Weihnachten auf dem Roten Planeten  

erstellt am
11. 12. 03

Paris (esa) - In der Nacht vom 24. zum 25. Dezember wird Europas erste Mars-Sonde – Mars Express – ihren Bestimmungsort erreichen und in eine Umlaufbahn um den Roten Planeten einschwenken. Nahezu zeitgleich soll ihr Lander Beagle 2 auf der Marsoberfläche weich aufsetzen. Dem European Space Operations Centre ESOC, das als Kommunikationszentrale zwischen Erde und Mars dient, dürften die aufregendsten Stunden und Minuten seit seiner Gründung 1967 bevorstehen.

Von Tag zu Tag nimmt die Spannung beim Europäischen Satellitenkontrollzentrum ESOC in Darmstadt zu. Das Main Control Team trägt dabei die Verantwortung für die kniffligsten Aktivitäten, denn von ihnen hängt der weitere erfolgreiche Verlauf des Unternehmens entscheidend ab. Der irdische Späher muss vor der Abtrennung des mit Hightech-Experimenten voll gestopften Landegerätes Beagle 2 punktgenau auf den Mars ausgerichtet werden, damit der Lander den Mars auch trifft. Und am 25. Dezember soll das Haupttriebwerk von Mars Express für den Eintritt in eine elliptische Umlaufbahn um unseren Nachbarplaneten gezündet werden, während Beagle 2 nahezu zeitgleich auf der Marsoberfläche aufsetzen wird. Das kann aber nur dann Wirklichkeit werden, wenn das Landegerät am 19. Dezember von der Hauptsonde erfolgreich abgetrennt wird, um dann allein unseren Nachbarplaneten entgegenzurasen. Deshalb hat die für diese Mission zuständige Mannschaft so intensiv trainiert, wie noch nie ein Team zuvor im ESOC.

Ein europäischer Medienevent
Hauptmedienevents begleiten Europas erste Landung auf dem Roten Planeten. Am 3. Dezember bot das European Space Operations Centre ESOC in Darmstadt eine gesamteuropäische Presseveranstaltung der Superlative, denn über das Internet waren auch das ESA-Hauptquartier in Paris, das Technologiezentrum ESTEC in Noordwijk (Niederlande) und das Wissenschaftszentrum ESRIN in Frascati (Italien) zugeschaltet. So konnten die in den ESA-Zentren anwesenden Journalisten die Konferenz in Darmstadt live verfolgen und anschließend Fragen zur Landung auf dem Mars stellen. Um dem Medienevent den richtigen Rahmen zu geben, fand die Veranstaltung im Main Control Room des ESOC statt. Das eröffnete den Anwesenden einen großartigen Blick auf die Terminals und großen Wandbildschirme, auf denen bereits Daten und Grafiken für das nächste Training des Main Control Teams von Mars Express am selben Tag eingespielt waren.

Step By Step zum Mars
Das von Michael McKay, dem Mars Express Flight Operations Director, geleitete Team hat sich in den letzten Monaten intensiv auf alle Abschnitte des Fluges sowie alle nur denkbaren Komplikationen vorbereitet. Dazu wurden Hunderte verschiedene Situationen simuliert. Auf die Frage eines Journalisten, was für ihn der schlimmste denkbare Fall im Missionsablauf wäre, antwortete Michael McKay: „Wenn der Ground Control Manager und einige seiner Mitarbeiter nicht von Frankfurt/Main nach Darmstadt kommen, weil der Zug ausfällt.“ Die Antwort löste allgemeine Heiterkeit aus, hat aber einen ernsten Hintergrund. Diese Situation wurde tatsächlich simuliert und ein anderer Manager musste die Leitung der Operationen übernehmen. „Es stellte sich heraus, dass nur ein eingeschworenes und eingespieltes Team mit derartigen Situationen fertig werden kann. Wir haben ein solches Team“, da ist sich Michael McKay sicher und ergänzt: „Neben der technischen Kompetenz spielt auch die Zwischenmenschlichkeit eine ganz wichtige Rolle. Sie muss genauso „trainiert“ werden wie alle technischen Abläufe“.



ESA/Denman productions

Als nächste Herausforderungen seines Teams stellte McKay vier Meilensteine des Unternehmens vor:

Am 16. Dezember wird die Raumsonde sehr genau auf den Mars ausgerichtet. Die Toleranz darf weniger als ein halbes Winkelgrad betragen. Das ist vor der Abtrennung des Landers Beagle 2 notwendig, denn das kleine Landegerät hat keinen eigenen Antrieb. Nachträgliche Korrekturen der Anflugbahn sind also nicht möglich. Am 19. Dezember wird Beagle 2 von der Hauptsonde durch einen einfachen Federmechanismus abgetrennt und setzt seinen Flug allein in Richtung Mars-Oberfläche fort. Danach muss am 20. Dezember der Orbiter durch eine erneute Bahnänderung wieder in Richtung der künftigen Umlaufbahn um den Mars geschickt werden. Nach abschließenden Feinkorrekturen erfolgt schließlich am 25. Dezember um 2:44:32 Uhr MEZ die Zündung des Haupttriebwerkes von Mars Express. Es soll 45 Minuten arbeiten und die Sonde auf eine elliptische Umlaufbahn um den Mars schicken.

Nach dem erfolgreichen Abschluss der Bahnmanöver werden die Geräte für die wissenschaftliche Arbeit in einer so genannten Commissioning-Phase aktiviert und auf ihre Routinearbeit vorbereitet.

Startracker mit Sonnenbrille
„Alle Bordsysteme von Mars Express arbeiten derzeit normal“, zeigte sich Projektmanager Rudolf Schmidt zu Beginn seines Vortrages über die wissenschaftlichen Ziele erleichtert. Seit dem Start der Sonde gab es allerdings auch einige Probleme. „Die schweren Sonnenstürme im Sommer sowie im Herbst führten zu einem vorübergehenden Ausfall der Startracker. Also jener Sensoren, die für die Navigation der Sonde notwendig sind. Sie waren einfach zu empfindlich“, erläuterte Rudolf Schmidt die Probleme. Mit einer veränderten Software wurde den Sensoren gewissermaßen eine „Sonnenbrille“ aufgesetzt. Nun funktionieren die Startracker einwandfrei. Ein anderes Problem ist, so Schmidt, „ein schadhaftes Kabel. Dadurch stehen uns nur etwa 70 Prozent der normalen Leistung bei der Stromversorgung zur Verfügung. Beide Probleme gefährden aber nicht den Erfolg der Mission“.

Trümpfe: Großes Ohr und Superauge
Sowohl auf dem Orbiter als auch dem Lander befinden sich eine Reihe ausgeklügelter Instrumente für die Erforschung des Nachbarplaneten und seiner unmittelbaren Umgebung. Wichtige Geräte, so die hoch auflösende Kamera HRSC (High Resolution Stereo Camera), das funkwissenschaftliche Experiment MaRS (Mars Radio Science) oder der Bohrhammer PLUTO (Planetary Underground Tool) kommen aus Deutschland. Prof. Gerhard Neukum von der Freien Universität Berlin und verantwortlicher Wissenschaftler für die HRSC-Kamera konnte auch gleich mit einem optischen Highlight aufwarten. Er stellte das erste Bild des Mars, generiert aus den Daten der HRSC vor. Bei der Aufnahme ist Mars Express noch 5,5 Mill. km von seinem Ziel entfernt, lässt aber schon eine Vorstellung über die Qualität der künftigen Bilder in Marsnähe zu. Neukums Hoffnung ist, „den Mars komplett mit einer Auflösung von 10 bis 20 Metern in Farbe und als Stereo-Aufnahmen erfassen zu können. Einige Gebiete werden sogar mit bis zu vier Metern Auflösung aufgenommen“.

Wenn das große Ohr des ESOC in Australien, die 35m-Antenne der Deep Space Ground Station New Norcia die Signale des europäischen Marsspähers empfängt, sind die Bodenstation und die Funkwellen Teil eines wissenschaftlichen Experiments, dem Mars Radio Science Experiment MaRS. „Ein präziser Empfänger in der Bodenstation wertet die Veränderungen des von Mars Express kommenden Trägersignals aus. Daraus ziehen wir Schlussfolgerungen über das Gravitationsfeld des Mars und seines Mondes Phobos. Wir wollen etwa 1200 vertikale Profile der Mars-Ionosphäre und –Atmosphäre mit Angaben zum Temperatur-, Dichte- und Druckverlauf gewinnen“ erläutert Dr. Martin Pätzold vom Institut für Geophysik und Meteorologie der Universität Köln die Funktion von MaRS.

Mit dem Presslufthammer Marsianer jagen
Ähnlich einem Presslufthammer arbeitet sich der nur 365 Millimeter lange und 860 Gramm schwere Bohrhammer PLUTO in den Marsboden vor und entnimmt dort Bodenproben, die von anderen Instrumenten auf Beagle 2 analysiert werden. Dr. Lutz Richter, ein Mitexperimentator des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) erläuterte anhand eines Modells die Arbeitsweise. Bei der Entwicklung waren von den Wissenschaftlern und Technikern jede Menge neue Ideen gefragt. „Wir benötigten ein spezielles Tieftemperaturfett, das auch den frostigen Marsnächten widersteht. Und auf den Bohrer sowie seine Hülse musste zur Schmierung eine eigens dafür entwickelte Substanz aufgebracht werden, um nur zwei von vielen Problemen zu nennen“ zieht Dr. Richter über die intensive Arbeit der letzten Jahre Resümee.

Michael McKay, der Flight Operations Director des ESOC, ist sich aufgrund der intensiven Vorbereitungen sicher, dass nichts schief geht. Auch wenn derzeit alles wieder planmäßig abläuft, risikoarm ist die Mission nicht. Er, sein Team und alle anderen an der Mission Beteiligten werden jedenfalls ihr Bestes geben, um den Flug zum vollen Erfolg zu führen.
 
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