Vor Kopenhagener Gipfel: Streit um Finanzpaket für die Erweiterung
Außenminister wollen offene Fragen weitgehend klären
Brüssel (aiz.info) - Unter starkem Zeitdruck wollen die 15 Außenminister der EU bei ihrer zweitägigen Sitzung am Montag und Dienstag (09. u. 10. 12.) in Brüssel versuchen, die meisten noch offenen "technischen" Fragen bei den Erweiterungsverhandlungen abzuschließen. Das strittige Finanzierungsangebot an die zehn Kandidatenländer werde dagegen voraussichtlich erst am EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag in Kopenhagen gehen, hieß es aus EU-Ratskreisen. Darauf bestehe vor allem Deutschland. Fünf der zehn Kandidatenländer (die baltischen Länder sowie Malta und Zypern) hätten das letzte dänische Finanzangebot bereits akzeptiert, während vor allem die vier Nettozahler (Deutschland, die Niederlande, Schweden und Großbritannien) in der EU es als "überhöht" einstufen. Polen ist nach wie vor unzufrieden mit dem dänischen Angebot und fordert einen höheren Haushaltsausgleich sowie Nachbesserungen bei den Agrarbeihilfen und Erzeugerquoten.

Die dänische Ratspräsidentschaft wird gemeinsam mit der EU-Kommission während des ganzen Montags mit den zehn Kandidatenländern individuell verhandeln, teilten EU-Diplomaten in Brüssel mit. Am Dienstag treffen die EU-Außenminister dann zu einer letzten Beitrittsrunde mit den Kandidatenländern zusammen. Die Außenminister werden am Montagnachmittag ferner über Nahost, Balkan und den Irak beraten.

Die Bandbreite der Diskussionen reicht von Ausnahmeregelungen für die in der EU verbotene Bären- und Luchsjagd in Estland und Litauen über die Bewilligung des Verzehrs dioxinhaltiger Fische und Heringe unter der EU-Norm in Estland über mehrwertsteuerfreie Produkte in Malta bis zum österreichischen Wunsch, die Vereinbarung mit Tschechien über das Atomkraftwerk Temelin in den Beitrittsvertrag aufzunehmen. Während Deutschland einen jährlichen Bericht der neuen Länder über nukleare Sicherheit unterstützen würde, lehnen andere EU-Staaten dies als Überschreitung der EU-Kompetenzen ab. Slowenien wiederum fühlt sich gegenüber den baltischen Ländern finanziell "ungerecht behandelt". Italien will über den zulässigen Zuckergehalt im Wein verhandeln. Österreich plant die Transitfrage nach dem erfolglosen Abbruch der Gespräche am Freitag bei der Außenministertagung nochmals aufs Tapet zu bringen.

Größter Knackpunkt ist Finanzpaket an die neuen Mitgliedsstaaten
Größter Knackpunkt bleiben die EU-Finanzofferte an die neuen Mitgliedsstaaten. Vor allem die Nettozahler in der EU, allen voran Deutschland, wollen den letzten dänischen Kompromissangeboten nicht folgen, während Nettoempfänger aus den EU-Kassen wie Portugal und Spanien zur Untermauerung eigener Ansprüche mehr Großzügigkeit gegenüber den Osteuropäern fordern. Die dänische EU-Präsidentschaft hatte am 25.11. "Kompromisspakete" für jeden der zehn Kandidaten vorgestellt. Diese Pakete wurden sofort von einer großen Mehrheit der Fünfzehn kritisiert, da die Gesamtkosten das auf dem Gipfel von Brüssel im Oktober geschnürte Finanzpaket um EUR 1,3 Mrd. überschreiten. Der dänische Vorsitz hat sie ungeachtet dieser Kritik ohne Änderungen den Kandidaten unterbreitet und hat sie sogar bei den Verhandlungen der letzten Woche im Bereich landwirtschaftliche Direktzahlungen und Haushaltsausgleich nachgebessert, nachdem es in den Kandidatenländern als "zu knausrig" kritisiert worden war. Zuletzt stockten die Dänen die Mittel für den Haushaltsausgleich der Tschechischen Republik, Slowenien, Malta und Zypern um EUR 300 Mio. für 2004 auf, so dass die Kandidaten mindestens EUR 1,6 Mrd. mehr erhalten würden, als beim Brüsseler EU-Gipfel im Oktober vereinbart.

Der dänische Vorsitz stecke in einer Zwickmühle, sagten EU-Ratskreise. Er müsse "Hiebe von allen Seiten" einstecken, denn praktisch alle Mitgliedsstaaten haben starke Vorbehalte. Das dänische Angebot sei "zu großzügig" und liege "an der Grenze des Annehmbaren", so Diplomaten. So komme der Tagung des Rates am Dienstag eine entscheidende Bedeutung zu, da die Außenminister zum Angebot des dänischen Vorsitzes Stellung nehmen müssen, hieß es aus Diplomatenkreisen.

Türkei wartet auf Datum für Beitrittsverhandlungen
Auch die strittige Datumsfrage für den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei und die Zypern-Frage wollen die Außenminister an den Gipfel "weiterreichen". Diplomaten gehen davon aus, dass Ankara nur dann ein Datum erhalten wird, wenn bis Kopenhagen eine Lösung für das Zypern-Problem gefunden ist. Allerdings ist noch nichts in Sicht. Weder griechische noch türkische Zyprioten haben bisher auf den UNO-Kompromissvorschlag zur Schaffung einer Föderation mit eigenen Regierungen für den griechischen und türkischen Inselteil reagiert. Der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder und Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac wollen Ankara die Aufnahme von Verhandlungen am 01.07.2005 anbieten, andere EU-Staaten sind gegen die Nennung eines konkreten Datums. Der Chef der türkischen Regierungspartei AKP, Recep Tayyip Erdogan, drängt auf Ende 2003.
 
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