Verkehrspolitik – ÖBB-Reform  

erstellt am
03. 12. 03

Gusenbauer: SPÖ hätte Reform zur Stärkung der Bahn unterstützt
Regierung nicht bereit, Substanzielles zu ändern
Wien (sk) - Die SPÖ hätte eine Reform zur Stärkung der Bahn unterstützt und habe darum auch bis zuletzt verhandelt. Die Regierung sei aber nicht bereit gewesen, am Entwurf zur ÖBB-Reform "Substanzielles" zu ändern; es wäre lediglich ein dreizeiliger Absatz geändert worden, "der Rest waren reine Absichtserklärungen", begründete SPÖ-Vorsitzender Alfred Gusenbauer am Dienstag (02. 12.) bei einer Pressekonferenz die Ablehnung des Regierungs-Entwurfs zur ÖBB-Reform durch die SPÖ. Gusenbauer betonte, dass es bis heute keinen Experten gebe, der diese Reform für richtig hält. "Alle betonen, dass sie eine ÖBB-Reform wollen, sie sagen aber auch, dass diese Reform in die falsche Richtung geht. Der Entwurf konnte daher die Zustimmung der SPÖ nicht finden", so der SPÖ-Vorsitzende.

Gusenbauer wies darauf hin, dass die Regierung die ÖBB-Reform "sang- und klanglos" beschließen wollte, erst durch die Streiks der Eisenbahner habe sie sich veranlasst gesehen, zu verhandeln und einen Unterausschuss zuzulassen. Dabei seien nahezu alle namhaften Experten ausgelassen worden. Nach dem Hearing sei es nun zu Verhandlungen gekommen, aber es habe sich gezeigt, so Gusenbauer, dass die Regierung nicht bereit war, Substanzielles am Entwurf zu ändern. Lediglich folgenden dreizeiligen Änderungsvorschlag habe es gegeben: "Im Rahmen der Satzungen der im dritten Teil des Gesetzes zu gründenden Gesellschaften hat ein Mitglied des Vorstandes der ÖBB-Holding AG als Aufsichtsratsvorsitzender die Interessen der Holding wahrzunehmen." Für die SPÖ sei dies in jedem Fall zu wenig gewesen.

Es sei aber nicht nur die SPÖ, die im vorliegenden Entwurf keine Reform sieht, auch alle Experten seien dieser Meinung, so Gusenbauer, der RH-Präsident Fiedler zitierte, der kritisiert hatte, dass die Reform in die falsche Richtung gehen würde. Diese Kritik und die anderer Experten sei niemals entkräftet worden. Heute habe sich im ORF-"Morgenjournal" der Generaldirektor der Schweizer Bundesbahnen, Benedikt Weibel, zu Wort gemeldet und vor dieser Reform gewarnt.

Tatsache sei, dass auf diese Weise der Modernisierungsauftrag nicht erfüllt werde, sondern durch die fehlende Finanzierung des Schienenausbaus werde es zu einer Schuldenanhäufung von zehn Milliarden Euro bis 2010 kommen. Weiters werde nichts zu einer Modernisierung des Güterverkehrs beigetragen, ebenso wenig zu einer Qualitätssteigerung im Personenverkehr. Die Zerschlagung des Unternehmens in vier eigenständige Aktiengesellschaften führe zu höheren Kosten, "die wiederum auf Kosten der Verkehrsinfrastruktur gehen".

Der SPÖ-Vorsitzende wies darauf hin, dass die Regierung von ihrem Zerschlagungsplan nicht abgegangen sei und dass danach die totale Privatisierung folgen werde. Schließlich wolle die Regierung auch weiterhin 12.000 Beschäftigte abbauen, und dass, obwohl in den letzten Jahren der Beschäftigungsstand bei den ÖBB schon von 60.000 auf 48.000 reduziert wurde. "Es gibt wohl kaum ein Unternehmen, dass eine derartige Rationalisierung durchgemacht hat. Es stellt sich nun die Frage, welche Dienstleistungen die Bahn erbringen soll", so Gusenbauer, der sich überzeugt zeigte, dass es eine Personalaufstockung auf jeden Fall geben werde: "Es wird mehr hochbezahlte Vorstandsdirektoren geben. Es werden die Indianer reduziert, und die Zahl der Häuptlinge wird erhöht."

Im Zuge der Reform müsse schließlich auch damit gerechnet werden, dass die Benützungskosten - sowohl für die Wirtschaft, als auch für die Personen - steigen werden. "Die Zeche haben die Wirtschaft und die Gäste zu zahlen."

Wie der SPÖ-Vorsitzende erklärte, hätte die SPÖ eine Reform zur Stärkung der Bahn unterstützt und habe deswegen auch bis zuletzt verhandelt. Diese Reform gehe aber, wie alle Experten bestätigen würden, in die falsche Richtung "und hat deswegen auch nicht unsere Zustimmung gefunden".

Angesprochen auf eventuelle neue Streiks sagte Gusenbauer, dass dies die Entscheidung der Gewerkschaften und der Dienstnehmer sei. Die SPÖ führe die Auseinandersetzung im Parlament, "die Parteien sollten sich nicht einmischen". Die Entscheidung über mögliche Kampfmaßnahmen müsse aber sicherlich auch vor dem Hintergrund des bis 30. April zu verhandelnden Dienstrechts gesehen werden.

 

 Lopatka: Gusenbauers Aussagen zur ÖBB-Reform sind unrichtig
ÖBB-Reform ist notwendig, auch wenn SPÖ-Spitze dies negiert
Wien (övp-pk) - "Vollkommen aus der Luft gegriffen" sind für ÖVP-Generalsekretär Abg.z.NR Dr. Reinhold Lopatka die Aussagen von SPÖ-Vorsitzenden Alfred Gusenbauer zur ÖBB-Reform. "Die Vorwürfe Gusenbauers an die Regierung sind allesamt unhaltbar", so Lopatka am Dienstag (02. 12.).

Gusenbauer moniere wieder einmal, dass die Regierung zu keinen substantiellen Änderungen beim Gesetzesentwurf zur ÖBB-Reform bereit sei. "Dabei stellt sich allerdings die Frage, was der SPÖ-Chef sich wirklich erwartet", so der ÖVP-Generalsekretär. "Wahrscheinlich ein Zurücknehmen der Reformpläne und ein 'Zurück an den Start'" Gerade dies sei aber weder im Interesse der ÖBB noch in jenem des Wirtschaftsstandortes Österreich. "Die ÖBB hat in wichtigen Bereichen enormen Reformbedarf, gerade weil ehemalige SPÖ-Kanzler und -Minister eine Modernisierung des Unternehmens über Jahre verhindert haben", so Lopatka. "Wann, wenn nicht jetzt, können wir die richtigen Strukturen für das 21. Jahrhundert schaffen?"

"Überhaupt nicht nachvollziehbar" ist für Lopatka die Behauptung, dass kein Experte die Reform in dieser Weise begrüße und die Kritik des Rechnungshofes nicht berücksichtigt worden wäre: "Renommierte Verfassungsexperten haben den Gesetzesentwurf positiv bewertet." Außerdem sei die Kritik des Rechnungshofes im Gegensatz zu Gusenbauers Darstellung von der Regierung beim Entwurf besonders berücksichtigt worden.

Auch die Darstellung, dass die Reform zu Fahrpreiserhöhungen führe, sei falsch: "Die ÖBB-Reform bringt wesentliche Verbesserungen für die Kunden, die Mitarbeiter und den Wirtschaftsstandort Österreich. Wenn nicht jetzt Reformen umgesetzt werden, droht der ÖBB ein Konsum-Schicksal", sagte Lopatka.

"Auch Umfragen zeigen, dass eine klare Mehrheit von rund 80 Prozent der Österreicher für die notwendigen Reformen ist. Die Bevölkerung will eine bessere Bahn und hat kein Verständnis dafür, dass die SPÖ mit falschen Behauptungen Reformverweigerung betreibt", so Lopatka abschließend.

 

 Van der Bellen sieht Rückschritt für Verkehrspolitik
Eisenbahnexperte Rießberger warnt vor "Chaos über Jahre hinaus"
Wien (grüne) - Die Grünen haben zwei Tage vor der Abstimmung über die Bahnreform erneut ihre Ablehnung der Regierungspläne bekräftigt. Bundessprecher Alexander van der Bellen meinte bei einer öffentlichen Klubsitzung der Grünen, er bedaure sehr, dass die Regierung ihre Pläne durchsetze. Dies sei ein "Rückschritt für die Verkehrspolitik".

"Die Zukunft der Bahn wird mit dieser Reform in keiner Weise gesichert. Die Reform wird sicher keine Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene bewirken. Und für das Unternehmen drohen durch die Zerschlagung hohe Reibungsverluste", sagte Van der Bellen. Außerdem lege "die Art der Vorgangsweise den Verdacht nahe, dass es der Regierung nicht um eine Reform der Bahn, sondern um die Schwächung der Gewerkschaft und die Schaffung neuer Posten für die Freunde der FPÖ geht. Wenn das Verkehrspolitik ist, dann gute Nacht Österreich", so Van der Bellen.

Die Bedenken der Grünen bestätigt haben in der Klubsitzung der Eisenbahnexperte der TU Graz, Klaus Rießberger, TU Graz, der Verkehrsexperte des Verkehrsclub Österreich (VCÖ), Wolfgang Rauh, und Eisenbahner-Gewerkschaftschef, Wilhelm Haberzettl.

Rießberger warnte vor einem "Chaos über Jahre hinaus, wenn die ÖBB in so kurzer Zeit wie geplant umstrukturiert werden", und verwies dabei auf internationale Erfahrungen. Ein komplette Trennung von Absatz und Infrastruktur funktioniere nirgendwo in Europa, weder in Schweden, noch in Großbritannien, noch in Frankreich. Und die Deutsche Bahn (DB), die zunächst zertrümmert worden sei, sei nachträglich wieder unter ein strenges Gängelband einer starken Holding gestellt worden.

Entscheidend ist für den Bahnexperten, dass vor allem der "Berührungspunkt Schiene-Rad" nicht getrennt werde. In Frankreich etwa sei zwar die gesamte Infrastruktur der Bahn ausgegliedert worden, nicht aber das Gleis, das weiter der Absatzgesellschaft gehöre.

Aus Sicht Rießbergers wäre eine stärkere Trennung der organisatorischen Verantwortung bei der Bahn und auch eine gesellschaftsrechtliche Trennung denkbar. Die Durchgriffsmöglichkeit der Konzernführung müsse dabei aber "gewahrt bleiben". Werde die Reform wie geplant umgesetzt, hieße dies, dass die Holdingvorstände in den Aufsichtsräten der Töchter auf jeden Fall Führungsverantwortung übernehmen müssen, sagt Rießberger.

VCÖ-Experte Rauh sieht hinter den Regierungsplänen lediglich "das Ziel, einen maastrichtkonformen Goldesel zu schaffen und einige Landeshauptleute und Baufirmen zu befriedigen". Die Bahnreform sei "schlecht und unausgegoren", die ÖBB würden ein "Bauunternehmen mit angeschlossenem Bahnbetrieb". Außerdem würden betriebliche und politische Entscheidungen vermischt.

Eigentlich müssten nach Meinung Rauhs verkehrspolitische Projekte wie der Koralmtunnel oder die Unterinntaltrasse aus dem Budget finanziert werden. Nach dem geplanten Modell müsse jedoch der Bahnabsatz Projekte finanzieren, die betriebswirtschaftlich nicht sinnvoll seien. Rauh fürchtet deshalb eine kräftige Erhöhung der Fahrpreise. Der Bahn würden dadurch irreparable Schäden zugefügt, meint er.

Auch Eisenbahnergewerkschaftschef Wilhelm Haberzettl sieht "in der Neugestaltung der Geldflüsse die wahre Gefahr für die Bahn und tausende Arbeitsplätze". Der Absatz, der heute Gewinne schreibt, werde nach Rechnung der Gewerkschaft 2007 in die Verlustzone gedrängt. Die Gewerkschaft rechnet dadurch entgegen anderslautender Aussagen der Regierung mit einer Verteuerung der Pendlerpreise. Außerdem warnt Haberzettl vor einem enormen Effizienzverlust. Künftig seien fünf Unternehmen damit beschäftigt, dass ein Schnellzug auf die Reise geht - "und das 7.500 Mal am Tag", warnt der Gewerkschafter.
 
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