Bonn (alphagalileo) - Die Immunschwäche AIDS lässt sich inzwischen mit effektiven Wirkstoff-Cocktails
erfolgreich behandeln – leider mit der Gefahr gefährlicher Nebenwirkungen. Die eingesetzten Medikamente können
dabei vor allem die Leber schädigen. Gerade für HIV-Infizierte, die zusätzlich an der Leberentzündung
Hepatitis C leiden, galt die „hoch aktive antiretrovirale Therapie“ (HAART) daher bislang als riskant – zu unrecht,
wie Forscher der Universität Bonn nun in der aktuellen Ausgabe des renommierten Mediziner-Fachblatts „The
Lancet“ feststellen (Vol. 362 S. 1687ff).
Ganz im Gegenteil: AIDS-Patienten, die zusätzlich unter Hepatitis C litten und mit HAART therapiert wurden,
verstarben im Verlauf der zwölfjährigen Studie sogar seltener an Leberkomplikationen als Probanden, die
weniger effektiv oder gar nicht therapiert worden waren. Die Ergebnisse haben große praktische Bedeutung:
In Europa und den USA ist nach Schätzungen jeder dritte HIV-Patient gleichzeitig mit dem Hepatitis C-Erreger
infiziert.
Die Wissenschaftler hatten insgesamt 285 Patienten mit AIDS und Hepatitis C über einen Zeitraum von zwölf
Jahren beobachtet. Gut 80 Prozent der Probanden litten unter einer Blutgerinnungsstörung. 93 Patienten wurden
mit HAART therapiert, 55 mit weniger wirksamen Präparaten; 137 unterzogen sich keiner medikamentösen
Behandlung. Als HAART bezeichnet man die Behandlung mit einer Kombination verschiedener Wirkstoffe, die wichtige
Virus-Enzyme hemmen und so eine Vermehrung der HI-Viren im Körper deutlich behindern. Dank der Medikamente
nimmt die Virenzahl im Blut ab; die Immunabwehr erholt sich. Gleichzeitig kann der Wirkstoff-Cocktail aber die
Leber schädigen – insbesondere dann, wenn die Leberzellen ohnehin schon mit einer Hepatitis C-Infektion zu
kämpfen haben.
Geringeres Risiko, an einer Hepatitis C zu versterben
„HAART belastet die Leberzellen in der Tat stark“, erklärt der Bonner Internist Professor Dr. Ulrich Spengler.
So kam es bei 13 der 93 HAART-Patienten zu ernsten Leberreaktionen; sechs von ihnen mussten die Behandlung unterbrechen,
konnten sie jedoch nach einmonatiger Pause mit einem veränderten Wirkstoffmix wieder fortsetzen. Gleichzeitig
zeigte die Studie aber, dass die HAART-Behandlung die Gefahr eines tödlichen Verlaufs der chronischen Leberinfektion
mit dem Hepatitis C Virus sogar deutlich reduzierte: Bei den unbehandelten Patienten lag nicht nur die Gesamt-Mortalität
viermal höher als bei den HAART-Probanden, Todesursache war bei ihnen ebenfalls knapp viermal so häufig
eine schwere Störung der Leberfunktion.
„Warum das so ist, wissen wir allerdings im Detail nicht“, gibt Professor Spengler zu. Vielleicht nimmt die Leberentzündung
bei einem geschwächten Immunsystem einen schwereren Verlauf. Wenn sich dann während der HIV-Behandlung
die Immunabwehr erholt, könnte sich das auch positiv auf die Hepatitis auswirken. „Dagegen spricht aber, dass
im Laufe der HAART-Behandlung die Zahl der Hepatitis-Viren im Blut der Betroffenen deutlich anstieg – weit stärker
sogar als in den Vergleichsgruppen, die weniger aggressiv oder gar nicht therapiert worden waren“, so der Internist.
„Die Gefahr einer toxischen Leberschädigung durch die eingenommenen Medikamente besteht bei HAART zweifelsohne“,
fasst Professor Spengler die Ergebnisse zusammen. „Dennoch überwiegen die positiven Auswirkungen der Behandlung
bei weitem – sowohl auf den Verlauf der Immunschwäche als auch auf den der Leberentzündung.“ „The Lancet“
fordert denn auch in einem Kommentar, den Einsatz des aggressiven HAART-Cocktails auch bei Hepatitis C-Patienten
auf keinen Fall in Frage zu stellen. Ziel müsse es allerdings sein, neue Wirkstoffe gegen HIV zu entwickeln,
die die Leber weniger stark belasten. |