Aktuelle Stunde spiegelt den Stand der Europa-Diskussion
Wien (pk) - Europa war das zentrale Thema der Sitzung des Nationalrats am Mittwoch (03. 12.).
Den Anfang machte dabei die Aktuelle Stunde, als deren Thema die Volkkspartei "EU-Regierungskonferenz - Stand
der Beratungen" gewählt hatte. Abgeordneter Dr. SPINDELEGGER (V) eröffnete die Debatte
und unterstrich, dass der heutige Tag ein wichtiger für Europa und Österreich sei. Der Nationalrat werde
nicht nur seine Zustimmung zu den Beitrittsverträgen geben, sondern auch die Verhandlungen der Regierungskonferenz
zu einer EU-Verfassung stünden an einer Schwelle.
Spindelegger zeigte sich außerordentlich erfreut darüber, dass es gelungen ist, nun doch über Veränderungen
gegenüber dem Konventsentwurf zu einer EU-Verfassung zu sprechen. Die Äußerungen der Kleinmütigkeit
seien nun verstummt und mittlerweile gebe es eine Liste von österreichischen Vorhaben, die mehr und mehr an
Bedeutung gewännen. Dies sei ein Erfolg der Hartnäckigkeit des Bundeskanzlers, sagte Spindelegger.
Das Ergebnis des Konvents könne sich durchaus sehen lassen, so der außenpolitische Sprecher der ÖVP,
mit einzelnen Punkten könne Österreich aber keinesfalls leben. So sei der Grundsatz des Gleichgewichts
aller Staaten auch weiterhin ernst zu nehmen, weshalb jedes Mitgliedsland in jeder Institution vertreten sein müsse.
Die Forderung Österreichs nach einem stimmberechtigten Kommissar für jedes Land werde zunehmend auch
von den großen Ländern mitgetragen. Ähnlich sei es in Bezug auf den Vorschlag zur Teampräsidentschaft,
über die nun ernsthaft nachgedacht werde. Ein weiterer Punkt von enormer Bedeutung sei die Daseinsvorsorge,
wo man europäische Regeln für die Wasserversorgung, Müllentsorgung und Abfallentsorgung habe aufstellen
wollen. Ein derartiger Eingriff in die Kompetenzen der Gebietskörperschaften sei untragbar und müsse
auch weiterhin bei diesen geregelt bleiben. Österreich wolle auch eine Neuverhandlung des Euratom-Vertrages
in einer eigenen Konferenz, bekräftigte Spindelegger.
Einen breiten Raum widmete der Redner auch der derzeitigen Diskussion über die Beistandspflicht, worüber
man seiner Meinung nach nachdenken sollte. Keinesfalls gehe es aber an, sofort mit "Keulenschlagargumenten"
zu kommen, ohne darüber zu diskutieren, ob eine solche Beistandpflicht nicht Vorteile für Österreich
bringen könnte. Jedenfalls sei es nicht konsequent, dass eine Gemeinschaft mit Binnenmarkt und gemeinsamer
Währung keine gemeinsame Verteidigungspolitik hat. Für Spindelegger bedeutet die Beistandspflicht keineswegs
den Anfang vom Ende der Neutralität.
Bundeskanzler Dr. SCHÜSSEL (V) betonte, dass sich in Europa mittlerweile die Erkenntnis durchgesetzt
habe, dass man den Konventsentwurf nachhaltig verbessern müsse, ohne ihn aber in der Substanz in Frage zu
stellen. Grundsätzlich zeigte sich der Kanzler zuversichtlich, dass man in wenigen Tagen bei den Schlussverhandlungen
zu einem politischen Gesamtpaket kommen werde und damit eine neue europäische Verfassung aus der Taufe heben
könne.
Schüssel ging in der Folge auf konkrete Punkte ein und zollte der Außenministerin Anerkennung dafür,
dass sie durch die Schaffung eines Netzwerkes eine deutliche Mehrheit zu Stande gebracht hat, die sich für
die Veränderung des Konventsentwurfs ausspricht. So trete in der Zwischenzeit die überwiegende Mehrheit
für einen stimmberechtigten Kommissar pro Mitgliedsland ein, jedoch mit begrenzter Zuständigkeit. Als
absolut sinnvoll und mittlerweile akzeptiert bezeichnete Schüssel die rechtliche Kontrolle der Beschlüsse
des Rates durch den EuGH. Als weiteren positiven Aspekt nannte der Bundeskanzler die Stärkung der Euro-Zone
durch die Verbesserung der Entscheidungsstrukturen innerhalb der Euro-Länder. Dies habe sich vor kurzem bei
der Diskussion um den Stabilitätspakt als notwendig erwiesen, den er, Schüssel, in der Substanz nicht
in Frage stellen wolle, der aber seiner Auffassung nach in der Flexibilität der Anwendung verbessert werden
müsse. Man brauche einen Stabilitäts- und Wachstumspakt mit Biss, so die Worte des Regierungschefs.
Schüssel thematisierte auch die Daseinsvorsorge, die die kommunalen Dienstleistungen betreffen, und berichtete
den Abgeordneten, dass die österreichischen Außenministerin einen Textvorschlag unterbreitet habe, gegen
den es bisher keinen Einspruch gegeben habe. Sollte dieser durchgehen, käme es zu einer gewaltigen Verbesserung
sogar gegenüber dem heutigen Status quo. Ferrero-Waldner hatte vorgeschlagen, dass ein europäisches Gesetz
über Grundsätze und Bedingungen die Kompetenz der Mitgliedsstaaten beachten müsse, solche Dienste
zur Verfügung zu stellen, in Auftrag zu geben oder zu finanzieren. Dies wäre für die Subsidiarität
ein großer Erfolg, sagte Schüssel. Der Außenministerin sei es auch gelungen, bei der rechtlichen
Basis für die Strukturfonds und die Kohäsionspolitik klar zu stellen, dass diese Politiken auch Fragen
der Grenzregionen und Berggebiete besonders zu beachten haben.
Der Bundeskanzler gab zu, dass es hinsichtlich der Revision des Euratom-Vertrags nur wenig Unterstützung gebe.
Zur europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik bemerkte er, dass man die vorliegenden Texte genau
ansehen müsse, wobei er die Kritik mit einschloss, dass man vorher nie darüber diskutiert habe. Der zweite
Text zur strukturierten Zusammenarbeit sei besser als der erste, Österreich wolle aber, dass die Prinzipien
im Rat entschieden werden. In Bezug auf die Beistandspflicht werde die militärische Komponente im zweiten
Text weniger betont. Grundsätzlich hält der Kanzler eine solidarische Hilfeleistung innerhalb der europäischen
Familie für sinnvoll und fügte hinzu, dass der zweite Textvorschlag in die richtige Richtung gehe. Jedenfalls
stelle dieser keine Entsorgung der Neutralität dar, da man ja bereits jetzt den Artikel 23f B-VG habe. Er
appellierte an die Opposition, in Gespräche darüber einzutreten, um eine gemeinsame österreichische
Position vorlegen zu können.
Abgeordneter Dr. FASSLABEND (V) hält die Erweiterung für bewältigbar, wenn es eine
neue Verfassung gibt. Als wesentliches Element dafür empfindet er die Gleichberechtigung und Vollberechtigung
aller Mitgliedstaaten in allen Institutionen. Als einen Erfolg der österreichischen Außenpolitik bewertete
Fasslabend die Tatsache, dass Österreich noch vor drei Jahren isoliert gewesen sei, diese Situation aber nicht
nur durchgestanden habe, sondern nun von mehr als zwei Dritteln als Sprecher einer Gruppe in Europa anerkannt werde.
Fasslabend meinte dabei unter anderem die Forderung Österreichs nach einem stimmberechtigten Kommissar für
jedes Land.
Der ÖVP-Politiker sprach sich auch für eine gegenseitige Beistandspflicht innerhalb der gemeinsamen Außen-,
Sicherheits- und Verteidigungspolitik aus, da die Probleme auf dem Balkan, im Nahen Osten, in Zentralasien, in
Nordafrika sowie die Gefahr des Terrorismus und der biologischen Kampfstoffe die Kapazität einzelner Staaten
übersteige.
Als "Schummeln, Beschwindeln und Schlawinern" bezeichnete Abgeordneter Dr. CAP (S) die Außenpolitik
Österreichs und ortete hier ein "Desaster". Im Hinblick auf die Beistandspflicht müsse man
in der EU die verfassungsrechtlichen Verpflichtungen Österreichs klar auf den Tisch legen, gleichzeitig habe
man gegenüber der Bevölkerung eine offene und ehrliche Politik zu betreiben und nicht durch die Hintertür
ein "Fait Accompli" zu schaffen. Als weitere Beispiele für seine Vorwürfe nannte der SPÖ-Klubobmann
die Tatsache, dass die Außenministerin im Sommer 2001 auf die Obergrenze bei den Transitfahrten verzichtet
habe, ohne Gegenleistungen einzufordern. Er habe auch Kommissar Fischler bei der Diskussion um die Übergangslösung
des Transitvertrags vermisst. Österreich habe falsche Zahlen nach Brüssel geliefert, so Cap, gleichzeitig
die Österreicherinnen und Österreicher beschwindelt und die Eisenbahn nicht entsprechend ausgebaut, obwohl
vertragliche Verpflichtungen dazu vorlägen. Scharf kritisierte Cap den "Geheimpakt" Grassers im
ECOFIN, den er als "Verschwörung der Finanzminister" bezeichnete, um sich in Zukunft alles unter
sich auszumachen. Allgemein warf er der Regierung vor, alles kaputt zu sparen, wichtigen Anliegen aber wie Wachstum
und Schaffung von Arbeitsplätzen kaum Augenmerk zu schenken.
Den Vorwurf des "Schummelns, Beschwindelns und Schlawinerns" gab Abgeordneter SCHEIBNER (F)
an die SPÖ zurück und bezichtigte diese, über ein Kurzzeitgedächtnis zu verfügen. Er erinnerte
an die Verfassungsänderung 1999 unter einer SPÖ-geführten Regierung, als durch den Artikel 23f B-VG
die gemeinsame Verteidigung in die Verfassung kam sowie Kampfeinsätze im Rahmen friedenschaffender Maßnahmen
zulässig wurden. Die erste Stufe dazu sei eben die Beistandspflicht. Ein UNO-Mandat für derartige Kampfeinsätze
sei keine verfassungsrechtliche Voraussetzung und trotzdem habe man damals die Bevölkerung nicht gefragt.
Dass die SPÖ immer wieder versuche, bei Wahlen mit der Neutralität Parteipolitik zu machen, hält
er für unverantwortlich. Die SPÖ habe gewusst, sagte Scheibner, dass die Vollmitgliedschaft Österreichs
in der EU, die volle Teilnahme an der GASP und die volle Teilnahme an der Verteidigungspolitik mit dem klassischen
Begriff der Neutralität unvereinbar sei. Daher habe man auch das Bundes-Verfassungsgesetz in diese Richtung
verändert. Er selbst trete für die Beistandspflicht ein, sei aber gegen den Vorschlag der SPÖ zur
EU-Armee. Denn da habe Österreich keine souveräne Entscheidungsbefugnis mehr, er, Scheibner, wolle aber
das Bundesheer erhalten, dieses jedoch solidarisch ausrichten.
Abgeordnete LICHTENBERGER (G) kritisierte, dass die österreichischen Interessen von der Regierung
im Hinterzimmer definiert würden, ohne die Bevölkerung zu fragen. Das zeige sich besonders bei der Sicherheitspolitik,
bei der es offensichtlich darum gehe, möglichst schnell in ein Militärbündnis hineinzugehen, ohne
eine klare Abgrenzung zur NATO zu schaffen. Der jetzige Vorschlag verschärfe die bereits gemachten Verschlechterungen
gegenüber dem Konventsentwurf nochmals und lasse die Sicherheitspolitik von der demokratischen Kontrolle völlig
entkleiden. Es sei unrichtig, dass die Beistandspflicht mit der Neutralität kompatibel ist, bemerkte Lichtenberger
und knüpfte daran den Verdacht, dass die Neutralität scheibchenweise entsorgt werden soll, ohne dass
die Bevölkerung das wolle. Durch die österreichische Position bei der Regierungskonferenz ziehe sich
ein roter Faden, der da heiße "Demokratie raus und Regierung rein". Wenn es jedoch um konkrete
Interessen der Bevölkerung gehe, sei die Regierung nicht bereit, sich entsprechend einzusetzen.
Abgeordneter Dr. MITTERLEHNER (V) trat dafür ein, die Dinge ernsthaft zu diskutieren, ohne vorher
alles rundweg abzulehnen. Hinsichtlich des Transitvertrages beschuldigte er die Grünen, durch ihr Stimmverhalten
die einfache Mehrheit für die Interessen Österreichs verhindert zu haben. Er bestritt auch, dass Österreich
die Mengenbegrenzung von 108 % aufgegeben habe.
Zum Thema Regierungskonferenz bemerkte Mitterlehner, dass diese auch für die Wirtschaft von Bedeutung sei,
zumal wesentliche Voraussetzungen für das Wachstum in einer wachstumsorientierten und ökonomisch orientierten
Politik sowie nachvollziehbaren Entscheidungen lägen. Vor dem Hintergrund der Erweiterung hielt er die neue
Definition für die Grenzregionen von grundlegender Wichtigkeit, da hier Ausgleichsmöglichkeiten durch
Förderungen geschaffen werden. Bei der Daseinsvorsorge unterstrich er die Notwendigkeit, nationale Elemente
und die Subsidiarität in den Vordergrund zu stellen.
Abgeordnete TRUNK (S) griff in ihrer Wortmeldung scharf den Bundeskanzler an und stellte die rhetorische
Frage, was ihm noch die Neutralität wert sei. Der Transit liefere ein dramatisches Beispiel dafür, was
durch die Bundesregierung verspielt werde. Es sei eine Politik des "Diktierens, des Drüberfahrens und
des Koste-es-was-es-wolle". Das sehe man genau bei der Zerschlagung der ÖBB, bei den Arbeitslosenraten,
in Fragen der Sicherheit, der Rechtsstaatlichkeit und des sozialen Friedens. Den Kärntner Landeshauptmann
und den Bundeskanzler verbindet laut Trunk die Tatsache, dass sie fahrlässig den renommierten Ruf der Republik
zerstört haben. Schüssel verwechsle das Verhandeln auf internationaler Ebene mit einem Pokerspiel. So
viel Fahrlässigkeit, Eitelkeit und Pokerspiel hätten sich die Menschen in Österreich nicht verdient,
sagte Trunk. Kritik übte sie auch an Minister Gorbach, der daran gehe, die ÖBB als einzige Alternative
zur Straße kaputt zu machen, und an Außenministerin Ferrero-Waldner, die im Bärental nicht Zukunftsthemen
für Österreich, sondern lediglich die eigene Zukunft verhandelt habe.
Abgeordneter Dr. BÖSCH (F) bewertete den Konventsvorschlag für eine EU-Verfassung als über
weite Strecken akzeptabel, es gebe aber Punkte, die für Österreich lebens- und überlebenswichtig
seien, und die man so nicht übernehmen könne. Wäre es nach SPÖ und Grünen gegangen, hätte
die österreichische Bundesregierung zu allem Ja und Amen sagen müssen, bemerkte Bösch. Allen Unkenrufen
zum Trotz sei es aber gelungen, darüber zu diskutieren, ohne den ganzen Vertragsentwurf zu zerstören.
Für Bösch ist dies ein Beweis dafür, dass man zeitgerecht Lobbying betreiben müsse, so wie
man es in der Transitfrage bereits vor zehn Jahren hätte beginnen müssen.
Zum Thema Sicherheitspolitik stellte Bösch fest, dass die Neutralität in der Prägung des Jahres
1955 mit dem Artikel 23f B-VG aufgehoben worden sei. Man müsse sich selbstverständlich die vorliegenden
Texte genau anschauen, aber es gehe nicht an, dass Europa eine Wirtschafts- und Währungsunion und vielleicht
auch einmal eine Sozialunion sei, und dann einzelne Länder sagen können, es geht uns nichts an, wenn
ein anderer Staat angegriffen wird. Wenn es aber zu einer Beistandspflicht kommt, müsse das Volk befragt werden,
bekräftigte Bösch.
Abgeordnete GLAWISCHNIG (G) bedauerte, dass das Bemühen des Verfassungskonvents um eine größere
Transparenz und mehr Demokratie ins Gegenteil verkehrt werde. Die Regierung versuche, die Minister gegenüber
dem europäischen Parlament zu stärken, was man genau nachverfolgen könne, rufe man sich die Vorhaben
des ECOFIN und der Verteidigungspolitik ins Gedächtnis. Das sei kein Europa der BürgerInnen mehr, betonte
Glawischnig. Sie vermutete, dass bei der Sicherheitspolitik die Unwahrheit gesagt wird, da die Klausel zur Beistandspflicht
strikter formuliert sei als im NATO-Bündnis. Der Bundeskanzler solle daher klar sagen, dass er am 13. Dezember
den Schlussstrich unter die Neutralität setzen wolle. Die vom Bundeskanzler heute angeschnittenen Verbesserungen
zum Konventsentwurf beurteilte Glawischnig als vage, da sie keine demokratische Grundlage für die Sicherheitspolitik
und keine klare Abgrenzung zur NATO bringen. Die Ausrichtung sei eine ausschließlich militärische. Gegenüber
diesen Fragen habe die Problematik des Verkehrs und des Euratom einen wesentlich geringeren Stellenwert eingenommen,
kritisierte die Rednerin. |