»Das Matisse-Denken« im Leopold Museum  

erstellt am
12. 12. 03

Ein Beitrag des Leopold Museum zum 50. Todestag von Henri Matisse.
Wien (leopold museum) - Dieses Seminar stellt sich die Aufgabe, zu zeigen, wie das Werk von Matisse in grundlegender und auch in seinem ganzen Umfang noch auszulotenden Art zentrale Themen des philosophischen Denkens und der zeitgenössischen Kunst betrifft.

Zentrale Themen des philosophischen Denkens: denn es handelt sich darum, offen zu legen, dass Matisse in seinen Arbeiten und Schriften die Kontinuität vitalistischen Denkens im 20. Jahrhundert sicherstellt, welches ihm über die Philosophien Nietzsches und Bergsons zugänglich geworden und dann in der Auseinandersetzung mit John Dewey weiterentwickelt worden war. Dieses Denken läßt sich bei Matisse zu einer Zeit finden, in der es aus der Geschichte der Philosophie bereits so gut wie verschwunden war - bevor also der Faden von Deleuze wieder aufgenommen wurde. Matisse gibt diesem vitalistischen Denken vor allem die Ästhetik, derer es bedurfte - am beispielhaftesten in der Form eines permanenten Fauvismus als einer höheren dionysischen Plastik. Matisse ist kein Philosoph, und doch bildet seine Arbeit den Vektor eines ontologischen Denkens, das unumgänglich zu einem revolutionären Umgang mit Farbe führt, verstanden als Konstruktion von Kraftbeziehungen, deren expressive Kraft in sich vital ist - vital und nicht nur piktoral. Diese vitalistische Ontologie der Farbe führt Matisse zur Zerstörung der Malform, zur Überschreitung der in ihr eingeschlossenen Welt und zur Neuformulierung der Kunst mittels ihrer zwingenden Öffnung hin zur gewöhnlichsten Erfahrung. Diese affirmative "Zerstörung" der Malerei definiert sich als fundamentaler Gegensatz zur negativen oder nihilistischen Zerstörung Duchamps sowie der intellektualisierenden oder formalisierenden Aufhebung der Kunst (Kubismus, abstrakte Kunst, Konzeptkunst). Wenn Matisse und Duchamps, diese beiden emblematischen Gründerfiguren der zeitgenössischen Kunst, die beiden antagonistischen Wege darstellen, deren Radikalität beanspruchen könnte, der Erschöpfung der Kunst-Form entgegenzutreten, dann ist der von Matisse in Anspruch genommene Weg der einer gleichzeitig experimentellen und installativen Kunst als Inbegriff einer totalen pragmatischen Erfahrung. Dieses Projekt kulminiert in den großen Scherenschnitten: "in Übereinstimmung mit der Zukunft", wie Matisse ankündigte. Matisse - oder: Wie den geschlossenen Raum der Kunst verlassen, ohne zugleich ihr unausweichliches Ende im Reklame-Nominalismus der Postmoderne zu verkünden.

Éric Alliez ist Professor für Ästhetik und Kunstsoziologie an der Akademie der bildenden Künste Wien.

Seminar mit Univ.-Prof.Dr. Eric Alliez
17.12.2003, 21.1.2004, 17.3.2004, 21.4.2004 jeweils am Mittwoch von 14 bis 18 Uhr

Auditorium Leopold Museum im MQ, Museumsplatz 1, 1070 Wien

Vortragssprache: Englisch

Kooperation mit dem französischen Kulturinstitut, Wien
 
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