Vranitzky: EU braucht mehr Politik, weniger Technokratie!
Wien (sk) - "Viele Menschen haben das Gefühle, in der EU steht das ökonomische und technokratische Denken im Vordergrund. Ich plädiere dafür, das politische Denken wieder mehr in den Vordergrund zu rücken", erklärte der ehemalige Bundeskanzler Franz Vranitzky bei einer Podiumsdiskussion mit EU-Kommissar Franz Fischler zum Thema "Europa auf dem Weg zum Verfassungsvertrag?". Moderiert wurde die Veranstaltung, die am Montag (02. 12.) in der Diplomatischen Akademie stattfand, von der Diplomatin Eva Nowotny. Positiv steht Vranitzky einer zukünftigen europäischen Verfassung gegenüber, jedoch sei Geduld und Vorsicht bei der Errichtung der verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen angebracht.

"Europa ist jetzt eine Großmacht", so Vranitzky, "es wird nicht nur schwierig eine gemeinsame Außenpolitik zu konzipieren, es ist die Immigrationsfrage, die Frage des Arbeitsmarktes, die Überalterung der Gesellschaft und die Frage anderer Kulturen, Sitten und Religionen zu lösen. Es geht darum, wie viel Toleranz die einzelnen Mitgliedstaaten aufbringen: Hier ist Politik gefragt!"

"Muskelschwund" ortet der ehemalige Bundeskanzler beim "Riesen EU" auch, wenn etwa Verhandlungen im Ecofin-Rat nur mehr fiskalistisch" und im Hinblick auf die Maastricht-Kriterien geführt werden. "Kaum jemand spricht über Wachstumspolitik", kritisierte Vranitzky. Natürlich könne man nicht alte nationalstaatliche Muster auf die EU parallel verschieben, aber Politik als gemeinsames Verständnis, müsse der EU neuen, notwendigen Schub geben, so Vranitzky.

EU-Kommissar Fischler betonte die zentralen künftigen Anliegen und Aufgaben der EU. Dies seien die Sicherung von Frieden und Stabilität, der Kampf gegen Arbeitslosigkeit, Armut und organisiertes Verbrechen, die Herstellung der Chancengleichheit von Frauen, grenzüberschreitender Umweltschutz sowie die Bewahrung der Vielfalt an Identitäten. Weiters müsse sich die EU ihrer Verantwortung als Weltmacht bewusst werden und sich darüber einigen, welches Modell sie in Zukunft anwendet. "Es wird nicht funktionieren, dass man nationalstaatliche Modelle auf EU-Ebene überträgt. Dies ist auch gleichzeitig unser Dilemma, weil es kein Referenzmodell für die EU gibt", zeigte sich Fischler mit Vranitzky einig.
 
zurück