Kirchen veröffentlichen Sozialwort  

erstellt am
28. 11. 03

Kompass für soziales Denken und Handeln
Wien (epd Ö) - Das „Sozialwort“ haben Vertreter des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ) am Donnerstag (27. 11.) in Wien präsentiert. Darin nehmen die 14 Kirchen gemeinsam Stellung zu den sozialen und gesellschaftlichen Herausforderungen. Die Veröffentlichung bringt einen vierjährigen Prozess zum Abschluss. Am Sonntag (30. 11.), dem ersten Advent, werden die Kirchen in einer ökumenischen Vesper im Stephansdom das „Sozialwort“ „der Gesellschaft übergeben“, kündigte die Vorsitzende des Ökumenischen Rates, Christine Gleixner, bei der Pressekonferenz an.

Das „Sozialwort“ verstehe sich als „Kompass für soziales Denken und Handeln“, so Gleixner. Im Mittelpunkt stehe der Mensch als Ebenbild Gottes in einer Zeit der Umbrüche. Nun gelte es, das Gesagte zu vertiefen, zu erweitern und umzusetzen.

Für den stellvertretenden ÖRKÖ-Vorsitzenden, den evangelisch-lutherischen Bischof Herwig Sturm, ist das „Sozialwort“ ein Signal von Weihnachten. „Gott wurde Mitmensch, Leidensgenosse und Zeitgenosse“, sagte Sturm. Die Kirchen sehen sich herausgefordert, „Hoffnung zu geben in einer Gesellschaft, die Orientierung sucht“, sie fungieren als „Mund und Stimme der Ausgeschiedenen“. Zudem signalisiere das „Sozialwort“ als ökumenisches Projekt für das Verhältnis der Kirchen in Österreich: „Wir können miteinander, und wir bringen etwas weiter.“ Sturm zeigte sich davon überzeugt, dass das „Sozialwort“ positive Effekte für den sozialen Zusammenhalt der österreichischen Gesellschaft haben werde. Zugleich mahnte er aber auch die im Dokument enthaltene Selbstverpflichtung der Kirchen ein. Die Aussagen des "Sozialwortes" würden nur in Verbindung mit der Praxis der Kirchen glaubwürdig sein, so der Bischof. Deshalb hätten sich die Kirchen bei jedem Kapitel des „Sozialworts“ zu entsprechenden Initiativen verpflichtet. Sturm: „Wir reden nicht nur, sondern unser Reden ist auch durch das Engagement vieler Menschen und Gruppen gedeckt“.

Weiters plädierte der Bischof für mehr „Wahrhaftigkeit“ in der politischen Diskussion. Er erlebe in der gegenwärtigen Politik, „dass sehr viel verschleiert wird". Sturm: „Wenn wir aus Brüssel hören müssen, dass die LKW-Zählungen der Österreicher nicht mehr ernst genommen werden, weil so oft geschwindelt wird, dann muss ich mich fragen, in welchen Bereichen wir noch ‚eingenebelt’ werden". Gerade die Kirchen stünden daher für „Klarheit und Offenheit". Die österreichische Gesellschaft sei durchaus fähig, Probleme zu lösen, dazu müsse man aber „reinen Wein einschenken und dann miteinander gute Wege suchen".

Den ökumenischen Aspekt unterstrich auch der griechisch-orthodoxe Metropolit Michael Staikos. Das „Sozialwort“ habe „konfessionelle Vorhänge“ zum Fallen gebracht. Es sei „einmalig, dass alle Kirchen gleichberechtigt mit einer Stimme auftreten“. Das Sozialwort habe zudem gezeigt, dass das Fremde nichts Belastendes, sondern eine Bereicherung sei.

Der katholische Sozialbischof Maximilian Aichern sprach sich für eine „faire Austragung von Konflikten" und die Stärkung des sozialen Zusammenhaltes aus. „Dieser Zusammenhalt ist gefährdet, wo Menschen ausgegrenzt werden durch eine abwertende Sprache, wo Schwächere nicht zu ihrem Recht kommen, wo wirtschaftlicher Erfolg keine Rücksicht nimmt auf die Umwelt und die Rechte der Jugend und zukünftiger Generationen", so der Linzer Diözesanbischof.

Wie Diakonie-Direktor Michael Chalupka bei der Pressekonferenz meinte, wollen die Kirchen „weder den bestehenden Sozialstaat heiligen", noch „zu den Fanfaren des Reformismus noch einen Choral der Kirchen" singen. Vielmehr gehe es darum, im sozialen Zusammenhalt die Stärken zu optimieren und Fehlentwicklungen zu korrigieren. „Nächstenliebe und Solidarität können nicht gegeneinander ausgespielt werden“, sagte Chalupka. Gefragt seien „soziale Grundrechte, nicht Almosen“.

Das „Sozialwort“ ziele auf eine Neuorientierung der sozialen Praxis der Kirchen, erklärte der Leiter der Katholischen Sozialakademie, Alois Riedlsperger. Kennzeichnend sei die Verbindung zwischen Text und Initiative. „Wir wollen einen konkreten Beitrag zur Erneuerung der Gesellschaft leisten“, so Riedlsperger, der auch das Projekt koordiniert hatte. In einem Jahr soll dann Zwischenbilanz gezogen werden.

Für Beibehaltung eines umlagefinanzierten Pensionssystems, aber "laufender Reformbedarf" gegeben - Forderung nach "Sozialverträglichkeitsprüfung"
Die Kirchen in Österreich treten für einen starken Sozialstaat ein und äußern Bedenken gegen Tendenzen, soziale Absicherung zunehmend dem Einzelnen oder privaten Institutionen zu überlassen. Sozialstaatliche Einrichtungen, unter ihnen die Kranken- und Pensionsversicherungen, seien zwar immer wieder neu den gesellschaftlichen Entwicklungen anzupassen. Ihre Finanzierbarkeit sei aber in hohem Maße "eine Frage des politischen Willens und einer vernünftigen Verteilung der Lasten", heißt es im "Sozialwort des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich", das am Donnerstag in Wien vorgestellt wurde. Die Kirchen treten daher u.a. für die Beibehaltung eines umlagefinanzierten Pensionssystems ein, weil es wesentlich sicherer sei als private, vom Kapitalmarkt abhängige Versicherungssysteme. Dabei sei auch eine eigenständige Alterssicherung für Frauen vorzusehen.

"Der Zugang zu sozialen Dienstleistungen und deren Qualität muss für alle, unabhängig von Einkommen und Herkunft, gesichert werden", heißt es im "Sozialwort". Trotz gut ausgebauter sozialer Netze gebe es in Österreich fast eine Million Menschen, die am Rande der Armut leben oder arm sind. Man trete daher im Rahmen des für EU-Staaten verbindlichen Nationalen Aktionsplans zur Armutsbekämpfung (NAP) für eine Mindestsicherung für alle ein.

Die Kirchen verschließen sich nicht dem "laufenden Reformbedarf". Im Kapitel über "Soziale Sicherheit" heißt es im "Sozialwort": "Veränderungen sind notwendig, wenn sich die Verhältnisse ändern, wenn die Lebenserwartung steigt, und damit die Zahl der älteren Menschen im Verhältnis zu den aktiv Erwerbstätigen, wenn die Ausbildung länger dauert, die Zahl der tatsächlich geleisteten Arbeitsjahre geringer wird, und damit auf ein Beitragsjahr immer mehr Pensionsjahre entfallen." Im Bemühen um "solidarische Lösungen" dürften junge und ältere Menschen mit ihren jeweils berechtigten Anliegen aber nicht gegeneinander ausgespielt werden.

Steigenden Pflegebedarf absichern
Es sei notwendig, "für eine ausreichende finanzielle und infrastrukturelle Absicherung des steigenden Pflegebedarfs" vorzusorgen, wird weiter betont: durch Anpassung des Pflegegeldes sowie Ausbau der mobilen Pflegedienste, Tagesstätten und Hospizangebote. Weiters stellt sich das ökumenische "Sozialwort" hinter Forderungen nach einer "Sozialverträglichkeitsprüfung" für neue Gesetze. Im indirekten Zusammenhang mit der GATS-Diskussion plädiert das "Sozialwort" für die Sicherstellung des Zugangs "für alle" zu öffentlichen Gütern und Dienstleistungen wie Wasser- und Energieversorgung, öffentlicher Verkehr, Bildung und Gesundheit.

Für den kirchlichen Bereich betont das "Sozialwort" die "Option für die Armen" im Sinne einer Anwaltschaft zu Gunsten der Benachteiligten. In ihren eigenen Sozialeinrichtungen wie Caritas oder Diakonie wollen die Kirchen "ihre personellen und finanziellen Möglichkeiten" einsetzen, um Menschen in Notlagen rasch und wirksam zu helfen".

Der Veröffentlichung des Sozialworts war ein vierjähriger Prozess vorausgegangen: In Phase 1 hatte 522 soziale Initiativen und Einrichtungen der Kirchen in einer "Standortbestimmung" ihre konkrete Praxis reflektiert. In Phase 2 wurden die Ergebnisse in Form eines "Sozialberichtes" der Öffentlichkeit präsentiert und breit diskutiert. In Phase 3 wurde - auch auf der Grundlage dieses Diskussionsprozesses - das "Sozialwort des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich" (ÖRKÖ) gemeinsam erarbeitet. Dem ÖRKÖ gehören 14 christliche Kirchen östlicher und westlicher Tradition an.

Neben Fragen von Arbeit, Wirtschaft und sozialer Sicherheit widmet sich das gemeinsame Sozialdokument auch den Bereichen Friedenssicherung, Bildung, weltweite Gerechtigkeit, Verantwortung vor der Schöpfung, Ehe und Familie, Lebensschutz, der Gestaltung städtischer und ländlicher Lebensräume.

Sozialwort des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich
136 S., EUR 9,80; erhältlich u.a. bei BMK-Wartburg, Telefon: ++43 / (0)1 / 405 93 71

Informationen: http://www.sozialwort.at
 
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