. Sie ist die erste Maßnahme, die die Kommission auf der Grundlage ihres im Mai 2003 angenommenen Aktionsplans zum Gesellschaftsrecht und zur Corporate Governance in der Europäischen Union vorlegt (vgl. IP/03/716 und MEMO/03/112). Über den Richtlinienvorschlag beraten der EU-Ministerrat und das Europäische Parlament im so genannten Mitentscheidungsverfahren, in dem der Rat mit qualifizierter Mehrheit entscheidet.

Binnenmarkt-Kommissar Frits Bolkestein kommentierte den Richtlinienvorschlag mit folgenden Worten: "Wenn wir grenzübergreifende Verschmelzungen einfacher machen, leisten wir damit einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Europas, für die Unternehmenskooperationen und -umstrukturierungen notwendig sind. Verschmelzungen von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten sind derzeit schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Dieser Vorschlag soll Abhilfe schaffen. Gleichzeitig muss dafür gesorgt werden, dass solche Verschmelzungen nicht missbraucht werden, um innerstaatliche Arbeitnehmerrechte zu umgehen. Die Richtlinie sollte zügig erlassen werden, da es nach der Erweiterung für Unternehmen noch wichtiger sein wird, über die Landesgrenzen hinaus kooperieren zu können."

Nach dem derzeitigen Stand des EU-Rechts sind Verschmelzungen auf europäischer Ebene nur zwischen Unternehmen aus bestimmten Mitgliedstaaten möglich. In anderen Mitgliedstaaten sind fusionswillige Unternehmen gezwungen, zu komplexen, kostspieligen juristischen Konstruktionen zu greifen. Diese Arrangements komplizieren den gesamten Vorgang und werden nicht immer mit der gebotenen Transparenz und Rechtssicherheit vollzogen. Zudem haben sie in der Regel die Auflösung der einbringenden Gesellschaft zur Folge, was hohe Kosten verursachen kann.

Der vorliegende Vorschlag, der für alle Kapitalgesellschaften (Aktiengesellschaften, GmbHs usw.) gilt, will grenzübergreifende Verschmelzungen vereinfachen, indem die für solche Vorgänge maßgebenden Regelungen stärker den Vorschriften angepasst werden, die für Verschmelzungen zwischen Gesellschaften gleichen Rechts gelten. Das bedeutet, dass jede an einer grenzübergreifenden Verschmelzung beteiligte Gesellschaft nach dem Recht ihres eigenen Mitgliedstaats verfahren würde, mit dem sie ohnehin vertraut ist (hiervon ausgenommen sind bestimmte in der Richtlinie geregelte Fälle, die mit dem grenzübergreifenden Aspekt der Fusion zusammenhängen).

Die nach innerstaatlichem Recht bestehenden Schutzgarantien für Gläubiger, Anleihegläubiger und Inhaber von anderen Wertpapieren als Aktien sowie für Minderheitsgesellschafter und Arbeitnehmer werden durch die Richtlinie bestätigt.

Im besonderen Fall der Arbeitnehmerrechte gilt das innerstaatliche Recht, das für die aus der Verschmelzung hervorgegangene Gesellschaft maßgebend ist. In einem Mitgliedstaat, das ein Mitbestimmungsrecht kennt, gilt dieses Mitbestimmungsrecht auch in dem betreffenden Unternehmen. Ist das neue Unternehmen hingegen in einem Mitgliedstaat ohne eine entsprechende Regelung gegründet worden, muss ein Mitbestimmungsrecht nicht eingeführt werden. Anders liegt der Fall, wenn zumindest eines der an der Verschmelzung beteiligten Unternehmen in seinem Herkunftsstaat der Mitbestimmung unterlag und das neue Unternehmen nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet werden soll, das keine Mitbestimmung kennt. Nach dem Vorbild des SE-Statuts muss dann eine Mitbestimmungsregelung ausgehandelt werden (vgl. Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft und die ergänzende Richtlinie 2001/86/EG des Rates vom 8. Oktober 2001). Nur wenn die Verhandlungen scheitern, würde als Auffanglösung die vorher bestehende Mitbestimmungsregelung übernommen.

Unterlagen die Unternehmen vor der Fusion der gesetzlichen Mitbestimmung, können sie beschließen, das aus ihrer Fusion hervorgegangene neue Unternehmen in einem Mitgliedstaat zu gründen, in dem eine sehr viel lockere Mitbestimmungsregelung besteht. In diesem Fall müssen sie nicht das im SE-Statut vorgesehene Verhandlungsverfahren bemühen.

Der Vorschlag ist im vollen Wortlaut auf folgender Website einsehbar:
http://europa.eu.int/comm/internal_market/de/company/company/news/index.htm

Unlängst hat die Kommission überdies einen ergänzenden Vorschlag zur Aktualisierung, Präzisierung und Erweiterung der EU-Richtlinie 90/434/EWG vorgelegt, die einen Steueraufschub bei Fusionen, Spaltungen, der Einbringung von Unternehmensteilen und dem Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, vorsieht (vgl. IP/03/1418).

Hintergrund
Bereits am 14. Dezember 1984 hatte die Kommission einen Vorschlag für eine Zehnte Richtlinie des Rates über die grenzüberschreitende Verschmelzung von Aktiengesellschaften angenommen. Dieser Vorschlag wurde vom Europäischen Parlament in mehreren Ausschüssen geprüft, u. a. im Rechtssausschuss, der seinen Bericht am 21. Oktober 1987 vorlegte. Das Europäische Parlament nahm zu dem Richtlinienvorschlag jedoch nicht Stellung, weil das Problem der Arbeitnehmermitbestimmung nicht gelöst werden konnte. Der Vorschlag, dessen Geschick in dieser Frage mit dem SE-Statut verknüpft war, befand sich damit in der Sackgasse - diese Situation dauerte mehr als 15 Jahre an.

Dieser erste Vorschlag für eine Zehnte Gesellschaftsrechtsrichtlinie wurde 2001 von der Kommission zusammen mit weiteren seit Jahren anhängigen oder gegenstandslos gewordenen Vorschlägen zurückgezogen, um zu einem späteren Zeitpunkt einen neuen Vorschlag auf der Grundlage der neuesten Entwicklungen des Gemeinschaftsrechts vorlegen zu können.

Im Oktober 2001 wurden die Verordnung über das SE-Statut und die ergänzende Richtlinie über die Beteiligung der Arbeitnehmer erlassen (vgl. IP/01/1376). In der Richtlinie ist eine Auffanglösung für den Fall vorgesehen, dass sich die Unternehmensleitung und die Arbeitnehmervertreter nicht auf ein Mitbestimmungsmodell einigen können. Damit war der Weg frei für einen neuen Vorschlag auf der Grundlage ähnlicher Prinzipien zur Regelung grenzübergreifender Verschmelzungen.
 
zurück