Bonn (alphagalileo) - Einen ungewöhnlichen Fund haben Paläontologen der Universität Bonn
in den Tagebaugebieten bei Garzweiler gemacht. In der vom Bagger gerissenen Schneise entdeckten sie merkwürdige
Ansammlungen fossiler Nüsse. Ihre Theorie: Ein Hamster hatte in seinem Bau und den Gängen Nahrungsvorräte
angelegt, um in der kalten Jahreszeit davon zu knabbern – vor gut 17 Millionen Jahren. Damit wäre der Fund
die älteste Speisekammer, die je entdeckt wurde.
Dr. Carole Gee mit einem Lackabzug des Sedimentschnitts, auf dem die Lage der Nüsse
gut zu erkennen ist.
Foto: Universität Bonn |
Irgendwann verließ der eifrige Sammler seinen Bau und kam nie wieder. Vielleicht fiel er einem prähistorischen
Meuchelmord zum Opfer, vielleicht hatte auch eine Naturkatastrophe den Eingang zu seiner Höhle verschüttet.
Jedenfalls konnte die Bonner Paläontologin Dr. Carole Gee keine fossilen Hamsterreste entdecken, als sie die
Nussansammlungen genauer unter die Lupe nahm. Dennoch ist sie sich ihrer Sache ziemlich sicher: Die Lage der mehr
als 1.200 Nüsse erlaubt präzise Rückschlüsse auf die Größe des Baus und die Form
seiner Gänge. „Der Bau stammt mit Sicherheit von einem Nagetier, und zwar am wahrscheinlichsten von einem
großen Hamster oder möglicherweise einem Erdhörnchen“, folgert sie in einer Veröffentlichung
in der Zeitschrift Palaeontology zusammen mit ihren Mitautoren Dr. Martin Sander und Dr. Bianka Petzelberger.
Damals, im frühen Miozän, schwappte kurz vor Köln das Meer; die Nagetierhöhle lag im hinteren
Dünenbereich, der von Sträuchern und Blumen bewachsen war – in der Umgebung des Fundorts sind jedenfalls
zahlreiche fossile Wurzeln zu sehen. Die Nüsse stammen von einer ungewöhnlichen Baumart, die heute nur
noch an der nordamerikanischen Pazifikküste und in Ostasien vorkommt und die mit der südeuropäischen
Esskastanie verwandt ist. „Wir haben die Pflanzenfossilien in den Unikliniken mit einem Computertomographen untersuchen
lassen“, erklärt Dr. Gee. „Sie waren so gut erhalten, dass man den zweigeteilten Kern in der Schale deutlich
erkennen konnte.“
Das Klima war während des Miozäns viel wärmer als heute; im Rheinland lebten Krokodile, in den Urwäldern
tobten Affen, und bis weit in den Norden wuchsen Palmen. Die meisten heute lebenden Nagetiere legen aber nur dann
große Nahrungsvorräte an, wenn sie sich auf Hungermonate einstellen müssen – zum Beispiel in Regionen
mit strengen Wintern oder Trockenzeiten. „Vielleicht deuteten die prall gefüllten Speisekammern bereits den
klimatischen Wechsel zu ausgeprägteren Jahreszeiten an“, meint die Pflanzentaphonomin.
Als Pflanzentaphonomie bezeichnet man die möglichst umfassende Rekonstruktion der Umstände, die schließlich
zu den heutigen Fossilfunden führen. „An manchen Fundorten findet man beispielsweise nur fossile Früchte
oder Hölzer, aber keine Blätter“, erläutert Dr. Gee. Daraus darf man natürlich nicht folgern,
dass die Pflanzen früher keine Blätter hatten. Es müssen halt viele Zufälle zusammenkommen,
damit ein Zweig, eine Buchecker oder ein Eichenblatt an einem bestimmten Ort von Sediment begraben wird und Jahrmillionen
später als Versteinerung wieder auftaucht. „Bei einem leichten Blatt, das zudem sehr schnell verrottet, sind
das ganz andere Faktoren als bei einem robusteren Zweig oder bei Nüssen, die von einem Nager vergraben werden.“
Zur Lösung mancher Rätsel braucht man nur eine genaue Beobachtungsgabe. Zum Beispiel um zu klären,
warum fossile Früchte und Holzreste oft in linsenförmigen Ansammlungen zusammen mit grobem Sand zu finden
sind. „Mein Mann und ich fahren zusammen mit unseren Kindern des öfteren an die Sieg, um die angeschwemmten
Pflanzenreste zu untersuchen“, erzählt die Wissenschaftlerin. Bei einem dieser Ausflüge, kurz nach einem
Hochwasser, konnten sie feststellen, dass sich Pflanzenteile wie Zweige und holzige Früchte mit Wasser vollgesaugt
hatten und zusammen mit den Sandkörnern auf dem Flussgrund entlangrollten. „Sobald die Flut zurückgeht,
lagert sich alles in genau solchen Linsen am Ufer ab. Dagegen treiben leichtere Pflanzenteile wie Blätter
und Grashalme auf der Wasseroberfläche und bilden auf den Auenwiesen linienförmige Ansammlungen, wo sie
bald verrotten.“ |