Aussenpolitik – EU-Verfassung / Beistandspflicht  

erstellt am
12. 12. 03

 Schüssel: Europäische Verfassung ist ein Quantensprung in der Rechtsordnung
Wien (bpd) - Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und Außenministerin Benita Ferrero-Waldner informierten am Donnerstag (11. 12.) über den Europäischen Rat, der am 12. und 13. Dezember in Brüssel stattfindet. Hauptthema dieses Gipfels ist die Beschlussfassung der Europäischen Verfassung. "Es hat noch nie eine Europäische Verfassung im echten Sinn des Wortes zur Diskussion gestanden. Dieses große Projekt ist nahe vor der Verwirklichung. Das ist ein ganz großen Schritt nach vorne. Es ist keine Vertragsanpassung, sondern ein Quantensprung in der europäischen Rechtsordnung und in der politischen Wirklichkeit dieser wachsenden und sich verwirklichenden Gemeinschaft der europäischen Familie", betonte Schüssel.

"Das ist eine spannende Zeit, die wir erleben und die wir auch handelnd gestalten können. Mit diesem Bewusstsein gehen wir in die Verhandlungen. Die Europäische Verfassung ist ein großer Wurf, der über Jahrzehnte Bestand haben soll. Daher wird die Qualität dessen, was in Brüssel geschieht, vor allem daran zu messen sein, ob diese Perspektive einer ersten Europäischen Verfassung Wirklichkeit wird. Das unterstütze ich sehr", so Schüssel. Als wichtige Eckpunkte des zukünftigen Verfassungstextes nannte der Bundeskanzler die eigene Rechtspersönlichkeit der Europäischen Union, den gemeinsamen europäischen Außenminister, den in der Verfassung festgeschriebenen Grundrechtskatalog, die Stärkung des europäischen Parlaments, die qualifizierte Mehrheit als Regelabstimmungsmodus sowie die Stärkung der Kommission. "Europa wird nicht davon leben, wie man etwas verhindert, sondern Europa wird dann funktionieren, wenn man etwas bewegt", betonte der Bundeskanzler. Als ein für Österreich zentrales Anliegen nannte Schüssel einen stimmberechtigten Kommissar pro Mitgliedsland.

Wie stark die Europäsche Union bereits sei, beweise sich auch daran, dass gleichzeitig mit der Vertiefung der Europäischen Union auch deren Erweiterung stattfinde, so Schüssel und wies auf die aktuelle Ratifizierung des Beitrittsvertrags in allen Mitgliedsländern hin. Als Erfolg für Europa bezeichnete der Bundeskanzler die europäische Währungsgemeinschaft. "Es ist mehr als ein reiner Zufall, dass sich der Euro in einem historischen Hoch befindet. Gleichzeitig sind die Inflationsraten beispielsweise in Österreich und Deutschland unter 1%. Das ist der Beweis, dass das ambitiöse wirtschaftliche Projekt der Erweiterung und die Einführung einer Einheitswährung funktionieren können", so Schüssel. Als weiteres Zeichen für die fortschreitende Vertiefung der EU bewertete der Bundeskanzler die gegenwärtig stattfindende Diskussion über eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik.

 

 Gusenbauer: Schüssel und Ferrero-Waldner sind keine ehrlichen Makler der Neutralität
SPÖ fordert Zusatz zu italienischem Kompromissvorschlag zur Beistandspflicht, damit alle Zweifel beseitigt werden
Wien (sk) - Der Kompromissvorschlag der italienischen Präsidentschaft zur Beistandspflicht innerhalb der EU geht für SPÖ-Vorsitzenden Alfred Gusenbauer in die richtige Richtung. Er fordert aber von Bundeskanzler Schüssel, dass er für einen Zusatz bei der Regierungskonferenz in Brüssel kämpft, um die verfassungsrechtlichen Traditionen der Mitgliedsstaaten festzuschreiben. "Dann sind alle Zweifel beseitigt", sagte Gusenbauer in einer Pressekonferenz am Donnerstag (11. 12.).

Denn der italienische Vorschlag, der die sicherheits- und verteidigungspolitischen Traditionen der Mitgliedsstaaten berücksichtigt, sei in "unserem Sinne interpretierbar". Er könne aber auch anders interpretiert werden. "Ich bin dafür, dass alles wasserdicht ist und keine andere Interpretation möglich ist." Gusenbauer wies darauf hin, dass sich Schüssel bereits mehrfach für die Beseitigung der österreichischen Neutralität ausgesprochen hat und die Bedeutung der Neutralität mit Mozartkugeln und Lipizzaner verglichen hatte. "Darum muss man vorsichtig sein, weil Schüssel interpretiert etwas an einem Tag so, und an einem anderen Tag anders. Daher bevorzuge ich zweifelsfreie Formulierungen", so Gusenbauer.

Der SPÖ-Chef hat insgesamt Zweifel, wie sich der Bundeskanzler und die Außenministerin am Regierungsgipfel verhalten werden. "Denn sie sind keine ehrlichen Makler der Neutralität." Gusenbauer wies auf die "Schlangenlinie" der Außenministerin und des Kanzlers in der jüngsten Diskussion über die europäische Beistandspflicht und die Neutralität hin. Die Regierung habe "nicht mit offenen Karten gespielt". Es stelle sich daher die Frage, ob sie bei der Regierungskonferenz nicht "kleine Schlupflöcher" zulassen wollen und sich zu weichen Kompromissen durchringen, um weitere Argumente gegen die Neutralität zu erhalten. "Daher werden wir uns das Ergebnis von Brüssel genau anschauen und überprüfen, ob es mit der österreichischen Neutralität kompatibel ist", versicherte der SPÖ-Vorsitzende.

"Ich will nicht, dass die Bevölkerung angelogen wird und dass die Neutralität über die Hintertüre entsorgt wird", unterstrich Gusenbauer. Er verwies darauf, dass Schüssel wiederholt eine Volksabstimmung versprochen habe, falls die Neutralität in ihrer bestehenden Form aufgehoben werde. Falls dies der Fall sei, müsse man sich vor die Bevölkerung hinstellen und eine Volksabstimmung abhalten. Gusenbauer warnte daher davor, den Boden der österreichischen Verfassung bei der Regierungskonferenz in Brüssel zu verlassen. "Nur dann ist eine Zustimmung von uns möglich." Ablehnend äußerte sich Gusenbauer zum Text der vier neutralen und blockfreien Staaten, der die Freiwilligkeit des Beistandes hervorstreicht und von Außenministerin Ferrero-Waldner unterschrieben ist.

Insgesamt bewertet Gusenbauer den Text des EU-Konvents "als ein hervorragende Grundlage dafür, Europa handlungsfähiger und demokratischer zu machen".

 

 Scheibner: EU-Gipfel: Österreich muß eigene Positionen optimal vertreten
»Von essentieller Bedeutung ist das Einstimmigkeitsprinzip, das in den wichtigen Kernbereichen erhalten bleiben muß«
Wien (fpd) - Mit dem EU-Gipfel in Brüssel, der kommendes Wochenende stattfindet, befaßte sich FPÖ-Klubobmann Herbert Scheibner in seiner Pressekonferenz am Donnerstag (11. 12.). Es werde von ganz besonderer Bedeutung sein, daß Österreich dabei seine eigenen Positionen optimal vertrete.

Zu diesem Zweck habe man im letzten EU-Hauptausschuß ein "Feuerwehrkomitee" gebildet, berichtete Scheibner. Auch die Opposition sei in die Verhandlungen von Bundeskanzler und Außenministerin in Brüssel eingebunden. Zwischen den Vertretern aller im Parlament vertretenen Parteien werde eine permanente Kontaktstelle eingerichtet. Die Klubobmänner und die zuständigen Regierungsmitglieder würden sich in ständigem Kontakt befinden. Es gehe darum, nationale österreichische Interessen optimal zu vertreten. Gerade nach den Ereignissen rund um den Transitvertrag habe Österreich wenig Grund, Musterschüler zu sein. Andere Länder wie Polen, die noch gar nicht Mitglied der EU seien, würden jetzt schon mit Veto drohen.

Scheibner bezeichnete die EU-Verfassung als bedeutendes Projekt auch im Sinne der europäischen Integration. Es werde ein Fingerzeig sein, ob die EU, die Institutionen, aber auch alle Beitrittsländer bereit seien, die Defizite, die es vor allem im institutionellen Bereich im Hinblick auf die Erweiterung gebe, zu beseitigen.

In der Folge präzisierte Scheibner die Forderungen der FPÖ an den EU-Gipfel. Österreich müsse auch in Zukunft einen vollberechtigten Kommissar erhalten. Es sei wichtig, daß man in der Kommission auch einen österreichischen Ansprechpartner habe. Weiters müsse die Wegekostenrichtlinie so rasch wie möglich umgesetzt werden, um Transparenz und Kostenwahrheit auf den Transitrouten entsprechend darstellen zu können. Nach den gescheiterten Transitverhandlungen sei das ein ganz besonderes Anliegen. Von essentieller Bedeutung sei auch das Einstimmigkeitsprinzip, das in den wichtigen Kernbereichen erhalten bleiben müsse. Scheibner nannte hier die Verwendung der Wasserressourcen. Ideen im Europarlament, über die Wasserressourcen der einzelnen Mitgliedsländer auf europäischer Ebene zu verfügen, müsse ein Riegel vorgeschoben werden. Ebenso verhalte es sich im Justizbereich, etwa bei der europäischen Staatsanwaltschaft. Hier müsse man sehr vorsichtig vorgehen.

Vorschlag Italiens ist tauglicher Kompromiß
Es sei von essentieller Bedeutung für die Zukunft Europas und der Europäischen Union als Friedensunion, daß man die Verhandlungen über eine Beistandsgarantie positiv in Angriff nehme, betonte Scheibner. Es sei eine Garantie von künftig 24 Mitgliedsländern der EU gegenüber Österreich. Damit könne man auch massive Veränderungen in der Sicherheitspolitik Österreichs und an den Rahmenbedingungen durchführen. Die Beistandsgarantie bringe einen massiven Sicherheits- und Stabilitätsgewinn für die EU insgesamt, aber auch für Österreich. "Es ist ein Schutz für unser Land und weniger eine Verpflichtung."

Wie Scheibner erklärte, habe er die abwehrende Diskussion in Österreich nicht verstanden. Zu Recht sei immer kritisiert worden, daß die USA als einzige globale Macht in Europa und auf der Welt über Sicherheitsmaßnahmen entscheide. Auf der anderen Seite müsse man dann aber bereit sein, in und mit Europa eigene Strukturen aufzubauen. Man habe aber die NATO kritisiert und habe auch den Aufbau eigenständiger Verteidigungsstrukturen in Österreich kritisiert. Wenn man aber davon ausgehe, daß es nach wie vor Bedrohungsszenarien für die Sicherheit Österreichs gebe, müsse man sich darauf einrichten. Für die FPÖ sei es immer ein Anliegen gewesen, daß die EU mehr Selbstverantwortung im Verteidigungsbereich übernehme. Scheibner bezeichnete es als angenehme Überraschung, daß Europa jetzt endlich ein klares Zeichen in Richtung einer Sicherheitsunion gebe. Österreich habe aus dieser Konzeption wesentlich mehr Vorteile, als es eigene Beiträge einbringen müsse.

Auch die innenpolitische Diskussion beruhige sich jetzt, meinte Scheibner. Die Bevölkerung habe ein Recht darauf, daß verantwortungsvolle Politiker versuchten, im Bereich der Sicherheit einen nationalen Konsens herzustellen. Man müsse alles vermeiden, was zu einer Polarisierung führe, wie auch den Mißbrauch dieses Themas für Wahlkämpfe, und versuchen, eine gemeinsame Lösung zu erreichen.

Es gebe jetzt mehrere Vorschläge. Denjenigen von Großbritannien und Frankreich bezeichnete Scheibner als sehr weitgehend, derjenige von Schweden, Finnland und Irland sei das andere Extrem, der nicht sehr viel gebracht hätte. Der Vorschlag Italiens sei ein tauglicher Kompromiß. Dies sei keine Aufweichung. Man brauche und wolle von 25 EU-Mitgliedsstaaten die Garantie, sich wechselseitig Beistand zu geben. Die nationalen Bestimmungen in den Rechtsordnungen der Mitgliedsstaaten würden aber deshalb nicht aufgehoben. Jedes Land entscheide selbständig darüber, wie und in welchem Ausmaß die Sicherheitsgarantie wahrgenommen und umgesetzt werde.

Scheibner präsentierte einen eigenen Vorschlag, der kein Muß sei, sondern den man der Bundesregierung mit auf den Weg geben wolle, wenn es darum gehe, eine endgültige Formulierung zu finden. Der Artikel I-40 § 7 (erster Absatz) würde dann lauten:

"Sollte ein Mitgliedsstaat auf seinem Hoheitsgebiet Ziel eines bewaffneten Angriffes werden, so leisten die anderen Mitgliedsstaaten gemäß Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen Hilfe und Unterstützung. Der Ministerrat tritt anläßlich eines solchen bewaffneten Angriffes unverzüglich zusammen und beschließt auf Vorschlag des Außenministers der Union oder eines Mitgliedsstaates einstimmig, welche Maßnahmen zum Zwecke der Sicherung der Union und ihrer Mitgliedsstaaten erforderlich sind. Die Mitgliedsstaaten unterstützen diese Beschlüsse mit den ihnen gemäß ihrer nationalen Bestimmungen und Beschlüsse zur Verfügung stehenden Mittel auf der Basis ihrer Fähigkeiten und Möglichkeiten."

Man habe also mehrere Schranken zur Verfügung, betonte Scheibner. Dies sei keine Aufweichung der Beistandsgarantie, sondern eine Präzisierung. Man könne nicht davon ausgehen, daß man gezwungen werde, in militärische Einsätze hineinzugehen. So wie man das Verfahren für Out-of-Area-Einsätze zur Verfügung habe, sollte jetzt auch dieses Bekenntnis auch für die Verteidigung und Stabilisierung innerhalb Europas gelten. Scheibner verwies weiters darauf, daß es die SPÖ-geführte Bundesregierung unter Klima gewesen sei, die 1998 durch die Änderung der Bundesverfassung den Weg in Richtung europäische Verteidigung beschritten habe. Es gebe in dieser Frage mit den Vertretern der Opposition nur semantische Unterschiede, aber keine inhaltlichen. "Ich hoffe, daß wir eine einheitliche Linie entwickeln und in Zukunft alles vermeiden, was zu einer Verunsicherung der Bevölkerung führen könnte."

 

 Neutralität ist wichtiges Instrument zur Mitbestimmung
Glawischnig: Skandalöse Diskussionsverweigerung der Koalition im Hauptausschuss - Khol soll nicht Verhinderer schützen
Wien (grüne) - Die stellvertretende Bundessprecherin Eva Glawischnig lehnt eine militärische Beistandspflicht ab. Glawischnig warf der Regierung vor, in dieser Frage fahrlässig zu agieren. Es gebe einen "Eiertanz" der gegensätzlichen Standpunkte von Außenministerin Benita Ferrero-Waldner (V) und Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (V). "Wir wollen endlich wissen, was Linie der Regierung ist", so Glawischnig. Massive Kritik übte sie an der "skandalösen Diskussionsverweigerung" der Koalitionsparteien im Hauptausschuss.

Glawischnig forderte Nationalratspräsident Andreas Khol (V) auf, das Ansinnen der Grünen auf eine ausreichende Debatte im Plenum über die gesamte Frage der europäischen Verfassung und der Sicherheitspolitik zu unterstützen. Khol solle nicht die Verhinderer und Eiertänzer schützen. Die Ablehnung von ÖVP und FPÖ, diese Fragen zu diskutieren, sei eine "ungeheuerliche Brüskierung des Parlaments". Die Regierungsparteien wollten sich offenbar mit den wesentlichsten europäischen Zukunftsentscheidungen nicht auseinander setzen.

Dieses Thema werde sie in der morgigen Präsidiale thematisieren, kündigte Glawischnig an. "Nach dem peinlichen Schauspiel von Ferrero-Waldner wollen wir endlich eine Festlegung und eine klare Linie und eine offene Information".

Was den jüngsten italienischen Vorschlag zur Beistandspflicht betrifft, ist dieser "für uns völlig unzureichend. Damit tritt genau das ein, dass ein paar Länder die Spielregeln der Sicherheitspolitik vorgeben und die gesamte Entscheidungsmacht haben". Die Neutralen würden übrig bleiben. Aber "wir wollen auch als neutrales Land die europäische Sicherheitspolitik mitgestalten. Die Neutralität ist wichtig, eine Chance in Europa und ein wichtiges Instrument zur Mitbestimmung", betonte Glawischnig.
     

 Wir versuchen prinzipiell, an dieser Stelle Aussendungen
aller der vier im Parlament vertretenen Parteien aufzunehmen

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